2015-12-26 07:50:00

Jahresrückblick mit Papst Franziskus


Familiensynode, Umweltenzyklika, Heiliges Jahr, Reisen in vier Kontinenten: Das Jahr mit Papst Franziskus war dichtgedrängt für den Papst, der vor wenigen Tagen 79 Jahre alt geworden ist. Die vatikanische Bilanz von 2015 mit Gudrun Sailer.

Sri Lanka und die Philippinen

Fernost für Papst Franziskus: Im Januar 2015 reist das Kirchenoberhaupt nach Sri Lanka und die Philippinen, Asiens einziges großes Land mit katholischer Bevölkerungsmehrheit. Mit Sri Lanka besuchte Franziskus ein Land, das noch schwer an den Folgen eines jahrzehntelangen Bürgerkriegs trägt. Nein zu religiös motivierter Gewalt, Ja zu Versöhnung, und Ja zur Religionsfreiheit als „fundamentales Menschenrecht", das schärft Franziskus den Bewohnern ein. Außerdem spricht er den indischen Sri-Lanka-Missionar Joseph Vaz heilig, der um 1700 lebte. Auf den Philippinen wiederum setzt sich der „Papst der Armen" kritisch mit dem Elend weiter Teile der Bevölkerung sowie der grassierenden Korruption auseinander. Zum Abschluss einer siebentägigen Asienreise feiert er in der philippinischen Hauptstadt Manila die vermutlich größte Papstmesse aller Zeiten: bis zu sechs Millionen Menschen. Stichwort Überbevölkerung: Beim Rückflug nach Rom betont Franziskus die Bedeutung einer „verantworteten Elternschaft", was sich auf die Zahl der Kinder bezieht. Seine Wortwahl - Katholiken müssten sich keineswegs „wie Karnickel" vermehren – sorgt für Debatten.

Am 4. Februar lässt Franziskus abermals mit einer frei gesprochenen Passage aufhorchen. Im Rahmen einer geistlichen Ansprache bei einer Generalaudienz – es ging über das Vaterbild – irritiert der Papst mit einer Aussage zum „würdigen Schlagen“ von Kindern. Zahlreiche Kirchenvertreter, unter ihnen auch Bischöfe, kritisieren die Worte.

 

Neue Kardinäle und ein vorangekündigtes Heiliges Jahr

14. Februar: Konsistorium im Vatikan. Papst Franziskus nimmt in Rom 20 Bischöfe neu ins Kardinalskollegium auf. Mit den Ernennungen treibt das Kirchenoberhaupt die Internationalisierung des Kardinalskollegiums weiter voran. Die 20 neuen Kardinäle kommen aus 18 Ländern. Vier von ihnen stammen aus Staaten, die noch nie zuvor einen Kardinal gestellt haben: Tonga, Myanmar, Panama und den Kapverdischen Inseln. Beim Konsistorium, also der Versammlung der Kardinäle, äußern sich zuvor 150 Kardinäle aus aller Welt auch zur geplanten Kurienreform, die unter Papst Franziskus langsam, aber beständig vorangeht.

Das ist ein Paukenschlag: Am 13. März – das ist der 2. Jahrestag seiner Wahl auf den Stuhl Petri – kündigt Franziskus ein Heiliges Jahr an. Von 8. Dezember 2015 bis 20. November 2016 feiert die katholische Kirche das „Jubiläum der Barmherzigkeit". Er wünsche sich, dass das Heilige Jahr eine „neue Etappe auf dem Weg der Kirche" sei, das Evangelium der Barmherzigkeit allen Menschen zu bringen, so der Papst. Das letzte Heilige Jahr hatte Papst Johannes Paul II. (1978-2005) im Jahr 2000 begangen. Das Jubiläum der Barmherzigkeit ist ein außerordentliches Heiliges Jahr, und es beruft sich vom Datum her nicht auf ein Heilsereignis wie die Geburt oder die Auferstehung Christi, sondern auf 50 Jahre II. Vatikanisches Konzil. Neu ist auch, dass das Heilige Jahr dezentral gefeiert wird. Heilige Pforten gibt es nicht nur in Rom, sondern in jeder Diözese der Weltkirche.

 

Kampf dem Missbrauch und der Mafia

Wir bleiben in der Fastenzeit: Am 20. März entzieht der Papst dem schottischem Kardinal Keith Michael Patrick O'Brien die Kardinalsvorrechte, ein äußerst seltener Vorgang. Der Kardinal hat sich des Missbrauchs von Seminaristen schuldig gemacht. Die Null-Toleranz-Politik von Papst Franziskus gegen klerikale Missbrauchstäter setzt sich einen Monat später fort: Franziskus entlässt den US-amerikanischen Bischof Robert Finn wegen Nachlässigkeit bei der Verfolgung von Kinderpornografie. Erstmals muss damit ein Diözesanbischof zurücktreten, weil er gegen Fälle von Missbrauch in seinem Klerus nicht energisch genug vorgegangen ist.

Am 26. März ein Vatikan-Termin für Very Important People aus Papst-Sicht: 150 Obdachlose beteiligen sich an einer Exklusiv-Führung durch die Vatikanischen Museen. Beim anschließenden Gang in die Sixtinische Kapelle überrascht der Hausherr die Gäste, Papst Franziskus kommt vorbei und grüßt alle.

Am 31. März besucht Franziskus Neapel und richtet einen emotionalen Appell gegen soziale Ungerechtigkeit, Korruption und Mafia an die Bewohner der süditalienischen Stadt. Arbeitslosigkeit raube den Menschen die Würde, sagt er vor Zehntausenden Menschen im Armenviertel Scampia.

 

Ostern 2015 mit dem Papst

Bei der Abendmahlsmesse am Gründonnerstag wäscht Papst Franziskus im römischen Rebibbia-Gefängnis zwölf Häftlingen die Füße, sechs Männern und sechs Frauen. Zusätzlich vollzieht er den Ritus an einem kleinen Kind, das auf dem Schoß seiner in der Strafanstalt inhaftierten Mutter sitzt. Beim Karfreitags-Kreuzweg am Kolosseum beklagt Franziskus die Verfolgung von Christen wegen ihres Glaubens. Am Ostersonntag ruft er beim „Urbi et orbi"-Segen die Weltgemeinschaft erneut zum Handeln im Nahen Osten auf. Der Lärm der Waffen in Syrien und im Irak müsse aufhören und ein friedliches Zusammenleben wiederhergestellt werden. Prophetische Worte, die mit der massiven Flüchtlingswelle Richtung Europa wenige Monate später neue Aktualität gewinnen werden.

Der Völkermord an den Armeniern vor 100 Jahren wird auch im Vatikan zum Politikum. Bei einer Messe im Petersdom am 12. April bezeichnet Franziskus das Vorgehen des Osmanischen Reiches gegen die armenischen Christen während des Ersten Weltkriegs öffentlich als „ersten Genozid des 20. Jahrhunderts" – und stellt die Verfolgung der Armenier damit in eine Reihe mit den Verbrechen des Nationalsozialismus und des Stalinismus. Die türkische Regierung ist verstimmt, sie bestellt den Vatikanbotschafter in Ankara ein und zieht ihren Vertreter beim Heiligen Stuhl ab.

 

Die Umweltenzyklika „Laudato si" erscheint

Seine große Umweltenzyklika „Laudato si" veröffentlicht der Papst am 18. Juni. Franziskus entwickelt darin eine ganzheitliche Ökologie, die sich nicht nur auf Natur- und Klimaschutz beschränkt, sondern das "große Ganze" im Blick hat. Der Papst ruft die Weltgemeinschaft zu einem fundamentalen Umdenken und jeden Einzelnen zu einem umweltbewussten und nachhaltigen Lebensstil auf. Die Reduzierung der Umweltverschmutzung und die Bekämpfung von Armut gehören zusammen, schreibt der Papst und plädiert für eine „ganzheitliche Ökologie", „um die Klage der Armen ebenso zu hören wie die Klage der Erde". Franziskus wendet sich dabei ausdrücklich nicht nur an Katholiken, sondern an „alle Menschen guten Willens". Tatsächlich erhält das Schreiben internationale Aufmerksamkeit wie selten zuvor ein päpstliches Dokument.
 

Franziskus besucht Südamerika

5. bis 13. Juli: Papst Franziskus reist nach Südamerika: Ecuador, Bolivien und Paraguay. Dabei betont er den Wert der Familie, prangert die Zerstörung der Regenwälder im Amazonasgebiet an und kritisiert autoritäre Tendenzen unter lateinamerikanischen Regierungschefs. Internationale Aufmerksamkeit erlangt Franziskus' Visite beim Welttreffen der Volksbewegungen in Santa Cruz, wo er Bürgerinitiativen, Basisgruppen und indigenen Bevölkerungsgruppen den Rücken stärkt und scharfe Kritik am „neuen Kolonialismus" der reichen Länder übt: "dieses System verstößt gegen den Plan Gottes", sagt der Papst. Außerdem bittet er bei dem Treffen um Vergebung für das Unrecht, das katholische Missionare an der Urbevölkerung Lateinamerikas begangen haben.

Schlagartig meldet sich der Papst nach der Sommerpause wieder zu Wort. Am 1. September erteilt er zum bevorstehenden Heiligen Jahr der Barmherzigkeit allen Priestern weltweit die Vollmacht, im Jubiläumsjahr auch im Fall von Abtreibungen die Absolution zu erteilen und empfängt den seit 20 Jahren suspendierten französischen Bischof Jacques Gaillot zu einem privaten Gespräch. Am 6. September ruft Papst Franziskus alle Pfarren, religiöse Gemeinschaften, Klöster und Heiligtümer in Europa auf, eine Flüchtlingsfamilie aufzunehmen; denn die beispiellose Welle an Vertriebenen und Kriegsflüchtlingen erreicht in nie zuvor gesehenem Ausmaß Europa.

 

Franziskus besucht Kuba und die USA

Von 19. bis 28. September steht die bisher längste Auslandsreise von Papst Franziskus auf dem Programm: Kuba und die USA. In Kuba trifft der lateinamerikanische Papst den sozialistischen Präsidenten Raul Castro und dessen Bruder, den vormaligen Revolutionsführer Fidel Castro. Bei einer Messe in Havanna verurteilt Franziskus Cliquenwirtschaft und warnt vor einer Vereinnahmung christlicher Werte durch politische Ideologie. In den USA spricht er als erster Papst vor dem US-Kongress, also dem Parlament in Washington, außerdem hält er eine Rede vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen in New York. Er besucht „Ground Zero" und spricht den spanischen Franziskaners Junipero Serra heilig. Anlass der Reise ist das Weltfamilientreffen in Philadelphia. Dort sagt Franziskus vor einer Million Menschen, die Zukunft des Planeten hänge vom Zusammenhalt der gesamten Menschheit ab. Die Frage, welche Welt die Menschen von heute ihren Kindern hinterlassen wollen, müssten sie über alle Grenzen von Herkunft und Religion hinweg gemeinsam beantworten.

 

Zweite Bischofssynode zum Thema Ehe und Familie

4. bis 25. Oktober tagt die Vollversammlung der Bischofssynode im Vatikan, das vielleicht wichtigste kirchliche Ereignis des Jahres. Mit einem Appell für Barmherzigkeit und einem Bekenntnis zur Unauflöslichkeit der Ehe eröffnet der Papst die Synode und ermutigt die rund 270 Bischöfe, Kardinäle und Ordensobere und 90 Beobachter zu offenem Reden. Drei Wochen lang wird im Vatikan über Ehe und Familie diskutiert. Zwischendurch entsteht Wirbel um die Veröffentlichung eines Beschwerdebriefes an den Papst, in dem 13 Kardinäle Sorge über eine Manipulation der Bischofssynode durch reformorientierte Kräfte äußern. Papst Franziskus selbst fordert bei einem Festakt zum 50-jährigen Bestehen der Welt-Bischofssynode eine synodale Kirche auf allen Ebenen. Am 21. Oktober veröffentlichen die Sprachgruppen bei der Familiensynode in Rom ihre Abschlussberichte. Theologisch sehr breit aufgestellt, aber konsensorientiert ist die deutsche Sprachgruppe. Sie schlägt u.a. vor, dass für wiederverheiratete Geschiedene ein Priester im Gespräch mit dem jeweils Betroffenen klären soll, ob nach der Schließung einer weiteren Zivilehe „ein Zugang zu den Sakramenten möglich ist". Die Kardinäle und Bischöfe der Kleingruppe formulieren zudem ein bemerkenswertes Schuldbekenntnis und beklagen, dass die Seelsorge durch „harte und unbarmherzige Haltungen" oft Leid über Menschen gebracht habe. Am Ende der gesamten Bischofssynode steht ein Kompromiss, der einige Fortschritte und viel Vertiefung in Theologie und Pastoral zu Ehe und Familie bedeutet. Mit seinen 94 Absätzen schlägt das Schlussdokument in strittigen Fragen wie beim Thema wiederverheiratete Geschiedene keine Türen zu, sondern lässt Raum für eine wachsende Integration. Worauf es allerdings ankommt, ist nicht dieses Papier, sondern der Papst und sein Nachsynodales Schreiben, das noch aussteht.

 

Von Skandalen, Skandälchen und Enthüllungsbüchern

4. November - Zwei neue Bücher der italienischen Enthüllungsjournalisten Gianluigi Nuzzi und Emiliano Fittipaldi über Misswirtschaft im Vatikan und Widerstände der Kurie gegen Papst Franziskus sorgen für internationales Aufsehen. Veröffentlicht werden darin auch vertrauliche Unterlagen und ein geheimer Audiomitschnitt, auf dem der Papst zu hören ist. Ein ranghoher vatikanischer Geistlicher, sein ehemaliger Mitarbeiter und eine italienische PR-Fachfrau sollen den Journalisten die interne Dokumente zugespielt haben. Ende November eröffnet der Vatikan in der Causa einen Strafprozess gegen die fünf Beteiligten wegen Geheimnisverrat.

15. November - Papst Franziskus besucht die deutschsprachige evangelisch-lutherischen Gemeinde in Rom. Für Verwirrung sorgt seine Antwort auf die Frage einer mit einem italienischen Katholiken verheirateten Protestantin nach einer möglichen Abendmahlsgemeinschaft. Manche Kommentatoren folgern aus den Worten Franziskus', er habe zur Interkommunion ermuntert. Stimmen aus dem Vatikan widersprechen einer solchen Deutung.
 

Franziskus besucht Afrika

Ende November reist Franziskus zum ersten Mal in seinem Pontifikat nach Afrika: Zielländer sind Kenia, Uganda und - ungeachtet vieler Sicherheitsbedenken im Vorfeld - die Zentralafrikanische Republik. In einem Slum in Kenias Hauptstadt Nairobi prangert der Papst die Verelendung von Millionen Menschen an. Kleine Minderheiten horteten Macht und Reichtum und frönten egoistischer Verschwendung, während die wachsende Mehrheit in verwahrlosten und verseuchten Randzonen hausen müsse. In Uganda besucht Franziskus nicht nur das Heiligtum der katholischen Märtyrer des Landes, sondern auch das der anglikanischen. Bemerkenswert das Treffen mit dem obersten Vertreter der Muslime in Kenia, einem Land, das besonders schwer von islamistischem Terror betroffen ist. In Bangui in der Zentralafrikanischen Republik besucht der Papst ein Flüchtlingslager und mahnt zum Frieden in dem Land, wo es gewaltige Spannungen zwischen Christen und Muslimen gibt. Besonders symbolträchtig: In Bangui eröffnet der Papst bereits eine Woche vor dem offiziellen Beginn in Rom das „Heilige Jahr der Barmherzigkeit".

Am 8. Dezember öffnet Franziskus die Heilige Pforte des Petersdoms. Im Heiligen Jahr sollten sich die Gläubigen die Haltung des barmherzigen Samariters zu eigen zu machen, fordert der Papst zum Auftakt des Jubeljahres. „Wir müssen die Barmherzigkeit dem Gericht voranstellen." In seiner Predigt ruft er am 50. Jahrestag des Konzilsendes 1965 auch zu einer weiteren Öffnung der Kirche für die Welt im Sinne des Zweiten Vaticanums auf.
 

Weihnachtsansprache an die Kurie

Advent im Vatikan: am 22. empfängt der Papst die Kurienmitarbeiter zur traditionellen Weihnachtsansprache. Letztes Jahr präsentierte er einen von vielen als Kritik empfundenen Katalog der 15 kurialen Krankheiten, diesmal legte er – unter dem Stichwort „Antibiotika“ - einen „Katalog der notwendigen Tugenden" vor und forderte die Kurienleute unter anderem zu Großherzigkeit, nüchternem Lebensstil und Rechtschaffenheit auf. Und er äußerte sogar Lob. Alle Skandale und „Kurienkrankheiten“ könnten nicht die „Effizienz der Dienste“ überdecken, die die römische Kurie mühevoll „mit Verantwortung, Engagement und Hingabe für den Papst und die ganze Kirche“ leiste, so Papst Franziskus zwei Tage vor Weihnachten.

Der Christbaum auf dem Petersplatz ist in diesem Jahr made in Germany, er stammt aus der Oberpfalz in Bayern. Die Krippe hingegen kommt aus der Provinz Trient, und wenn sie am 2. Februar auf dem Petersplatz abgebaut wird, dann wird sie verpackt und weitergeschenkt: auf ausdrücklichen Wunsch von Papst Franziskus kommt die lebensgroße Krippe nach Betlehem und wird dort die Geburtskirche schmücken. Leise und versöhnlich klingt das Jahr aus.

(rv/kap 26.12.2015 gs)








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