2016-04-25 12:38:00

Papst, Israel, Synagoge - 30 Jahre zwischen Lob und Tadel


Im April vor genau dreißig Jahren setzte zum ersten Mal ein Papst der Neuzeit seinen Fuss in eine Synagoge: Der heilige Johannes Paul II. besuchte das jüdische Bethaus am römischen Tiberufer. Heute erinnert eine Ausstellung an die historische Premiere. Auch Papst Franziskus hat, wie zuvor auch Benedikt, Johannes Pauls Geste wiederholt; Franziskus besuchte Roms „tempio maggiore“ am 17. Januar dieses Jahres.

Eine interreligiöse Idylle also? Nicht ganz. Drei Monate nach Franziskus’ Visite bei den „Brüdern im Glauben“ gibt es auch unzufriedene Stimmen auf jüdischer Seite. Frage an unseren Kollegen Stefan von Kempis: Worum geht es bei dieser Unzufriedenheit?

„Man könnte sie mit einem Satz zusammenfassen: Warum hat der Papst in der Synagoge nicht von Israel gesprochen? Solche Unzufriedenheit ist nicht neu, aber es fällt schon auf, dass sie sich jetzt deutlicher äußert als bei früheren Gelegenheiten. In der Zeitschrift der jüdischen Gemeinde von Mailand haben sich vier Rabbiner zwar allesamt zufrieden über den Papstbesuch gezeigt, aber doch gefragt, warum Franziskus sich angesichts des islamischen Terrorismus und des Antisemitismus nicht zu einem Recht des jüdischen Volks auf seine Heimat, seinen Staat bekannt hat. Einer der Rabbiner urteilte, der Papst sei offenbar „parteiisch“ und „der anderen Seite“, also den Palästinensern zugeneigt, und der in Italien ziemlich bekannte Rav Laras schrieb sogar, vom Papstbesuch in der Synagoge werde „nichts“ bleiben, weil er sich „nur auf den religiösen Teil beschränkt“ habe, ohne die Tatsache des Staats Israel zur Kenntnis zu nehmen.“

Warum ist es diesen jüdischen Stimmen denn so wichtig, dass der Papst auch vom Staat Israel spricht? Die Visite in der Synagoge war doch vor allem ein religiöses Ereignis...

„Das Bekenntnis zum Staat Israel ist für Juden, auch in der Diaspora, ganz zentral. Dass sie sich nicht nur allgemein auf ein verheißenes Land beziehen können, sondern auf eine konkrete Nation. Es geht in den Nachrichten manchmal unter, dass viele Juden aus westlichen Ländern, vor allem aus Frankreich und Großbritannien, in diesen Jahren umziehen nach Israel, weil sie sich als Juden in diesen bisherigen Ländern nicht mehr sicher fühlen. Den Papst haben manche jüdische Beobachter im Verdacht, dass er heimlich mehr Sympathien für den Islam hat. Oder jedenfalls im Nahostkonflikt eher zur palästinensischen Seite neigt.“

Und was ist da dran?

„Aus meiner Sicht wenig. Es ist doch bekannt, wie eng der heutige Papst schon in seiner Zeit in Buenos Aires Kontakte und Freundschaften in die dortige, sehr große jüdische Gemeinde unterhalten hat. Der Priester, der von seiten der Italienischen Bischofskonferenz zuständig ist für das Gespräch mit dem Judentum, sagt, nach seinem Eindruck habe Franziskus in der Synagoge den Nahostkonflikt „absichtlich nicht angesprochen“, und zwar, weil das „so extrem delikat“ ist. Der Papst gibt, so Don Cristiano Bettega, nicht spürbar einer der beiden Seiten dem Vorzug – weder einer Religion, noch einer Seite im israelisch-palästinensischen Konflikt. Allerdings spricht Papst Bergoglio immer wieder davon, dass man sich ein „offenes Denken“ bewahren solle, dass man nicht vorschnell urteilen solle... und er ist, wie man in Italien sagt, ein „terzomondista“, ein Dritte-Welt-Papst sozusagen. Das befördert vielleicht ein gewisses Misstrauen bei einigen Juden.“

Aber Tatsache ist doch, dass der Papst den iranischen Präsidenten Rohani empfangen hat, ohne irgendwie darauf einzugehen, dass Iran Israel mehrmals mit Vernichtung gedroht hat!

„Ja, das stimmt schon. Und es stimmt auch, dass Franziskus als erster Papst auch die Moschee von Rom besuchen will. Und es ist auch richtig, dass der Vatikan mit den Palästinensern schon ein fertiges Grundlagenabkommen abgeschlossen hat, während das Abkommen mit Israel auch nach Jahrzehnten immer noch hin und her verhandelt wird. Das alles sind Punkte, die Juden und Israel-Freunden nicht unbedingt gefallen können. Auf der anderen Seite muss man aber auch sehen: Franziskus empfängt immer wieder jüdische Gesprächspartner, er hat sich auch schon eindeutig zum Existenzrecht Israels bekannt, und er wird im Juli in Polen auch das Gelände des früheren Verichtungslagers Auschwitz besuchen.“

Wie kann man den jüdischen Unmut einordnen oder erklären?

„Man sollte vor allem registrieren, dass da eine Menge zusammenkommt. Ich zähle einfach mal ein paar Faktoren auf, ohne Reihenfolge oder Gewichtung: Die Lage in Nahost verschärft sich, die Bedrohung durch islamischen Terrorismus wächst, die letzten Augenzeugen des Holocaust sterben, in der israelischen Regierung dominieren die Hardliner, und in Italiens jüdischen Gemeinden ist – so formuliert das der bekannte Fernsehjournalist Gad Lerner, ein Jude – eine „Politisierung der Rabbiner“ in Gang. Interessant finde ich aber auch einen Eindruck der jüdischen Historikerin Anna Foa, die immer wieder mal in der Vatikanzeitung „L’Osservatore Romano“ schreibt: Sie fragt sich, „ob das Bestehen auf dem Thema Israel nicht auch eine Art und Weise ist, um die wirklichen Hindernisse im jüdisch-christlichen Dialog nicht ansprechen zu müssen“. Und sie spricht von einer gewissen „Angst“ auf jüdischer Seite, „die Identität zu verlieren, sich irgendwie zu assimilieren, jetzt wo es keine aggressive Haltung der katholischen Kirche“ gegenüber dem Judentum „mehr gibt“. Wenn wir das mal zurückbinden an den historischen Besuch von Johannes Paul II. in der Synagoge im April 1986 – schon damals sagte der Oberrabbiner Elio Toaff: „Viele haben Angst vor diesem Besuch. Aber ich glaube, wir sollten Vertrauen zu unserem Volk haben.““

 

Dieses Kollegengespräch fusst auf einem Dossier der April-Nummer der italienischen Kirchenzeitschrift „Jesus“. Diesem Dossier sind auch die aufgeführten Zitate entnommen.

(rv 25.04.2016 sk)








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