2016-09-19 14:53:00

Reform der Kirche: Was Franziskus im Kern meint


Was genau versteht Papst Franziskus unter „Reform“? Die renommierte italienische Jesuitenzeitschrift „Civiltà Cattolica” hatte diese Frage bei einem Seminar im Herbst 2015 thematisiert, nun ist der Tagungsband mit den einzelnen Redebeiträgen erschienen. Wir fragten den Direktor der „Civiltà Cattolica” und Papstvertrauten Pater Antonio Spadaro nach einer Zusammenfassung.

„Man muss den Begriff Reform recht verstehen. Papst Franziskus will nicht die Kirche auf abstrakte Weise reformieren; sein Ansatz ist der, Christus wieder in die Mitte von allem zu stellen. Er ist es, der dann die Kirche reformiert. Man muss aber für die richtigen Bedingungen in der Kirche sorgen, damit Christus sie reformieren kann. Die Macht des Evangeliums ist eine Macht in diesem revolutionären, ja explosiven Sinn: diese Macht kann das Innere der Kirche von Grund auf verändern. Mithin ist der Begriff Tradition ein dynamischer Begriff, und er muss gelesen werden im Licht der Fähigkeit zur Reform, die dem Evangelium innewohnt.“

Der zentrale Begriff der Reform durch Papst Franziskus sei „Unterscheidung“, schlüsselte Spadaro weiter auf.

„Wir könnten sagen, Papst Franziskus interpretiert seinen Petrusdienst als Dienst der Unterscheidung. Unterscheidung heißt, Gott in jener Art zu suchen und zu finden, in der er sich in der Geschichte zeigt. Wir können nicht mit starren und vorgefassten Ideen losmarschieren. Vielmehr müssen wir verstehen, wie Christus heute zur Kirche und zur Welt spricht. Für einen echten Reformprozess  ist es unumgänglich, sich in eine offene Haltung zu versetzen, eine Haltung eben der Unterscheidung, der dazu in der Lage ist, die konkrete Geschichte zu lesen. Die Kirche lebt in der Welt, sie lebt ihre Beziehung mit der Welt, und das ist fundamental, aber sie muss in Dialog treten, sie muss verstehen, was in der Geschichte vorgeht. Genau deshalb ist Unterscheidung grundlegend für die Reform.“

Angesprochen auf „Widerstände“ gegen dieses dynamische Verständnis, das Franziskus der Kirche einpflanzt, verwies Pater Spadaro auf eine Begegnung unter Mitbrüdern. Der Papst habe sich im Juli bei seiner Reise nach Polen zum Weltjugendtag privat mit polnischen Jesuiten getroffen und dabei etwas höchst Bedeutendes gesagt: dass nämlich die Ausbildung auch der Priester mitunter allzusehr bloß auf die strenge Anwendung von Normen abhebt.

„Das heißt, da wird eine Norm aufgestellt, und die wird immer und überall und auf alle angewandt. Da werden gerade Linien gezogen, Gleise, aus denen der Zug sicher nicht herausspringen kann. Das sorgt zwar gewiss für viel Sicherheit – aber es ist keine Sicht, die dem Evangelium entspricht. Papst Franziskus hat von Unterscheidung gesprochen und von der Notwendigkeit, auf die Bedürfnisse der Zeit zu achten. Die können einem schon Angst machen. Doch offensichtlich versetzt jeder Verweis auf die Einzigartigkeit der Geschichten oder auf die Notwendigkeit bestimmter Änderungen einige Menschen – durchaus guten Gewissens übrigens – in einen Zustand der Angst. Mitunter löst auch das Evangelium Angst aus, weil es verlangt, Dinge und Gewohnheiten zu ändern, an denen wir hängen. Ich würde sagen: es ist normal und geradezu das Zeichen, dass die Reform der Kirche gut voranschreitet, dass da ein gewisser Sinn der Angst ist. Es geht darum, gut umzugehen mit diesem Sinn der Angst, ihn nämlich nicht als Hürde zu sehen, sondern als Anstoß, weiter voranzuschreiten.“

(rv 19.09.2016 gs)








All the contents on this site are copyrighted ©.