2016-06-19 13:13:00

D: Den Koran als Teil unserer Tradition betrachten


„Wir sollten uns bemühen, den Koran nicht mit Fremdblick zu betrachten, sondern ihm dieselbe Hermeneutik zugestehen, mit der wir unserer Tradition begegnen.“ Das sagt die renommierte Islamwissenschaftlerin Angelika Neuwirth, die in dieser Woche als Gastprofessorin der Joseph-Ratzinger-Papst-Benedikt-XVI.-Stiftung an der Universität Regensburg eine Vorlesungsreihe halten wird. Es gehe ja beim Koran wie etwa bei biblischen Texten darum, „vor allem hinter den Buchstaben der Schrift schauen und versuchen, ihren Geist zu erfassen“. Zugleich seien aber „die innerislamischen Deutungen ernst zu nehmen“, so die Berliner Forscherin.

„Die heute in Ost und West praktizierten Lektüren sind oft gegenläufig. Wir sollten versuchen, die Unterschiede nicht als Trennlinien, sondern als Herausforderungen zu einem pluralistischen Verstehen des Koran zu nutzen.“

„Die koranische ,Verzauberung der Welt‛ in der Spätantike“: Diesen Untertitel hat Neuwirth ihrer Vorlesungsreihe gegeben. „Der Koran ist kein Lesebuch, sondern ein Lektionar, ein liturgischer Text, hineingesprochen in sich wandelnde Situationen der Gemeinde“, so ihr Ansatz. „Ohne diesen Hintergrund kann man sich dem Koran nicht von außen nähern.“ Übersetzungen des Korans hält sie für durchaus sinnvoll: „Die Mehrzahl der Muslime lebt ohne präzise Arabischkenntnisse. Es gibt kongeniale Übersetzungen, die zusammen mit Erklärungen ein Verständnis erleichtern, wie man ja auch die Bibel ohne Hebräisch- oder Griechischkenntnisse verstehen kann.“  

Für Neuwirtz ist der Koran „ein religiöser Text, der am ehesten in die Hände von Theologen gehört“. Damit meint sie ausdrücklich auch christliche Theologen. „Der Koran ist schließlich die Schrift einer der drei abrahamitischen Religionen, die aus einem Prozess der Anziehung und Abstoßung gegenüber den beiden anderen entstanden ist und daher auch mit dem methodischen Arsenal der Theologie am ehesten bearbeitet werden kann.“ Sie sehe „in der Möglichkeit, den Koran mit katholischen Theologen zu diskutieren, eine großartige Chance“.  

Gläubige Muslime sähen im Koran das an Mohammed „herabgesandte Wort“ Gottes – „entsprechend dem Herabkommen des in Christus verkörperten Logos vom Himmel“. Dieser Anspruch sei aus ihrer Sicht „auf Augenhöhe mit der christlichen Logos-Theologie zu stellen“. Angelika Neuwirth leitet seit 2013 das Projekt „Von Logos zu Kalam“ im Sonderforschungsbereich „Episteme in Bewegung“ an der Freien Universität Berlin.

(pm 19.06.2016 sk)








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