2017-09-25 14:49:00

Kinderschutz-Kommission: Stimmen der Opfer hörbarer machen


Die Stimme der Opfer von Missbrauch durch Kleriker noch besser als bisher hörbar machen, weiter an den Richtlinien für die lokalen Bischofskonferenzen arbeiten und mit ungebrochenem Einsatz bei der Aufklärung und Ausbildung von Kirchenmitarbeitern und Geistlichen arbeiten: Das sind die Ziele für die Arbeit der vatikanischen Kinderschutzkommission, die einem neuen Kapitel entgegenblickt. Das Gremium tagte bis Sonntag zu seiner vorerst letzten Vollversammlung in der angestammten Besetzung, die das erste Triennium der Kommission gestaltet hat.

Am Donnerstag, zum Auftakt ihrer viertägigen Versammlung, empfing der Papst die Kommissionsmitglieder in Audienz und teilte mit ihnen seine persönliche Ansicht über die Arbeit der Kommission. Dabei hatte er auch bekannt gegeben, dass diese ihre Arbeit über den bisher bekannten zeitlichen Horizont hinaus weiterführen soll. Pater Hans Zollner S.J. ist Mitglied der ersten Stunde der Kommission. Wir haben ihn gebeten, uns die Errungenschaften der vergangenen Jahre zu erläutern:

„Das Erste: diese Kommission hat vor dreieinhalb Jahren noch nicht existiert und in den dreieinhalb Jahren ist eine ganze Menge geschehen. Das wichtigste Ergebnis ist nicht direkt sichtbar, weil es sich aus vielen Teilen zusammensetzt: durch die Existenz der Kommission, durch die wiederholten und sehr starken Äußerungen des Papstes und anderer Leute im Vatikan und in den Lokalkirchen, ist das Thema Intervention und Prävention von sexuellem Missbrauch von Minderjährigen durch Kleriker ein Thema geworden, das in allen Ortskirchen der Welt präsent ist. Es geht nicht mehr weg, man kann nicht mehr hoffen, dass es morgen vorbei ist.“

Was die Kinderschutzkommission in diesen drei Jahren getan hat

Etwa 200 Schulungsmaßnahmen für Bischofskonferenzen, Ordensleute und kirchliche Bildungseinrichtungen hat die Kommission in den vergangenen Jahren auf dem gesamten Erdball durchgeführt. Dem Papst haben die Mitglieder eine Liste übergeben, in der sie Mitglieder für das nächste Triennium vorschlagen, so Pater Zollner. Doch auch auf zahlreiche konkrete Initiativen blicke die Kommission zurück:

„Neben den Schulungsmaßnahmen ist das etwa der Tag des Gebets, der in Verantwortung der jeweiligen Regionalkirche für Betroffene gehalten werden soll. Dann gibt es noch ein Formular, das wir den Bischofskonferenzen zur Verfügung gestellt haben, mit dem sie ihre Leitlinien überarbeiten können. Nicht zu vergessen die wichtige Gruppe im Kontakt auf Hören auf Betroffene von Missbrauch; das ist eine Gruppe gewesen, die sehr oft getagt hat und die sich auch sehr oft mit Betroffenen getroffen hat und uns als Gruppe immer wieder die Rückmeldungen von diesen Betroffenen übermittelt hat.“

Doch unabhängig davon stehe jedes einzelne Mitglied der Kommission in unentwegtem Austausch mit Betroffenen – unabdingbar für ein erfolgreiches Arbeiten des Gremiums, das das schwierige Thema des sexuellen Missbrauchs Minderjähriger durch Kleriker zu bearbeiten hat. Auch eine „theologische und spirituelle Reflexion zu diesem Thema“ sei mittlerweile angegangen worden, berichtet Pater Zollner. Doch vor allem in ihren ersten Jahren habe die Kommission mit einer übersteigerten Erwartungshaltung der Öffentlichkeit zu kämpfen gehabt.

Wofür die Kinderschutzkommission nicht zuständig ist

„Auch wenn wir tausendmal gesagt haben, dass diese Kommission nicht für Rechtsfragen zuständig ist, sie keine juristische Kompetenz hat, weder für die Kirche, noch für andere Zusammenhänge. Dass sie nicht auf einzelne Fälle eingehe kann, weil das weder unsere Aufgabe ist, noch die Kompetenz der Mitglieder. Der Großteil von uns sind keine Rechtsexperten und kann sich nicht mit einzelnen Fällen auseinandersetzen. Außerdem gibt es da die Organe im Heiligen Stuhl, die das verfolgen müssen und können. Das eine ist die Erwartungshaltung, dass durch das Schaffen dieser Kommission überhaupt keine Fälle mehr auftauchen werden und dass alle Fälle sofort gelöst werden. Das ist unrealistisch und nicht unserem Auftrag entsprechend.“

Diesem entspreche eher, ein Bewusstsein für das heikle Thema zu wecken und ihm eine Plattform zu geben. Auch und gerade in jenen Ländern – Zollner spricht von „etwa drei Viertel aller Länder weltweit“ - , in denen dieses Thema noch nicht diskutiert werde, sei es in der Kirche, sei es auf staatlicher Ebene.

„Die zweite Schwierigkeit, die wir hatten: unsere Mitglieder kommen von allen Kontinenten. Manche haben Institutionen, denen sie angehören und mit denen sie arbeiten können. Andere sind als Privatpersonen ernannt worden, weil sie eine besondere Expertise oder Kompetenz in einem bestimmten Bereich haben. Aber wir haben uns einfach zu viel vorgenommen. Wir sind mit 16 Arbeitsgruppen gestartet und haben das dann auf sechs reduziert, weil wir gemerkt haben, dass wir uns bei der schieren Größe unseres Vorhabens konzentrieren müssen auf die Dinge, die am ehesten machbar sind und die am dringendsten gemacht werden müssen.“

Tipp an den Papst: einen Opfer-Beirat einzurichten

Eine der Prioritäten der künftigen wie auch der bisherigen Arbeit liege darin, die Stimme der Betroffenen „in Klarheit und Bestimmtheit für uns und die Öffentlichkeit“ hörbar zu machen, erklärt Pater Zollner. Dem Papst sei nach einem breit angelegten Konsultationsprozess der Vorschlag unterbreitet worden, eine Art Opfer-Beirat einzurichten, nach dem Vorbild englischer und deutscher Aufarbeitungskommissionen, die mit Experten besetzt sind.

Nach dem Ausscheiden von Marie Collins im vergangenen März gibt es derzeit kein offizielles Kommissions-Mitglied mit bekannten Missbrauchserfahrungen, allerdings ist die Irin nach wie vor bei Schulungsveranstaltungen der Kommission aktiv. Vor allem die mangelnde Schnelligkeit, mit der die einzelnen Dikasterien auf Missbrauchsanzeigen der gesamten Welt eingingen, habe sie eigener Aussage nach zu ihrem Schritt bewogen. Das Problem hatte auch Papst Franziskus in seiner Rede an die Kommissionsmitglieder benannt und versprochen, personelle Aufstockungen insbesondere in der Glaubenskongregation vornehmen zu lassen. Pater Zollner:

„Das betrifft nicht nur die Glaubenskongregation, es kommen in vielen Ministerien solche Briefe an. Viele Zusendungen kommen zum Beispiel bei der Kinderschutzkommission an. Ich selbst bekomme als Mitglied jede zweite Woche eine solche Zusendung, in verschiedenen Sprachen, mit verschiedenen Rechtshintergründen, mit verschiedenen Sachständen. Und darauf zu reagieren ist nicht einfach. Aber ich weiß, dass die Dikasterien daran arbeiten, auch was die Mitverantwortung von Bischöfen bei Vertuschung angeht. Dazu hat der Papst vor einem guten Jahr auch eine entsprechende Maßgabe gegeben, aber die Umsetzung zwischen verschiedenen Ministerien ist nicht einfach. Ich weiß, dass daran gearbeitet wird und wir haben uns auch als Kommission darauf verständigt, den Papst zu bitten, für mehr Kohärenz und eine schnellere Antwort zu sorgen.“

„Wir haben einen Blick auf die päpstlichen Diplomaten“

Null Toleranz bei Missbrauch durch Klerikern: Auch dies hatte Papst Franziskus bei seiner Audienz am Donnerstag versprochen. Erst Mitte September war bekannt gegeben worden, dass ein päpstlicher Diplomat, akkreditiert in Washington, im Verdacht steht, pädopornographisches Material zu besitzen. Der betreffende Geistliche befindet sich derzeit im Vatikan, wo gegen ihn ermittelt wird. Wie Pater Zollner uns bestätigt, ist auch der Vatikanapparat selbst im Fokus der Kommission.

„Wir haben vor etwa anderthalb Jahren begonnen mit entsprechenden Gremienstrukturen, Dikasterien zu arbeiten. Wir haben auch weiterhin eine ganze Reihe von Vorschlägen. Wir wollen auch noch die Ministerien besuchen, bei denen wir es bisher nicht machen konnten. Wir haben den Blick auch sehr stark auf die diplomatischen Vertreter des Heiligen Stuhls in den verschiedenen Ländern gerichtet und wollen das fortführen, was wir vor anderthalb Jahren schon begonnen haben, als wir die Diplomatenschule in Rom besucht haben und mit den künftigen diplomatischen Vertretern über diese Thematik gesprochen haben.“

„Der Papst öffnet sein Herz für die Opfer“

Viel bleibt also noch zu tun für die Kommission, die als eine der ersten Empfehlungen des Kardinalsrates K9, der den Papst berät, ins Leben gerufen wurde. Zwar sei es zu diesem Zeitpunkt ungewiss, wie die Kommission im neuen Jahr besetzt sein werde, doch viele Empfehlungen der Kommissionsmitglieder an ihre Nachfolger im Amt seien bereits schriftlich festgehalten worden, erzählt Pater Zollner. Besonders wichtig dabei: Die Stimme der Betroffenen, die „intensiv in den Beratungsprozess des Heiligen Vaters“ einfließen müsse. Denn der nimmt die Stimme der Betroffenen sehr ernst. Pater Zollner erinnert sich:

„Ich habe das selbst bemerkt, 2014, als er zwei deutsche, zwei englische und zwei irische Betroffene von Missbrauch in Santa Marta getroffen hat. Er hat einen ganzen Vormittag mit ihnen dort verbracht und sich eine knappe Stunde Zeit genommen, um mit jedem einzelnen zu sprechen. Er geht dort ganz auf, ist ganz bei diesen Menschen, sein Herz geht unglaublich weit auf und er bleibt dann auch dabei, was immer auch gesagt wird. Es gibt Menschen, die ihn sehr hart angegangen sind, die sehr wütend waren und ihn angeschrien haben. Dann gibt es wieder welche, die das auf eine andere Art ausdrücken, aber egal was da kam, er blieb emotional und relational bei diesen Menschen. Und er hat am Donnerstag einen Satz gesagt, der für mich der eindrucksvollste überhaupt war, ,Ich habe von dieser Begegnung mit den Betroffenen von vor drei Jahren viel gelernt´.“

Das habe der Papst ihm auch im Anschluss an die Audienz im persönlichen Gespräch bestätigt, er erinnere sich sehr gut an die Begegnung und trage die Betroffenen in seinem Gebet. Man merke an dieser und anderen Einzelheiten, wie wichtig das Thema dem Papst sei, betont Pater Zollner, der sich eine Vorbildfunktion des Papstes für alle Verantwortungsträger in der Kirche erhofft:

„Dieser Papst ist sehr ehrlich, mit sich selbst, auch mit sich in seiner Rolle, und er hat gesagt, ich habe gelernt und ich glaube, dass das eine wichtige Aussage ist für Bischöfe und Verantwortungsträger in der Kirche, die sie sich selbst zu Herzen nehmen müssen und vom Papst persönlich lernen sollten.“ 

(rv 25.09.2017 cs)








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