2009-11-20 14:27:10

Serbien: Erinnerung an Pavle


Eine persönliche Erinnerung an den verstorbenen Patriarchen der serbisch-orthodoxen Kirche, Pavle I., von Tihomir Popovic:
 
"An jenem 1. Juni 2000 war alles ungewöhnlich. Der Serbische Patriarch Pavle I., ein Mensch von denkbar bescheidener Ausstrahlung und monastischer Lebensweise, sollte gerade an einem Tag nach Hannover kommen, an dem in derselben Stadt auch die Eröffnung der Weltausstellung stattfand. Und dann sollte dieser stille Mensch, der in Belgrad am liebsten zu Fuß ging, zur Kirche auch noch mit einem Hubschrauber fliegen, da auf den Straßen Hannovers wegen der EXPO-Eröffnung erhöhte Staugefahr herrschte.

Wenn es aber je gelungen war, einen Anflug mit dem Hubschrauber in Bescheidenheit, Stille und Unauffälligkeit zu vollziehen, dann gelang dies Patriarch Pavle am 1. Juni 2000, als er nach Hannover kam, um die serbische orthodoxe Kirche des Hl. Sava zu weihen. Das Kirchenoberhaupt traf zu früh ein, noch bevor die Gemeindehonoratioren einen ordentlichen Empfang auf dem einige Hundert Meter von der Kirche entfernten Landeplatz organisieren konnten. Als er ausstieg, versuchten einige der schnell zu ihm geeilten Gemeindeglieder, ihn etwas aufzuhalten, um dann in einer würdevollen Prozession in Richtung Kirche zu schreiten. Der Patriarch war aber offensichtlich darauf bedacht, schnell in die Kirche zu kommen und begab sich dahin mit einer solchen Geschwindigkeit, die auch so manchem jüngeren Mann in seiner Begleitung zu schaffen machte. Er wirkte eher wie ein Mönch, der sich, dem Ruf des klepalo folgend, beeilt, in das Gotteshaus zu gelangen, als der Vorsteher einer Kirche mit mehreren Millionen Gläubigen in der ganzen Welt.       

Die Konzentration, mit der Patriarch Pavle, ein großer Liturgiker und Kenner des orthodoxen Kirchengesangs, Gottesdienste zelebrierte, ist beinahe sprichwörtlich. Auch in Hannover erinnert sich der Gemeindepfarrer, Vater Milan Pejic, mit Bewunderung – und jetzt auch mit Wehmut – der Hingabe, die der Patriarch beim Zelebrieren ausstrahlte. Nach der Weihe und der Hl. Liturgie veranstaltete die Kirchengemeinde ein Festessen mit allem, was in der serbischen Tradition dazu gehört: Gespart wird bei den Serben auch bei geringeren Gästen nicht, geschweige denn, wenn das Kirchenoberhaupt zu Besuch kommt. Der Patriarch blieb aber seinen asketischen Gewohnheiten treu, aß nur ein wenig Weißkohl und Brennnessel und zog sich bald in eine Wohnung im Gemeindehaus zurück. Dort besuchte ich ihn, um ihn auf die bevorstehenden Termine mit deutschen Gesprächspartnern vorzubereiten.

Meine stärkste Erinnerung an diese Begegnung mit Patriarch Pavle I. ist die von – Schönheit! Der Patriarch war ein wirklicher „Kaludjer“ (serb. = Mönch), ein „Kalogeros“, ein schöner alter Mensch: „Kalos“ war er natürlich nicht im Sinne einer klassischen physischen Schönheit, sondern sein wahres Schönsein des Geistes fand einen ungewöhnlich klaren Ausdruck in seinen in sich ruhenden Gesichtszügen, seinen andachtsvollen Gebärden und in seinem meditativ-durchdringenden Blick. Er wirkte auf mich wie ein geistlicher Vater und er verstand sich auch als der geistliche Vater aller orthodoxen Serben. Auch in den Gesprächen, die Patriarch Pavle an jenem 1. Juni 2000 nach der Weihe der Kirche in Hannover führte, und bei denen ich in seiner Begleitung sein durfte, war er vor allem darauf bedacht, sich um das geistige Wohl der Serben in Deutschland zu erkundigen, dieses Wohl zu mehren und all denjenigen zu danken, die dazu beigetragen hatten, dass es gefördert wird.

Unter anderem begegnete der Patriarch Margot Käßmann, der hannoverschen Landesbischöfin und jetzigen Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland, Josef Homeyer, dem nunmehr emeritierten Bischof von Hildesheim, sowie Vertretern des Vatikans und der Niedersächsischen Landesregierung. Ganz besonders interessierte sich Patriarch Pavle dabei für die Stellung des Religionsunterrichts im niedersächsischen Bildungssystem. Er war zutiefst dankbar, dass man in einigen Bundesländern Deutschlands den orthodoxen Religionsunterricht an staatlichen Schulen anbietet. Denn zu jenem Zeitpunkt war das selbst in Serbien nicht möglich: Das Land war immer noch in den Händen eines Regimes, das der direkte Nachfolger des kommunistischen Einparteiensystems war. Dass es den Serben „in der Fremde“ leichter möglich war, ihre religiöse Identität zu pflegen als in der Heimat, schien den Patriarchen tief zu beeindrucken. Er griff das Thema immer wieder auf und wirkte voller Liebe für die Menschen, die seinem Volk etwas ermöglichten, das ihm zu jenem Zeitpunkt nicht einmal im eigenen Land möglich war.

Patriarch Pavle konnte gut mit Politikern sprechen, war aber kein homo politicus im gewöhnlichen Sinn des Wortes. Seine Interessen waren ausschließlich geistig und geistlich und sein soziales und politisches Denken stand unter dem alles beherrschenden Vorzeichen der christlichen Ontologie. So mag es jeden, der Patriarch Pavle kannte, schmerzen, dass in den Meldungen deutschsprachiger Medien anlässlich seines Todes immer wieder die – immer sehr vagen – Hinweise auf seine vermeintliche Unterstützung des serbischen Nationalismus oder gar eine indirekte Verstrickung in die Kriege der neunziger Jahre auftauchen. Auch nach seinem Tod scheint der Patriarch auf diese Weise das Kreuz seines Volkes zu tragen: Die Taten, die er während seiner Zeit als Patriarch verurteilte, werden in einem Moment mit ihm in Verbindung gebracht, in dem er sich nicht mehr irdisch verteidigen kann. Er trägt dieses Kreuz genauso wie die orthodoxen Gotteshäuser im Kosovo-Metohija, die seit 1999 zerstört werden, weil sie von Serben für Serben errichtet wurden, nicht weil sie orthodoxe Kirchen waren. Vielleicht können wir Serben uns in Zukunft daher bemühen, unsere Schulden selbst zu tragen, um nicht nur unsere Besten mit diesen zu belasten."


(Der Autor wirkt als Hochschullehrer in Hannover und Osnabrück, ist Vizepräsident des Rates und Vorstandes der Serbischen Orthodoxen Diözese für Mitteleuropa - Deutschland, Österreich, Liechtenstein und die Schweiz - sowie Verantwortlicher Redakteur ihres Informationsdienstes. Veröffentlichungen zur Musikgeschichte und– theorie, der Kulturgeschichte Südosteuropas und Integrationspolitik in Deutschland.)
(rv 20.11.2009)







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