2014-07-08 10:47:40

Papst trifft Missbrauchsopfer: „Es muss ein Beispiel für alle Bischöfe und Oberen sein“


RealAudioMP3 Drei Stunden lang hat Papst Franziskus an diesem Montag, den 7. Juli, sechs ausgewählten Opfern von Missbrauch durch Priester zugehört. Die beiden Deutschen unter ihnen wurden von dem Jesuiten und Psychologie-Professor Pater Hans Zollner begleitet. Pater Bernd Hagenkord sprach mit Zollner über diese lange, intensive und emotionsgeladene Begegnung im Haus des Papstes.

„Als Eindruck bleibt mir, dass es sehr dicht war und dass die Atmosphäre zunächst sehr angespannt war, vor allem bei den Betroffenen von Missbrauch. Manche wollen nicht, dass man sagt, sie seien Opfer, deswegen sage ich ‚Opfer und Betroffene’. Ich kann schon sagen, dass von allen, die ich gesehen habe, und auch bei den beiden, wo ich als Übersetzer mit dabei war, die Stimmung und das Empfinden danach von einer großen Dankbarkeit war, von einer großen Gelöstheit und von einer Hoffnung, dass es weitergeht, auch wenn nicht alles gelöst ist. Das war ein ganz wichtiger Schritt, wie es jemand formuliert hat, dem Papst gegenüber zu sitzen, dem Papst sagen zu können, was an Missbrauch geschehen ist und dem, was sie in den Reaktionen der Bistumsleitungen erlebt haben und was sie unter Umständen noch weiter verletzt hat - im Vatikan, in Sichtweite des Petersdoms, im Herzen der Kirche - das dem obersten Hirten der Kirche sagen zu können, wie sehr sie das verletzt hat, dass ein Priester sie missbraucht hat. Für mich ist die bewegendste Erkenntnis einfach, dass es diese Art von Zuhören braucht, um an diese Art von tiefer Verwundung und Verletzung überhaupt irgendwie heranzukommen und eine Möglichkeit zu finden, Vertrauen, das so bitterlich enttäuscht worden ist, wie jemand auch gesagt hat: zerstört worden ist, vielleicht in gewisser Weise wieder aufbauen zu können.“

Die Begegnung zwischen dem Papst und diesen Opfern und Betroffenen von Missbrauch geht ja auf die nicht mehr ganz so neue Päpstliche Kommission zurück, der sie angehören. Sie haben sich am Sonntag getroffen. Was war der Hintergedanke, ein solches Treffen im Vatikan zu arrangieren, mit einer ausgewählten, kleinen Gruppe von Betroffenen und Opfern? Was wollten Sie dadurch erreichen?

„Es war für uns in der Kommission ganz klar, dass es so bald wie möglich eine Begegnung des Heiligen Vaters mit Opfern und Betroffenen von Missbrauch geben muss. Diese Idee kam speziell auch von Frau Collins, die selber ein Opfer von Missbrauch ist und Mitglied der Päpstlichen Kommission zum Schutz von Minderjährigen ist. Die Idee ist einerseits zu signalisieren: der Papst hört zu, der Papst ist bereit, das, was Hirten der Kirche an Verbrechen und Sünde begangen haben, auch anzuhören, es aufzunehmen, es in gewisser Weise mitzutragen und damit seiner obersten Hirtenfunktion gerecht zu werden. Auf der anderen Seite einer kleine Zahl von Betroffenen und Opfern die Möglichkeit zu geben, einen Schritt weiter hin zur Versöhnung zu gehen, wie das auch jemand so formuliert. Und drittens dem Heiligen Vater direkt vor Augen und zu Gehör zu bringen, was es bedeutet, Missbrauchsopfer zu sein und was es auch für Folgen haben muss, sowohl was die Aufsichtspflicht, die Verantwortung von Bischöfen und Ordensoberen angeht, als auch was die Aufnahmekriterien für Priesteramtskandidaten angeht. Wie das auch jemand von den Betroffenen formuliert hat: Es ist halt notwendig, alles zu tun, damit keine Opfer entstehen.“

Eine leise Kritik an dem Treffen und am Papst ist ja, dieses Treffen sei zwar sehr gut und sehr symbolisch, aber wo ist jetzt die Realität? Was bewirkt das? Bringt das den Prozess der Aufarbeitung voran?

„Auf der persönlichen Ebene kann ich selber sagen, auch weil ich die beiden deutschen Beteiligten begleitet habe, die hier angereist sind: von dem Moment an, als sie erfuhren, dass sie eingeladen werden konnten, hat ein Prozess begonnen, in dem sie einerseits nochmals alles wieder erlebt haben. Auch die ganze Wut, der ganze Schmerz, die ganze Enttäuschung, das zerstörte Vertrauen ist nochmals sehr lebendig geworden und hat sie sehr mitgenommen. Die Geschichten, die in dem einen Fall 40 und im anderen Fall 15 Jahre zurückliegen, kamen nochmals vor Augen und wurden so gespürt und lebendig wie damals. Dass sie dann aber auch – ich konnte das begleitend sehen – einen Prozess durchgemacht haben, wo sie Schritt für Schritt auch für sich Klärungen finden konnten. Zum einen einfach auch über den Schmerz und die Enttäuschung und die Erwartung an dieses Treffen zu reden, und dann auch zu formulieren, welche Erwartungen sie – nicht an den Heiligen Vater – haben, sondern was sie auch für sich selber erwarten von diesem Ereignis und zum Beispiel ob es einen Sinn hat, an die Öffentlichkeit zu gehen mit dem Namen, ihrer selbst oder des Missbrauchstäters, und dann so zu einer inneren Empfindung zu kommen – es ist gut so jetzt für mich, ich habe einen wichtigen Schritt für mich selber getan über eine Hürde hinweg, die bisher für mich so stark war, dass ich mich nicht an einen inneren Kern des Schmerzes herangetraut habe. Und heute ist das auch möglich geworden. Und ich konnte dem begegnen, und das ist ein weiterer Schritt, wie gesagt, hin auf einer größere Lösung und – wie das jemand ausgedrückt hat – Erlösung hin. Ich weiß, dass Leute sagen, das ist einfach nur Augenwischerei, das waren ja nur sechs Leute, was ist mit all den anderen? Ich glaube, das was natürlich zum einen eine ganz starke Botschaft für die sechs war, die hier waren. Aber auch für viele Opfer und Betroffene von Missbrauch, die daran auch partizipieren können. Ich habe die Leute, die hier waren, auch eingeladen, das mitzuteilen, auf welche Art und Weise müssen wir noch sehen. Aber ich glaube, es ist auch eine sehr starke Botschaft, wenn der Papst selbst an diesem Montagmorgen sich drei Stunden Zeit genommen hat, um sechs Leuten zuzuhören und ihren Schmerz ausgehalten hat, und sie angesehen hat in diesem Schmerz und geschwiegen hat, dabeigesessen ist, und einfach das, was er auch am Anfang der Predigt gesagt hat, den Blick Jesu ausgehalten hat, der Petrus anschaut, in dem Moment in dem Petrus ihn verleugnet hat, und merkt, was da an Schmerz und gleichzeitig an Erwartung, von Erlösungsbereitschaft da ist.“

Das sind jetzt sechs Betroffene, aber was heißt das weltkirchlich, wenn es nicht nur Symbol ist?

„Ich glaube es ist sehr klar geworden, wenn der Papst Missbrauchsopfern zuhört, dann kann das nicht nur, sondern dann muss das ein Beispiel für alle Bischöfe sein, für alle Ordensoberen und Verantwortlichen in der Kirche, die so einer Person begegnet, die durch einen Priester zutiefst verletzt ist. Das ist menschlich gesprochen sehr schwierig auszuhalten. Der Papst hat sich dem gestellt. Und das ist auch eine Ermutigung, ich würde sagen eine starke und deutlich Aufforderung an Bischöfe, es ihm gleichzutun und sich die Zeit zu nehmen. Für mich selber war das mit das Bewegendste auch zu hören, von diesen Personen, die über sich selbst, ihren Weg und ihre Leben gesprochen haben, dass der tiefste Schmerz dieser Personen vielleicht darin liegt, dass es ein Priester war, der sie missbraucht hat, in den sie Vertrauen gesetzt hatten. Und dass damit ihr Vertrauen und ihre Möglichkeit zu glauben, sich Mitglied einer Kirche fühlen zu können, zerstört worden ist und ihre Fähigkeit zum Beispiel zu beten. Und dass das jetzt durch diese Einladung, durch das Herkommen, alle Begegnungen, durch - wie es jemand formuliert hat - durch die Achtsamkeit, die spürbar war in den ganzen Begegnungen, auch mit der Gruppe, der Kommission, die anderen Betroffenen und Opfern, dass das vielleicht eine Tür geöffnet hat, um eben wieder mit Gott reden zu können.“

Abschließende Frage zur Kommission: Was werden die nächsten Schritte sein?

„Der nächste konkrete Schritt ist, dass wir eine Liste gemacht haben von möglichen weiteren Mitgliedern, die sich hauptsächlich aus Kontinenten rekrutieren werden, die bisher nicht vertreten waren, Afrika und Asien. Wir hoffen, dass diese Mitglieder so bald wie möglich ernannt werden können und beim nächsten Treffen im Oktober auch dabei sein können. Erst dann können wir von der eigentlichen Kommission reden. Diese Kommission wird sich dann, ich hoffe bald, damit abschließend beschäftigen können, was sind die Statuen, welches Rechtsstatut hat es, welche Möglichkeiten hat die Kommission beratend einzugreifen, welche Struktur wird das operativ haben. Wir hoffen, dass wir bald ein Büro haben werden mit jemandem, der die Treffen, die bisher praktisch von Pater Oliver selber organisiert werden mussten, übernehmen kann. Dann gibt es verschiedene Arbeitsgruppen, auch darüber haben wir gesprochen, schon bei der letzten Pressekonferenz im Mai, die die verschiedenen Themenfelder, die mit dem Thema Missbrauch in der Kirche zu tun haben werden, in gewissem Sinn eigenverantwortlich vorantreiben werden. Da geht es um Erziehung, Bildung, Fortbildung, um Fragen der Priesterbildung, um rechtliche Fragen, welche Verantwortung etwa hat der Heilige Stuhl, wie können die Bischöfe zur Verantwortung gezogen werden, was der Papst ja heute auch sehr stark in seiner Predigt erwähnt hat, welche Mitverantwortung hat ein Bischof, ein Oberer. Ich bin sehr froh, dass wir ein sehr gutes Klima der Zusammenarbeit haben, mit sehr deutlichen Positionen, die ausgetauscht werden. Kardinal O`Malley ist ein sehr guter Moderator und Mediator. Wir werden darauf achten, dass es eine gleiche Zahl von Männern und Frauen gibt auch in der größeren Kommission, die noch vier bis fünf weitere Personen umfassen wird.“

(rv 08.07.2014 ord)









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