2016-12-23 09:30:00

Ägypten: „Gewalt stößt bei Muslimen auf große Ablehnung“


Ägypten ist eine Ausnahme im arabischen Raum: Auch wenn die Wirtschaft weiter schwächelt - die politische Lage im Land gilt als stabil. Zur Erinnerung, in Syrien, im Irak und im direkten Nachbarland Libyen herrscht das pure Chaos, die Ägypter hingegen können sich – vor allem in den Städten entlang des Nils - weitgehend sicher fühlen.

Vor gut einer Woche wurde jedoch deutlich, dass sich dies schnell ändern kann: Islamistische Extremisten ließen mitten in Kairo eine Bombe explodieren. Die Opfer waren Kopten, die sich zum Gottesdienst versammelt hatten. Wir sprachen in diesen Tagen mit dem deutschen katholischen Geistlichen Joachim Schrödel, der in Kairo lebt.

Schrödel: „Es ist bemerkenswert, dass das Attentat jetzt nicht Angst und Schrecken verursacht hat, sondern trotzigen Widerstand, wie man fast sagen kann. Im Sinn von: Wir sind die Kirche des Kreuzes, wir haben das zu tragen. Natürlich wissen wir, dass es eine schmerzliche Erfahrung war.

Heute Morgen habe ich gehört, dass der Großscheich der Al-Azhar Universität den Patriarchen [der Kopten] besucht und ihm kondoliert hat, aber die Atmosphäre ist eher so, dass die Menschen sagen, dass das zu uns Christen dazu gehört, so seltsam das in unseren westlichen Ohren klingen mag.“

RV: Es gab einige Nachrichten, dass die lateinischen Christen, die ja jetzt am 24. und 25. Weihnachten feiern, sich solidarisch zeigen mit den Kopten, die ja erst am 6. und 7. Januar feiern, und ihre Feiern entweder verschieben oder kleiner feiern. Was ist da dran?

Schrödel: „Der [lateinische] Patriarch Ibrahim hat sich gleich am Tag nach dem Attentat mit dem koptischen Patriarchen Tawadros getroffen und gesagt, dass er seine Bischöfe bittet, in sehr dezenter Weise Weihnachten zu feiern, in einer schlichten Weise - als Zeichen der Solidarität.“

RV: Im Westen bekommen wir nur die wirklich schlimmen Anschläge mit, wie bettet sich das denn in die allgemeine Situation in Ägypten ein?

Schrödel: „Einen Anschlag auf eine Kirche in diesem Ausmaß gab es nur vor der sogenannten Revolution, in der Silvesternacht 2011. Kleinere Anschläge freilich gibt es seit dem Sturz von Präsident Mursi auf alle Bevölkerungsteile; sehr stark betroffen sind Polizei und Militär und damit die dort dienenden Christen. Das wird in der Presse im Westen fast kaum berichtet, hier hören wir das aber fast täglich, mit zwei bis zehn Toten. In Erklärungen heißt es, dass das den Muslimbrüdern zuzurechnen sei.“

RV: Sie haben es angesprochen: Auch ein hoher islamischer Würdenträger war beim Patriarchen, um ihm sein Beileid auszusprechen. Was macht so ein Anschlag mit den interreligiösen Beziehungen im Land?

Schrödel: „Mir fallen da zwei Dinge ein. Mir ist sehr viel von muslimischen Bekannten kondoliert und gesagt worden, dass das nicht dem islamischen Verständnis entspreche, schon gar nicht hier in Ägypten. Das ist das eine. Das andere ist, dass ich zunehmend im Fernsehen Muslime sehe, welche die Heilige Schrift des Neuen Testaments zitieren und auf Jesus hinweisen, der ein Mann der Vergebung war und dazu aufgefordert hat, die andere Wange hinzuhalten. Sie haben den Mut, als Muslime das Christentum zu zitieren - als eine Religion der Barmherzigkeit. Das ist etwas sehr Bemerkenswertes. Das ist nicht zu häufig der Fall, aber das dürfen wir nicht unterschätzen. Die gewaltbereite Seite des Islam stößt plötzlich bei normalen Muslimen auf große Ablehnung.“

(rv 23.12.2016 mg/ord)








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