2017-06-16 13:00:00

D: Merkel und Papst „verstehen sich wechselseitig"


Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel trifft erneut mit Papst Franziskus zusammen. Im Vorfeld des Anfang Juli in Hamburg anstehenden Treffens der 20 führenden Industrie- und Schwellenländer (G20) reist Merkel am Freitag nach Rom. Dort wird sie am Samstagvormittag von Papst Franziskus in Audienz empfangen. Unser Kollege Florian Reil hat mit dem Soziologieprofessor Armin Nassehi von der LMU in München gesprochen. Er forscht unter anderem über Papst Franziskus.

RV: Herr Professor Nassehi, morgen trifft Angela Merkel als wohl mächtigste Frau der Welt auf Papst Franziskus, der oft auch als Politiker bezeichnet wird. Ist er politischer als die anderen Päpste? 

Nassehi: Er ist sicherlich ein sehr politischer Papst, wobei man interessanterweise sagen muss, dass er kein Politiker ist. Insofern ist die Begegnung von Angela Merkel und Papst Franziskus für mich als Soziologen sehr interessant, dass beide sich natürlich mit ähnlichen Themen beschäftigen – wenn man etwa an die Flüchtlingsfrage und die Entwicklung Afrikas denkt. Spannend ist, dass die norddeutsche Protestantin und der Bischof von Rom hier tatsächlich an einem Strang ziehen. Das ist eine schöne Sache.

RV: Wie wahrscheinlich ist es, dass durch Bundeskanzlerin Angela Merkel die Ziele und die Politik des Papstes beim kommenden G20-Gipfel in Hamburg Früchte tragen werden? 

Nassehi: Auch Politik muss sich mit – man kann sagen – mit so genannter moralischer Verve ausstatten. In der Politik von Angela Merkel hat sich seit 2015 einiges geändert: Von einer sehr starken Offenheit ist man zu einer sozusagen „realistischeren“ Einschätzung gekommen. Das hat nicht nur etwas mit Kompromissen zu tun, die man im Politischen immer machen muss, sondern auch damit, dass sich manche Fragen nicht so einfach lösen lassen. Da ist der Papst natürlich jemand, der die Dinge mit einer größeren Verve formulieren kann, während die Politikerin das gegen Widerstände im politischen System umsetzten muss. 

RV: Vor einigen Wochen war US-Präsident Trump zu Gast bei einer Privataudienz mit Papst Franziskus, der sich stark für Umweltschutz einsetzt. Wenige Tage später erklärte Trump, aus dem Pariser-Klimaabkommen aussteigen zu wollen. Wie erfolgreich kann der Papst überhaupt in den Gesprächen mit Politikern sein? 

Nassehi: Der Papst kann natürlich nicht operativ politisch erfolgreich sein. Das ist weder seine Kompetenz, noch hat er die Möglichkeiten dazu. Aber er kann natürlich schon erfolgreich dabei sein, Themen mit einer größeren Legitimität auszustatten. Ich würde sagen, dass die Entscheidung von Donald Trump [aus dem Klimaabkommen auszusteigen] so kurz nach dem Besuch beim Papst weniger Legitimation bekommt. Insofern sollte man dankbar sein, dass es genau diese Instanz gibt und auch dass der Papst keineswegs Politik betreibt, sondern diese Dinge im Hinblick auf sein Amt sehr stark als moralische Themen diskutiert. Es ist dann die Aufgabe von Politikern, dies in politische Möglichkeiten zu übersetzen. Mit dieser Autorität möchte sich Frau Merkel natürlich mit dem Besuch und der Privataudienz beim Papst ausstatten. 

RV: Zwischen Angela Merkel und dem Papst gibt es viele politische Gemeinsamkeiten. Ist die Bundeskanzlerin für Franziskus sowas wie „seine“ Politikerin? 

Nassehi: Dass die beiden sich gut verstehen, liegt womöglich darin, dass sie beide in ihrer Perspektive eine realistische Vorstellung haben, wie die Dinge umzusetzen sind. Der Papst weiß, dass er keine politischen Entscheidungen treffen kann und deshalb kann er Sätze sagen, die die Kanzlerin nicht sagen kann. Umgekehrt weiß die Kanzlerin, dass sie mit rein moralischen Sätzen nicht weiterkommt. Und das scheinen die beiden wechselseitig durchaus zu verstehen. 

(rv 16.06.2017 mg/fr)








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