2016-10-11 07:47:00

Eine Heilige Pforte mitten in Kabul


Das Heilige Jahr der Barmherzigkeit hat die Tore – genauer: die Heiligen Pforten – so weit geöffnet wie noch nie. Sogar in Afghanistan, wo es so gut wie keine Katholiken gibt, dafür eine ganze Menge Taliban, ist eine Heilige Pforte aufgesprungen. Ein anderer Blick auf ein Land, aus dem uns normalerweise nur Terrornachrichten erreichen.

Nein, es gibt keine einheimischen Katholiken in Afghanistan – offiziell jedenfalls. Aber es gibt doch hier und da ausländische Katholiken, z.B. Truppengeistliche, die Soldaten aus dem Westen bei ihrem Einsatz in Kabul oder Kunduz betreuen. Und es gibt eine katholische Struktur: eine päpstliche Mission „sui juris“, also eigenen Rechts, die der Papst letztes Jahr dem Barnabitenpater Giovanni Scalese anvertraut hat. Er ist Herr über die einzige katholische Kapelle Afghanistans, sie liegt auf dem Gelände der italienischen Botschaft in Kabul und ist aus Sicherheitsgründen nur schwer zu erreichen. Aber wer es durch den Schlagbaum geschafft hat, der kann dann auch in dieser kleinen Kapelle Afghanistans einzige Heilige Pforte durchschreiten.

„Als ich von dieser Initiative eines Heiligen Jahres der Barmherzigkeit gehört habe, hat mich das gefreut”, sagt uns Pater Scalese, „ich finde es gerade heutzutage besonders wichtig, über dieses Geschenk, diese Gelegenheit der göttlichen Barmherzigkeit nachzudenken. Und als ich hörte, dass auch Ortskirchen eine Heilige Pforte öffnen dürfen, habe ich nicht gezögert und das auch hier in Kabul gemacht. Einmal war der Erzbischof von Astana aus Kasachstan zu Besuch – als er auf einmal vor dieser Heiligen Pforte stand, hat ihn das bewegt.“

Pater Scalese musste seine Kapelle gedanklich zu einer Art Kathedrale hochstufen, um die Porta Sancta an ihr einzurichten; aber das ist kein Problem für einen Kirchenmann, dem der Alltag in Afghanistan ohnehin auf Schritt und Tritt Phantasie und Improvisation abverlangt. „Afghanistan ist ein vollständig muslimisches Land. Die einzigen Katholiken, die hier leben, sind Ausländer, die sich hier aus Arbeitsgründen aufhalten. Jede Form von Proselytismus ist verboten – aber es gibt uns. Wenn wir freitags unsere wöchentliche Ewige Anbetung von einer halben Stunde machen, dann denke ich immer: Wir sind hier in Afghanistan, einem komplett muslimischen Land! Aber der Herr ist hier, im Sakrament, er ist hier. Und wir sind die Zeichen seiner Präsenz.“

Leben ist lebensgefährlich für Ausländer in Afghanistan: Immer wieder Anschläge, auch im Kabuler Diplomatenviertel, und wiedererstarkende Talibangruppen im ganzen Land. „Ich muss allerdings sagen, man gewöhnt sich dran. Man lernt, mit der Gefahr zu leben. Und dann denke ich, wir müssen auch in solchen Situationen unseren Glauben leben. Der ist ja nichts Intellektuelles, Abstraktes. Wir müssen überzeugt sein, dass wir nicht allein sind, dass wir immer beschützt werden. Ein lutherischer Bruder – denn hier gibt es auch eine kleine lutherische Gemeinschaft – hat mir etwas Interessantes gesagt. Wir sprachen über die Sicherheitsprobleme, über die Bodyguards, und er sagte: „Wir haben ja auch unsere Eskorte: die Schutzengel!“

Die Tür der Verkündigung ist verriegelt. Aber außer der Heiligen Pforte steht in Afghanistan noch eine zweite katholische Tür offen: die Tür der Caritas. „Es gibt ein paar Ordensfrauen – Mutter-Teresa-Schwestern und die Kleinen Schwestern Jesu. Die kümmern sich um körperlich oder geistig behinderte Kinder. Papst Franziskus würde sagen: um die Ausgesonderten der Gesellschaft. Das könnte manchen unnütz vorkommen, aber wir wissen, dass in diesem Bereich in Wirklichkeit nichts unnütz ist... Ich glaube, dass das sehr wertvolle Aktivitäten sind.“

Vor dem Start des Heiligen Jahres hatte es im Vatikan Hoffnungen gegeben, auch Muslime würden sich in irgendeiner Form daran beteiligen. Immerhin ist Barmherzigkeit für Muslime das wichtigste Attribut Gottes, der sich in der ersten Zeile der ersten Sure des Korans als „der Barmherzige, der Allerbarmer“ vorstellt. Doch diese Hoffnungen sind zerstoben. Doch immerhin: Mitten im Taliban-Land steht eine Heilige Pforte der Barmherzigkeit weit offen.

(rv 08.10.2016 sk)








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