D: Wolfgang Thierse und die Wende-Zeit vor 25 Jahren
Wolfgang Thierse,
ehemaliger Bundestagspräsident und Mitglied des Zentralrats der deutschen Katholiken
(ZdK), hat die Wende-Zeit 1989 als DDR-Bürger hautnah miterlebt. Im Interview mit
dem Kölner Domradio erzählt er, wie er diesen Höhepunkt deutscher Geschichte erlebt
hat.
In den Stunden, als die Berliner Mauer fiel, habe er „nichts Besonderes“
gemacht, so Thierse. Auf einmal sei die Meldung über die Pressekonferenz mit dem SED-Bezirksparteichef
Schabowski gekommen - samt den „etwas undeutlichen Äußerungen“, dass man ab sofort
auch in den Westen reisen könne.
„Wir haben das nicht richtig verstanden,
wir haben das nicht geglaubt, was meint der da? Das ist doch wahrscheinlich wieder
irgendein lügnerischer Trick. Erst im Laufe des weiteren Abends, als Bilder vom Grenzübergang
Bornholmer Straße, nicht weit weg von uns, auch in Berlin Prenzlauer Berg, zu sehen
waren - Menschen standen davor und drückten in den Westen -, da haben wir es geglaubt,
aber sind nicht sofort losgerast, sondern haben gedacht: Wenn das wirklich alles stimmt,
wollen wir das zusammen mit unseren Kindern erleben!“
Doch wollten sie
„nicht abhauen wie viele andere“, so der heutige SPD-Politiker Thierse.
„Es
war doch im Herbst `89 bis Anfang 1990 unklar, in welche Richtung die Entwicklung
gehen wird, wie schnell die staatliche Vereinigung möglich sein wird. Damals haben
ja alle, wir im Osten, aber auch die Politiker im Westen gedacht: Schritt für Schritt
muss es vorangehen. Vielleicht dauert es ein, zwei, drei, vier Jahre... Dass dann
alles viel schneller ging, war die Dramatik der Geschichte. Das hat mit dem Zusammenbruch
der DDR-Wirtschaft zu tun, es hat mit der Ungeduld der Ostdeutschen zu tun, es hat
mit der außenpolitischen Unsicherheit zu tun: Wie lange wird Gorbatschow sein Ja zur
deutschen Einheit durchhalten? Das war die Beschleunigung der Geschichte; das konnte
keiner vorhersehen. Wer das hinterher behauptet, der lügt schlichtweg.“
Eine
Nation, eine soziale Gemeinschaft müsse vernünftigerweise eine Erinnerungsgemeinschaft
sein, „sonst geht manches schief“, fügt Thierse an.