Legionäre Christi: „Flexibilität und Gestaltungsfreiraum“
Die „Legionäre Christi“
(LC) haben sich eine neue Ordensregel gegeben. Die Konstitutionen wurden am vergangenen
Samstag veröffentlicht und sind bereits in Kraft getreten. Vorangegangen war ein tiefgreifender
Erneuerungsprozess der Ordensgemeinschaft; er war nötig geworden durch den Lebenswandel
des Ordensgründers Pater Marcial Maciel, dessen Verfehlungen – darunter sexueller
Missbrauch von Seminaristen sowie mehrere leibliche Vaterschaften – nach seinem Tod
2008 ans Licht gekommen waren. Mit den neuen Konstitutionen ist der Reformprozess
der „Legionäre Christi“ nun einen guten Schritt vorangekommen. Gudrun Sailer sprach
mit Pater Andreas Schöggl LC, dem Ordensprovinzial der Legionäre für Mittel- und Westeuropa,
und wollte zunächst von ihm wissen, worauf die neue Ordensregel zielt.
„Eine
Ordensgemeinschaft und eine Berufung zum Ordensleben sind immer eine Initiative Gottes.
Er lädt ein, nach Ganzhingabe und Heiligkeit zu streben, und er möchte, dass diese
Ordensgemeinschaft in der Kirche und in der Welt einen bestimmten Dienst tut. Und
darum hat eine Ordensregel die Funktion einer Landkarte. Sie zeigt dieses Ziel ganz
klar: Bei uns ist es der Dienst an der Glaubensvertiefung und an der Formung und Begleitung
engagierter Chrisen, die Jesus Christus heute als Apostel aussenden möchte. Und dann
ist die Ordensregel eine Wegbeschreibung für unser eigenes Leben und bietet Hilfsmittel,
wie wir an dieses Ziel gelangen können.“
Die neuen Konstitutionen sollen
unter anderem, wie die Legionäre mitteilen, den Ordensangehörigen „mehr Teilhabe“
erlauben. Was heißt das konkret?
„Teilhabe heißt, dass wir die Verantwortung
gemeinsam tragen wollen. Wir sind eine Weggemeinschaft von Ordensleuten, in die sich
alle einbringen können, und nicht eine Gemeinschaft, wo es einen Befehlsgeber gibt,
und die anderen führen nur aus. Konkret heißt es jetzt z.B., wenn die Ernennung eines
Gemeinschaftsoberen ansteht oder im Apostolat eine wichtige Entscheidung getroffen
werden muss, dann können sich alle Betroffenen einbringen. Alle können Mitsprache
haben, und wir suchen nach einer gemeinsamen Lösung. Dieses Vorgehen wurde auch in
den vergangenen Jahren bei der Revision der Konstitutionen selber schon intensiv eingeübt,
und sie sind schon eine erste Frucht dieser verstärkten Weise, Lösungen gemeinsam
zu suchen.“
Das heißt im Umkehrschluss, dass es das vor dem Erneuerungsprozess
der Legionäre nicht gegeben hat.
„Das gab es nicht in dieser intensiven
Form. Es wurde oft nur unter den Oberen herumgefragt vor einer Entscheidung, oder
manchmal kam auch einfach eine Anweisung, und dann war nur noch die Umsetzung den
einzelnen Ordensmitgliedern überlassen, aber nicht in einer größeren gestalterischen
Freiheit, wie wir sie jetzt haben.“
„Verarbeitungsprozess schon
weit fortgeschritten“
Die Figur des Gründers war in der Kongregation
zu seinen Lebzeiten und darüber hinaus außerordentlich präsent. Dann kam es zu den
bewussten Ereignissen, die den großen Reinigungs-und Abschottungsprozess nötig machten.
Wie gehen Legionäre Christi und Angehörige von „Regnum Christi“ heute mit der Figur
des Gründers um?
„Unser Gründer und sein leider erschreckendes Verhalten
bleiben für uns sicher immer ein mahnendes Zeichen. Es ist eine permanente Aufforderung,
in äußerer und vor allem in innerer Übereinstimmung mit den Idealen des Evangeliums
zu leben. Andererseits merke ich in vielen Gesprächen, dass der Verarbeitungsprozess
in diesen Jahren schon weit fortgeschritten ist. Die Gedanken meiner Mitbrüder und
auch die Gespräche miteinander kreisen heute sicher nicht mehr ständig um dieses Thema.
Es ist in keiner Weise tabu, aber es ist einfach nicht mehr so wichtig. So haben wir
den Blick auch wieder freier für Jesus Christus, das Evangelium, für den reichen Schatz
des Ordenslebens in der Kirche, und können uns da entfalten, ohne auf eine Figur fixiert
zu sein."
Ist in den neuen Konstitutionen auch an irgendeiner Stelle vom
Gründer die Rede?
„Nein, es ist ein allgemeiner Gesetzestext. Allerdings
wird in der Einführung darauf hingewiesen, wie diese Textfassung entstanden ist und
dass sie mit dem Erneuerungsprozess und damit auch mit der Gründerproblematik zu tun
hat.“
Die neuen Konstitutionen liegen „stärker auf einer Linie mit dem
Kirchenrecht“. Welche Punkte wurden da nachgebessert?
„Zunächst war natürlich
auch die frühere Fassung unserer Konstitutionen vom Heiligen Stuhl approbiert. Aber
sie hatte einige Schwächen. Zunächst schreibt das Kirchenrecht vor, dass die Konstitutionen
einer Ordensgemeinschaft ein Grundgesetz sein sollen. Sie sollen eine klare Definition
des Charismas enthalten und die nötigen Grundnormen, um dieses zu bewahren und zu
fördern - und nicht viel mehr. Da mussten wir nachbessern und vor allem kräftig streichen!
Früher enthielten unsere Konstitutionen zu viele detaillierte Verhaltensnormen, eine
komplexe interne Organisation und auch umfangreiche geistliche Empfehlungen und Ermahnung.
Es war ein bisschen so, als würde man in einer Landesverordnung plötzlich Vorschriften
aus der Straßenverkehrsordnung finden. Und statt zu größerer Klarheit zu führen, sorgt
das dann für Verwirrung, und man kann das Wichtige und das Unwichtige nicht mehr klar
auseinanderhalten."
Welche Punkte fielen ganz aus den Konstitutionen heraus?
Was machen also ganz konkret Legionäre Christi heute nicht mehr, was sie zu Zeiten
des Gründers machen sollten, oder umgekehrt?
„Wir schauen heute viel mehr
auf das Wesentliche, auf Jesus Christus, die Verkündigung des Evangeliums, die persönliche
Begleitung der Menschen auf ihrem Weg mit Gott, und sind dadurch auch flexibler geworden,
bereit, auf die Erfordernisse der Mitglieder der Gemeinschaften und der pastoralen
Gegebenheiten in den einzelnen Ländern einzugehen. Früher waren in den Konstitutionen
viele Details enthalten, die dann in allen Gemeinschaften auf der ganzen Welt so gemacht
werden mussten. Wenn ich heute unsere Gemeinschaft in Europa besuche, sehe ich, dass
jede schon eine eigene Prägung bekommen hat. Wir gehören zusammen, wir teilen die
gemeinsamen Ideale, aber e sist ein großer Unterschied, ob eine Gemeinschaft wie hier
in Paris in einer kleinen Pfarrgemeinde lebt oder ob es sich um ein Ausbildungshaus
in Bayern handelt. Das kann man nicht alles auf gleich trimmen. Darum sind die neuen
Konstitutionen auf das Wesentliche beschränkt und lassen für viele andere Dinge Flexibilität
und Gestaltungsfreiraum.“
Wie geht es der Ordensgemeinschaft heute? Die
Legionäre hatten vor ihrer Krise eine Vielzahl von Berufungen, wie steht es damit
heute?
„Ich bin froh, dass wir aus dem Erneuerungsprozess – so würde ich
insgesamt sagen - gestärkt hervorgegangen sind. Vor allem haben wir den Rückhalt der
Kirche erfahren, ihre Begleitung und auch die Bestätigung, dass wir in der Kirche
eine Aufgabe haben, die wir ausüben können und sollen. So sehe ich auch bei unseren
Mitgliedern, dass sie mit Eifer bei der Sache sind, sich wirklich bemühen, Jesus Christus
zu verkünden, und das zieht Gott sei Dank weiterhin junge Menschen an. Wir haben ein
Noviziat in Bayern, und auch in diesem Jahr sind wieder junge Menschen eingetreten,
die gesagt haben, ich will auf diesem Weg Gott mein Leben schenken und in der Kirche
für ihn wirken. Die Zahlen sind weltweit etwas zurückgegangen, aber auch in diesem
Jahr waren es insgesamt noch über 100, die in unsere Noviziate eingetreten sind. Kurz
vor Weihnachten wird es auch wieder eine Weihe von 30, 40 Neupriestern aus der ganzen
Welt geben. Das heißt, der Strom der Berufungen ist nicht abgerissen, und wir können
weiter junge Menschen überzeugt dazu einladen, auf diese Weise Gott zu dienen und
Jesus nachzufolgen.“