Der Text der Weihnachtsansprache an die Kurie: „Ins Meer der Wahrheit hinaus fahren“
Mit großer Freude begegne ich ihnen heute, liebe Mitglieder des Kardinalskollegiums
sowie Vertreter der Römischen Kurie und des Governatoratos an diesem traditionellen
Moment vor dem Weihnachtsfest. Herzlich begrüße ich jeden einzelnen, angefangen bei
Kardinal Angelo Sodano, dem ich für seine schönen Worte und die herzlichen Glückwünsche
danke, die er auch in Ihrem Namen an mich gerichtet hat. Der Kardinal Dekan hat uns
an einen Satz erinnert, der in der lateinischen Liturgie in diesen Tagen häufig wiederkehrt:
Prope est iam Dominus, venite, adoremus! Der Herr ist nahe, kommt, wir beten ihn an!
Auch wir machen uns bereit, in der Grotte von Bethlehem das Kind anzubeten, das Gott
selber ist – der Gott, der uns so nahe gekommen ist, daß er ein Mensch wurde wie wir.
Gerne erwidere ich die Glückwünsche und danke allen von Herzen, einschließlich der
Päpstlichen Vertreter in aller Welt, für ihre großherzige und qualifizierte Mitarbeit,
mit der jeder von Ihnen zu meinem Dienst beisteuert.
Wir stehen am Ende eines
Jahres, das wieder in Kirche und Welt von vielerlei Bedrängnissen, von großen Fragen
und Herausforderungen, aber auch von Zeichen der Hoffnung geprägt war. Ich nenne nur
einige Einschnitte im Bereich des Lebens der Kirche und meines Petrusdienstes. Da
waren zunächst die Reisen nach Mexiko und Kuba – unvergeßliche Begegnungen mit der
tief im Herzen der Menschen verwurzelten Kraft des Glaubens und mit der Freude am
Leben, die aus dem Glauben kommt. Ich denke daran, wie nach der Ankunft in Mexiko
auf dem langen Weg, der zu durchfahren war, endlose Scharen von Menschen grüßten und
winkten. Ich denke daran, wie auf der Fahrt nach Guanajuato, der malerischen Hauptstadt
des gleichnamigen Staates, junge Menschen ehrfürchtig an der Seite der Straße knieten,
um den Segen des Petrusnachfolgers zu empfangen; wie der große Gottesdienst in der
Nähe der Christkönigs-Statue zu einer Vergegenwärtigung von Christi Königtum wurde
– seines Friedens, seiner Gerechtigkeit, seiner Wahrheit. Dies alles geschah auf dem
Hintergrund der Probleme eines Landes, das unter vielfältigen Formen der Gewalt und
unter den Nöten wirtschaftlicher Abhängigkeit leidet. Es sind Probleme, die gewiß
nicht einfach durch Frömmigkeit gelöst werden können, aber erst recht nicht ohne jene
innere Reinigung der Herzen, die aus der Kraft des Glaubens, aus der Begegnung mit
Jesus Christus kommt. Und da war das Erlebnis Kuba – auch hier die großen Gottesdienste,
in deren Singen, Beten und Schweigen die Gegenwart dessen spürbar wurde, dem man den
Platz im Land lange hatte verweigern wollen. Die Suche nach einem rechten Ansatz für
das Verhältnis von Bindung und Freiheit in diesem Land kann gewiß nicht gelingen ohne
einen Anhalt an jene Maßstäbe, die der Menschheit in der Begegnung mit dem Gott Jesu
Christi aufgegangen sind.
Als weitere Haltepunkte des vergangenen Jahres möchte
ich nennen: das große Fest der Familie in Mailand sowie den Besuch im Libanon mit
der Übergabe des Nachsynodalen Apostolischen Schreibens, das nun im Leben der Kirchen
und der Gesellschaft des Nahen Ostens Wegweisung werden soll auf den schwierigen Wegen
der Einheit und des Friedens. Das letzte wichtige Ereignis dieses abgelaufenen Jahres
war dann die Synode über die Neuevangelisierung, die zugleich ein gemeinsamer Beginn
für das Glaubensjahr gewesen ist, mit dem wir der Eröffnung des II. Vatikanischen
Konzils vor 50 Jahren gedenken, um es in der veränderten Situation neu zu verstehen
und neu anzueignen.
Mit all diesen Anlässen sind grundlegende Themen unseres
geschichtlichen Augenblicks angesprochen: Familie (Mailand) – Dienst am Frieden in
der Welt und Dialog der Religionen (Libanon) sowie die Verkündigung der Botschaft
Jesu Christi in unserer Zeit an jene, die ihm noch nicht begegnet sind und an die
vielen, die ihn nur von außen kennen und so gerade nicht er-kennen. Von diesen großen
Themenkreisen möchte ich vor allem das Thema Familie und das Wesen des Dialogs etwas
näher beleuchten, um dann noch eine kurze Anmerkung über das Thema der neuen Evangelisierung
anzufügen.
Die große Freude, mit der in Mailand Familien aus aller Welt einander
begegnet sind, zeigt, daß die Familie trotz aller gegenteiligen Eindrücke auch heute
stark und lebendig ist. Aber unbestreitbar ist doch auch die Krise, die sie - besonders
in der westlichen Welt – bis auf den Grund bedroht. Es war beeindruckend, daß in der
Synode immer wieder die Bedeutung der Familie als der genuine Ort herausgestellt wurde,
in dem die Grundformen des Menschseins weitergegeben werden. Sie werden erlernt, indem
sie miteinander gelebt und auch erlitten werden. So wurde deutlich, daß es bei der
Frage nach der Familie nicht nur um eine bestimmte Sozialform geht, sondern um die
Frage nach dem Menschen selbst – um die Frage, was der Mensch ist und wie man es macht,
auf rechte Weise ein Mensch zu sein. Die Herausforderungen, um die es dabei geht,
sind vielschichtig. Da ist zunächst die Frage nach der Bindungsfähigkeit oder nach
der Bindungslosigkeit des Menschen. Kann er lebenslang sich binden? Ist das seinem
Wesen gemäß? Widerspricht es nicht seiner Freiheit und der Weite seiner Selbstverwirklichung?
Wird der Mensch er selber, indem er für sich bleibt und zum anderen nur Beziehungen
eingeht, die er jederzeit wieder abbrechen kann? Ist Bindung für ein Leben lang Gegensatz
zur Freiheit? Ist die Bindung auch des Leidens wert? Die Absage an die menschliche
Bindung, die sich von einem falschen Verständnis der Freiheit und der Selbstverwirklichung
her wie in der Flucht vor der Geduld des Leidens immer mehr ausbreitet, bedeutet,
daß der Mensch in sich bleibt und sein Ich letztlich für sich selbst behält, es nicht
wirklich überschreitet. Aber nur im Geben seiner Selbst kommt der Mensch zu sich selbst,
und nur indem er sich dem anderen, den anderen, den Kindern, der Familie öffnet, nur
indem er im Leiden sich selbst verändern läßt, entdeckt er die Weite des Menschseins.
Mit der Absage an diese Bindung verschwinden auch die Grundfiguren menschlicher Existenz:
Vater, Mutter, Kind; es fallen wesentliche Weisen der Erfahrung des Menschseins weg.
Der
Großrabbiner von Frankreich, Gilles Bernheim, hat in einem sorgfältig dokumentierten
und tief bewegenden Traktat gezeigt, daß der Angriff auf die wahre Gestalt der Familie
aus Vater, Mutter, Kind, dem wir uns heute ausgesetzt sehen, noch eine Dimension tiefer
reicht. Hatten wir bisher ein Mißverständnis des Wesens menschlicher Freiheit als
einen Grund für die Krise der Familie gesehen, so zeigt sich nun, daß dabei die Vision
des Seins selbst, dessen, was Menschsein in Wirklichkeit bedeutet, im Spiele ist.
Er zitiert das berühmt gewordene Wort von Simone de Beauvoir: „Man wird nicht als
Frau geboren, sondern man wird dazu“. („On ne naît pas femme, on le devient“). In
diesen Worten ist die Grundlegung dessen gegeben, was man heute unter dem Stichwort
„gender“ als neue Philosophie der Geschlechtlichkeit darstellt. Das Geschlecht ist
nach dieser Philosophie nicht mehr eine Vorgabe der Natur, die der Mensch annehmen
und persönlich mit Sinn erfüllen muß, sondern es ist eine soziale Rolle, über die
man selbst entscheidet, während bisher die Gesellschaft darüber entschieden habe.
Die tiefe Unwahrheit dieser Theorie und der in ihr liegenden anthropologischen Revolution
ist offenkundig. Der Mensch bestreitet, daß er eine von seiner Leibhaftigkeit vorgegebene
Natur hat, die für das Wesen Mensch kennzeichnend ist. Er leugnet seine Natur und
entscheidet, daß sie ihm nicht vorgegeben ist, sondern daß er selber sie macht. Nach
dem biblischen Schöpfungsbericht gehört es zum Wesen des Geschöpfes Mensch, daß er
von Gott als Mann und als Frau geschaffen ist. Diese Dualität ist wesentlich für das
Menschsein, wie Gott es ihm gegeben hat. Gerade diese Dualität als Vorgegebenheit
wird bestritten. Es gilt nicht mehr, was im Schöpfungsbericht steht: „Als Mann und
Frau schuf ER sie“ (Gen 1, 27). Nein, nun gilt, nicht ER schuf sie als Mann und Frau;
die Gesellschaft hat es bisher getan, und nun entscheiden wir selbst darüber. Mann
und Frau als Schöpfungswirklichkeiten, als Natur des Menschen gibt es nicht mehr.
Der Mensch bestreitet seine Natur. Er ist nur noch Geist und Wille. Die Manipulation
der Natur, die wir heute für unsere Umwelt beklagen, wird hier zum Grundentscheid
des Menschen im Umgang mit sich selber. Es gibt nur noch den abstrakten Menschen,
der sich dann so etwas wie seine Natur selber wählt. Mann und Frau sind in ihrem Schöpfungsanspruch
als einander ergänzende Gestalten des Menschseins bestritten. Wenn es aber die von
der Schöpfung kommende Dualität von Mann und Frau nicht gibt, dann gibt es auch Familie
als von der Schöpfung vorgegebene Wirklichkeit nicht mehr. Dann hat aber auch das
Kind seinen bisherigen Ort und seine ihm eigene Würde verloren. Bernheim zeigt, daß
es nun notwendig aus einem eigenen Rechtssubjekt zu einem Objekt wird, auf das man
ein Recht hat und das man sich als sein Recht beschaffen kann. Wo die Freiheit des
Machens zur Freiheit des Sich-selbst-Machens wird, wird notwendigerweise der Schöpfer
selbst geleugnet und damit am Ende auch der Mensch als göttliche Schöpfung, als Ebenbild
Gottes im Eigentlichen seines Seins entwürdigt. Im Kampf um die Familie geht es um
den Menschen selbst. Und es wird sichtbar, daß dort, wo Gott geleugnet wird, auch
die Würde des Menschen sich auflöst. Wer Gott verteidigt, verteidigt den Menschen.
Damit
möchte ich zum zweiten großen Thema kommen, das sich von Assisi bis zur Synode über
die Neuevangelisierung durch das vergangene Jahr hindurchzieht – zur Frage über Dialog
und Verkündigung. Sprechen wir zunächst vom Dialog. Ich sehe für die Kirche in unserer
Zeit vor allem drei Dialogfelder, in denen sie im Ringen um den Menschen und sein
Menschsein präsent sein muß: den Dialog mit den Staaten; den Dialog mit der Gesellschaft,
und darin enthalten der Dialog mit den Kulturen und mit der Wissenschaft sowie schließlich
den Dialog mit den Religionen. In allen diesen Dialogen spricht die Kirche von dem
Licht her, das ihr der Glaube schenkt. Sie verkörpert aber zugleich das Gedächtnis
der Menschheit, das von den Anfängen her über die Zeiten hin Gedächtnis der Erfahrungen
und der Erleidnisse der Menschheit ist, in denen sie das Menschsein gelernt, seine
Grenzen und seine Größe, seine Möglichkeiten und seine Begrenzungen erfahren hat.
Die Kultur des Humanen, für die sie einsteht, ist aus der Begegnung zwischen Gottes
Offenbarung und menschlicher Existenz gewachsen. Die Kirche vertritt das Gedächtnis
des Menschseins gegenüber einer Zivilisation des Vergessens, die nur noch sich selbst
und ihre eigenen Maßstäbe kennt. Aber wie ein Mensch ohne Gedächtnis seine Identität
verloren hat, so verlöre auch eine Menschheit ohne Gedächtnis ihre Identität. Was
der Kirche in der Begegnung von Offenbarung und menschlicher Erfahrung gezeigt wurde,
reicht zwar über den Bereich der eigenen Vernunft hinaus, ist aber nicht eine Sonderwelt,
die den Nichtglaubenden nichts anginge. Im Mitdenken und Mitverstehen des Menschen
weitet es den Horizont der Vernunft und geht so auch diejenigen an, die den Glauben
der Kirche nicht teilen können. Im Dialog mit dem Staat und mit der Gesellschaft hält
die Kirche für die einzelnen Fragen gewiß keine fertigen Lösungen bereit. Sie wird
mit den anderen gesellschaftlichen Kräften um die Antworten ringen, die am meisten
dem rechten Maß des Menschseins entsprechen. Was sie als konstitutive und nicht verhandelbare
Grundwerte des Menschseins erkannt hat, dafür muß sie mit aller Klarheit eintreten.
Sie muß alles tun, um Überzeugung zu schaffen, die dann zu politischem Handeln werden
kann.
In der heutigen Situation der Menschheit ist der Dialog der Religionen
eine notwendige Bedingung für den Frieden in der Welt und darum eine Pflicht für die
Christen wie für die anderen Religionsgemeinschaften. Dieser Dialog der Religionen
hat verschiedene Dimensionen. Er wird zuallererst einfach ein Dialog des Lebens, ein
Dialog des Miteinander sein. Dabei wird man nicht von den großen Themen des Glaubens
sprechen – ob Gott trinitarisch ist oder wie Inspiration der Heiligen Schriften zu
verstehen sei usw. Es geht um die konkreten Probleme des Miteinander und um die gemeinsame
Verantwortung für die Gesellschaft, für den Staat, für die Menschheit. Dabei muß man
lernen, den anderen in seinem Anderssein und Andersdenken anzunehmen. Dafür ist es
nötig, die gemeinsame Verantwortung für Gerechtigkeit und Frieden zum Maßstab des
Gesprächs zu machen. Ein Dialog, in dem es um Friede und Gerechtigkeit geht, wird
von selbst über das bloß Pragmatische hinaus zu einem ethischen Ringen um die Wertungen,
die allem vorangehen. So wird der zunächst rein praktische Dialog doch auch zu einem
Ringen um das rechte Menschsein. Auch wenn die Grundentscheide als solche nicht zur
Debatte stehen, wird das Mühen um eine konkrete Frage zu einem Prozeß, in dem durch
das Hören auf den anderen beide Seiten Reinigung und Bereicherung empfangen können.
So kann dieses Mühen auch gemeinsame Schritte auf die eine Wahrheit hin bedeuten,
ohne daß die Grundentscheide geändert werden. Wenn beide Seiten von einer Hermeneutik
der Gerechtigkeit und des Friedens ausgehen, so wird die Grunddifferenz nicht verschwinden,
aber es wächst doch auch eine tiefere Nähe zueinander.
Für das Wesen des interreligiösen
Dialogs werden heute im allgemeinen zwei Regeln als grundlegend angesehen:
1) Der
Dialog zielt nicht auf Bekehrung, sondern auf Verstehen. Dadurch unterscheidet er
sich von der Evangelisierung, von der Mission.
2) Demgemäß verbleiben bei diesem
Dialog beide Seiten bewußt in ihrer Identität, die sie im Dialog für sich und für
den anderen nicht in Frage stellen.
Diese Regeln sind richtig, aber ich finde
sie doch in dieser Form zu vordergründig formuliert. Ja, der Dialog zielt nicht auf
Bekehrung, sondern auf gegenseitiges besseres Verstehen – das ist richtig. Aber die
Suche nach Erkennen und Verstehen will doch immer auch Annäherung an die Wahrheit
sein. Beide Seiten sind so im stückweisen Zugehen auf Wahrheit auf dem Weg nach vorn
und zu größerer Gemeinsamkeit, die von der Einheit der Wahrheit gestiftet wird. Was
das Festhalten an der eigenen Identität betrifft: Es wäre zu wenig, wenn der Christ
mit seinem Identitätsentscheid sozusagen vom Willen her den Weg zur Wahrheit abbrechen
würde. Dann wird sein Christsein etwas Willkürliches, bloß Positives. Er rechnet dann
offenbar gar nicht damit, daß man es in der Religion mit Wahrheit zu tun bekommt.
Demgegenüber würde ich sagen, der Christ habe das große Grundvertrauen, ja, die große
Grundgewißheit, daß er ruhig ins offene Meer der Wahrheit hinausfahren könne, ohne
um seine Identität als Christ fürchten zu müssen. Gewiß, wir haben die Wahrheit nicht,
aber sie hat uns: Christus, der die Wahrheit ist, hat uns bei der Hand genommen, und
wir wissen auf dem Weg unseres Ringens um Erkenntnis, daß seine Hand uns festhält.
Das innere Gehaltensein des Menschen von der Hand Christi macht uns frei und zugleich
sicher. Frei – wenn wir von ihm gehalten sind, können wir offen und angstlos in jeden
Dialog eintreten. Sicher sind wir, weil er uns nicht losläßt, wenn wir nicht selbst
uns von ihm lösen. Mit ihm eins stehen wir im Licht der Wahrheit.
Am Schluß
soll wenigstens noch ein kurzes Wort über die Verkündigung, die Evangelisierung stehen,
über die ja das Postsynodale Dokument im Anschluß an die Vorschläge der Väter ausführlich
sprechen wird. Ich finde, daß die wesentlichen Elemente des Vorgangs der Evangelisierung
sehr sprechend in der Erzählung des heiligen Johannes von der Berufung zweier Täuferjünger
erscheinen, die zu Jüngern Jesu Christi werden (Joh 1, 35 – 39). Da ist zunächst der
einfache Akt der Verkündigung. Johannes der Täufer zeigt auf Jesus hin und sagt: „Seht,
das Lamm Gottes!“ Der Evangelist erzählt wenig später ein ähnliches Geschehen. Diesmal
ist es Andreas, der zu seinem Bruder Simon sagt: „Wir haben den Messias gefunden“
(1, 41). Das erste und grundlegende Element ist die schlichte Verkündigung, das Kerygma,
das seine Kraft aus der inneren Überzeugung des Verkündigers schöpft. In der Erzählung
von den zwei Jüngern folgt dann das Hören und das hinter Jesus Hergehen, das noch
nicht Nachfolge, sondern eher eine heilige Neugier, eine Suchbewegung ist. Beide sind
ja Menschen, die Suchende sind, Menschen, die über den Alltag hinaus in der Erwartung
Gottes leben – in der Erwartung, daß er da ist und daß er sich zeigen wird. Von der
Verkündigung angerührt, wird ihr Suchen konkret. Sie wollen den näher kennenlernen,
den der Täufer als Lamm Gottes bezeichnet hatte. Der dritte Akt kommt dadurch in Gang,
daß Jesus sich umwendet, sich ihnen zukehrt und sie fragt: „Was sucht ihr?“ Die Antwort
der beiden ist wiederum eine Frage, die die Offenheit ihres Wartens anzeigt, die Bereitschaft
zu neuen Schritten. Sie fragen: „Rabbi, wo wohnst du?“ Jesu Antwort: „Kommt und seht!“
ist eine Aufforderung mitzugehen und im Mitgehen mit ihm sehend zu werden.
Das
Wort der Verkündigung wird da wirksam, wo im Menschen die hörende Bereitschaft für
die Nähe Gottes da ist; wo der Mensch innerlich auf der Suche und so unterwegs zum
Herrn hin ist. Dann trifft ihn die Zuwendung Jesu ins Herz hinein, und dann wird die
Begegnung mit der Verkündigung zur heiligen Neugier, Jesus näher kennenzulernen. Dieses
Mitgehen führt dorthin, wo Jesus wohnt, in die Gemeinschaft der Kirche, die sein Leib
ist. Es bedeutet Eintreten in die Weggemeinschaft der Katechumenen, die zugleich Lern-
und Lebensgemeinschaft ist, in der wir im Mitgehen Sehende werden.
„Kommt
und seht!“ Dieses Wort, das Jesus zu den beiden suchenden Jüngern sagt, sagt er auch
zu den suchenden Menschen von heute. Am Ende des Jahres wollen wir den Herrn darum
bitten, daß die Kirche trotz all ihrer Armseligkeiten immer mehr als seine Wohnstatt
erkennbar wird. Wir bitten ihn, daß er auch uns im Hingehen zu seinem Haus immer mehr
sehend macht; daß wir immer besser, immer überzeugender sagen können: Wir haben den
gefunden, auf den alle Welt wartet, Jesus Christus, wahrer Sohn Gottes und wahrer
Mensch. In diesem Sinn wünsche ich Ihnen allen von Herzen gesegnete Weihnachten und
ein glückliches Neues Jahr.