2016-05-17 12:31:00

Flüchtlinge: „Nicht irrational die Türen öffnen“, sagt Franziskus


Im zweiten Teil seines Interviews mit  „La Croix" spricht der Papst über Flüchtlinge („Nicht irrational die Türen öffnen, sondern nach Ursachen fragen“), über das Kopftuch („eines zu tragen muss möglich sein") und über die gesunde Trennung von Kirche und Staat. (rv)

Europa und seine Identität

Innovatives äußerte Franziskus zum Thema Europa. Zunächst: „Wurzeln“ habe Europa viele, nicht nur christliche. Und: „Wenn ich von den christlichen Wurzeln Europas reden höre, scheue ich manchmal vor dem Tonfall zurück, der triumphierend oder einfordernd sein kann. Dann wird daraus Kolonialismus.“ Anders beim heiligen Johannes Paul II., der in ruhigem Tonfall davon gesprochen habe. Sicherlich habe Europa christliche Wurzeln, und das Christentum müsse sie pflegen, „aber in einem Geist des Dienens wie bei der Fußwaschung. Die Pflicht des Christentums für Europa ist das Dienen.“

Flüchtlinge: „Nicht irrational die Türen öffnen“

Kann Europa so viele Flüchtlinge aufnehmen?, fragt die katholische Tageszeitung den Papst. „Das ist eine richtige und verantwortungsvolle Frage, denn man kann nicht auf irrationale Weise die Türen sperrangelweit öffnen“, versetzt Franziskus. Allerdings müsse man sich die Grundfrage stellen, warum es heute so viele Migranten gebe. Ursachen der Flüchtlingskrise seien die Kriege im Nahen Osten und die Unterentwicklung und der Hunger Afrikas. „Wenn es Kriege gibt, dann weil es Waffenhersteller gibt – was man zur Verteidigung rechtfertigen kann – und besonders, weil es Waffenhändler gibt. Wenn es massive Arbeitslosigkeit gibt, dann aufgrund mangelnder Investitionen, die Arbeit schaffen können.“ Das Weltwirtschaftssystem sei dem Götzen Geld verfallen, sagte Franziskus und bekannte sich zur sozialen Marktwirtschaft: Der Staat müsse die Gleichgewichte der Wirtschaft kontrollieren.

Gehört der Islam zu Europa?

Franziskus diagnostizierte eine Angst Europas nicht so sehr vor dem Islam als vor dem sogenannten „Islamischen Staat“ und seinem Eroberungskrieg, „der teilweise aus dem Islam hergeleitet“ sei. Mit Blick auf den Terrorismus müsse man sich fragen, ob es recht war, „ein allzu westliches Demokratiemodell“ in autoritär geführte Länder zu exportieren, etwa Irak oder Libyen mit seinen Stammeskulturen. Solche örtlichen Kulturen könne man nicht einfach ignorieren. „Im Grund ist ein Zusammenleben zwischen Christen und Muslimen möglich“, betonte der Papst.

Religionsfreiheit, Kopftuch und Trennung von Kirche und Staat

Der Islam ist heute in Frankreich sehr präsent, was in einem laizistischen Staat zu Spannungen führt. „Ein Staat muss laizistisch sein“, sagte Franziskus in seiner Antwort auf die entsprechende Frage. Konfessionelle Staaten nähmen ein böses Ende. Ein guter Rahmen sei Laizismus, gepaart mit einem soliden Gesetz, das Religionsfreiheit garantiert. „Wir sind alle gleich als Kinder Gottes oder mit unserer Menschenwürde.“ Jeder und jede müsse aber auch das Recht haben, seine Religion zu äußern. „Wenn eine muslimische Frau Kopftuch tragen will, muss sie das tun können. Dasselbe, wenn ein Katholik ein Kreuz tragen will.“ In Frankreich ist der Glaube im Privaten zu halten. Kopftuch und das Tragen von Kreuzen ist in öffentlichen Funktionen wie etwa in der Schule verboten. 

Gewissensfreiheit, „gleichgeschlechtliche Ehe“ und Euthanasie

Rückendeckung für besorgte Katholiken gab Franziskus in der Antwort auf die Frage, auf welche Weise engagierte Gläubige ihre Sorgen auf bestimmte Entwicklungen der Gesellschaft äußern sollen. Frankreich ist die Wiege der Bewegung „Manif pour tous“, die sich mit millionenfach besuchten Demonstrationen gegen Gesetzesvorhaben zu Euthanasie und „Ehe“ unter Homosexuellen wendet. Diese Anliegen müsse man „im Parlament diskutieren, erklären und durchdenken. So wächst eine Gesellschaft“, sagte Franziskus. Sei das Gesetz einmal beschlossen, „so muss der Staat die Gewissen respektieren“. Die Gewissensfreiheit müsse in jeder juristischen Struktur präsent sein, denn sie ist, so der Papst, ein Menschenrecht. Auch Beamten stehe die Gewissensfreiheit zu. Und: „Der Staat muss Kritik respektieren.“ Das sei dann echte Laizität. „Man kann nicht über die Argumente der Katholiken hinwegfegen, indem man ihnen sagt, ihr redet daher wie Priester. Nein, sie stützen sich auf christliches Denken, das Frankreich so bemerkenswert entwickelt hat.“

Den ersten Teil des Interviews - unter anderem zur Piusbruderschaft und zu pädophilen Priestern - lesen Sie hier.

(rv 17.05.2016 gs)








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