In der Türkei ist nach dem versuchten Militärputsch in der Nacht auf Samstag die
Lage unter Kontrolle, verlautet aus Ankara. Nach Regierungsangaben wurden bei dem
Umsturzversuch mit heftigen Kämpfen in Ankara und Istanbul mehr als 250 Menschen getötet,
rund 2800 Angehörige des Militärs wurden offenbar festgenommen. Noch in der Nacht
machte Präsident Erdogan die Anhänger eines in den USA lebenden islamischen Predigers
aus Anatolien verantwortlich: Fethullah Gülen. Wer ist der Mann, der als Erzfeind
des Präsidenten gilt? Christoph Schmitt und Inga Kilian von der Katholischen Nachrichtenagentur
mit einem Hintergrundbericht.
Nach dem versuchten Militärputsch in der Türkei sieht die Regierung von Präsident
Recep Tayyip Erdogan die Anhänger des Predigers Fethullah Gülen als Drahtzieher. Die
Verantwortlichen für den Umsturzversuch würden einen hohen Preis zahlen, kündigte
der Präsident noch in der Nacht zum Samstag vor Journalisten an. Die Gülen-Bewegung
reagierte unmittelbar. In einer Erklärung, aus der Medien am Samstag zitieren, weist
sie jede Verantwortung für den Putsch von sich. Seit 40 Jahren setze sie sich für
Frieden und Demokratie ein, heißt es.
Fethullah Gülen war einst enger Verbündeter und Unterstützer Erdogans und gilt heute
als sein Erzfeind. Zuletzt forderte die Türkei zu Jahresbeginn von den USA die Auslieferung
des Predigers - vergeblich. In Abwesenheit wurde ihm der Prozess gemacht. Der Vorwurf:
Gülen soll staatliche Instiutionen unterwandert und einen Putsch vorbereitet haben.
Im Mai ließ der Präsident die Gülen-Bewegung als terroristische Vereinigung einstufen
und ihre Anhänger damit politisch mundtot machen. Seitdem trat sie nicht mehr öffentlich
in Erscheinung.
Gülen ist 75 Jahre alt und wirkt mit dem grauen Schnäuzer, dem Haarkranz und der sanften Stimme wie ein gemütlicher anatolischer Großvater. Dabei hat er großen Einfluss im türkischen Islam der Gegenwart: Gülen steht an der Spitze einer in 140 Ländern präsenten Gemeinschaft von bis zu 8 Millionen meist türkischen Anhängern.
Der wahrscheinlich 1941 nahe der Stadt Erzurum in Ostanatolien geborene Prediger lebt seit 1999 in den USA. „Hizmet“ (Dienst), wie sich die in den 1960er Jahren in der Türkei begründete Bewegung nennt, ist in Deutschland Experten zufolge die am schnellsten wachsende Strömung unter den Bürgern mit türkischen Wurzeln. Seinen Anhängern gilt der „Hodscha Efendi“, der „ehrenwerte Lehrer“, als Schlüssel zum Verständnis des Koran. Andere sehen ihn als islamistischen Wolf im Schafspelz. Auch von deutschen Politikern kamen in der Vergangenheit kritische Töne.
Neben interreligiösem Dialog, Frömmigkeit und guten Taten fordert Gülen vor allem eins: Bildung, Bildung, Bildung. “Baut Schulen statt Moscheen!”, heißt die Parole - auch in Deutschland mit seiner großen türkischen Gemeinde. Aktuell unterhält die Bewegung hier mehr als 300 Kultur- und Bildungsvereine sowie fast 30 Schulen.
Was will Gülen? Vor allem Einfluss in der Türkei. Dort betreiben Fethullacis, also Gülen-Anhänger, bereits Universitäten, Medienbetriebe, Stiftungen, Banken und Unternehmen. Insgesamt soll die Bewegung über ein Vermögen in Milliardenhöhe verfügen. Zudem finanziert sie sich nach eigenen Angaben über Spenden der Mitglieder.
Patriarch Bartholomaios ist in Sicherheit
Gülens Anhänger bezeichnen ihre Organisation als humanistisches Netzwerk. Hinter der Mischung aus Massenbewegung, Wirtschaftsimperium und Medienmacht vermuten die Kritiker dagegen eine versteckte Agenda zur “Islamisierung der Moderne“. Das Bild als „anatolischer Gandhi“ sei nur der Lack, darunter verberge sich der Rost einer zutiefst traditionalistischen Koranauslegung.
So rechtfertigte Gülen etwa einmal die Todesstrafe für Religionswechsler, pries den Dschihad, relativierte die Frauenrechte oder warf Christen und Juden eine Verfälschung der göttlichen Botschaft vor.
Experten zufolge verfügt Gülen über gute Kontakte zur extremen Rechten in der Türkei
sowie auch zu Teilen der politischen Elite. Bereits 1998 hatte die türkische Regierung
Gülen wegen eines Videos angeklagt, auf dem er seine Anhänger zur Unterwanderung der
Institutionen aufruft. Der Hodscha sprach von Manipulationen durch seine kemalistischen
Gegner und wich in die USA aus.
Nun erhebt Erdogan erneut massive Vorwürfe. Doch die Lage ist unübersichtlich, Informationen
fließen nur spärlich. So machen Gerüchte die Runde, die türkische Regierung habe den
Putsch selbst initiiert, um in dem Land endgültig ein die Demokratie unterwanderndes
Präsidialsystem einzuführen.
Enge Beziehungen zu Gülen hatte in der Vergangenheit der Ökumenische Patriarch Bartholomaios I. von Istanbul unterhalten. Das Ehrenoberhaupt der orthodoxen Christen hat die Türkei nur wenige Stunden vor dem militärischen Umsturzversuch in der Nacht von Freitag auf Samstag verlassen. Er nahm eine der letzten Maschinen, die noch vom Flughafen Atatürk bei Istanbul abheben konnten, wie am Samstag aus Kirchenkreisen verlautete. Nun befinde er sich in Slowenien zu einer Wallfahrt. Der Patriarch sei kurzfristig gewarnt worden, dass ein Aufstand der türkischen Luftwaffe und Einheiten der Bodentruppen gegen den türkischen Staatschef Erdogan bevorstehe, hieß es aus Istanbul. Nachdem die türkische Regierung den Putsch für gescheitert erklärte, besteht aus Sicht von Beobachtern nun die Gefahr, dass die angekündigten Vergeltungsmaßnahmen auch das Ökumenische Patriarchat treffen könnten.
(kna 16.07.2016 gs)
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