Bei den Parlaments-
und Präsidentschaftswahlen in Bosnien-Herzegowina haben wieder einmal die Nationalisten
gewonnen. Nationalistische Vertreter der drei Volksgruppen der muslimischen Bosniaken,
orthodoxen Serben und katholischen Kroaten werden laut Wahlergebnissen fortan das
Land führen. Beobachter sehen in den Wahlergebnissen Anzeichen dafür, dass das ehemalige
Bürgerkriegsland auch heute noch weit von einem Konsens entfernt ist. Das habe sich
bereits im diesjährigen Wahlkampf gezeigt, berichtet Pero Sudar, Weihbischof im Erzbistum
Sarajewo, im Interview mit Radio Vatikan:
„Mit den nicht gelösten, doch
grundlegenden Problemen, die seit Ende des Krieges bestehen, kommt Bosnien-Herzegowina
bis heute auf keinen grünen Zweig. Und das war in allen Wahlen bis heute der Fall.
Leider ist das Land politisch, doch auch territorial sehr gespalten. Es ist ein Land
voll von Kontradiktionen. Das hat sich auch im diesjährigen Wahlkampf gespiegelt.
Es herrschte eine Bissigkeit vor, die die Menschen angesteckt hat, die keinen Wohlstand
sehen, keine Zukunft.“
Die Arbeitslosigkeit liege bei fast 56 Prozent,
und viele Menschen lebten immer noch unterhalb der Armutsgrenze, so der Weihbischof.
Das gebe Populisten und Nationalisten Aufschwung. Auch die Kirche habe hier Mühe,
dagegenzuhalten:
„Diese Teilungen dienen dazu, bestimmte Gruppen und Parteien
an der Macht zu halten, die sich nicht für eine Verständigung interessieren. Trotz
vieler Initiativen und Versuche der Kirchen und religiösen Gemeinschaften sieht man
leider keine positiven Schritte auf dem Weg der Versöhnung des Landes, sei es politisch,
sei es territorial. Unser politisches Gepäck, der Groll des Krieges und die geschehenen
Ungerechtigkeiten machen uns zu Gefangenen. Nicht einmal Europa findet Initiativen,
die einen sichtbaren und greifbaren Effekt hätten. Auf der einen Seite gibt es diesen
Wunsch, auf der anderen die Resignation, weil man keine Erfolge in diese Richtung
sieht.“
Diese Resignation zeigt sich für Wahlbeobachter auch an der niedrigen
Wahlbeteiligung von nur 54 Prozent: Die Bürger seien auch enttäuscht von einer politischen
Führung, gegen die Korruptionsvorwürfe laut wurden und der es nicht gelingt, die schlechte
wirtschaftliche Lage zu ändern. Auch die für eine Annäherung an die Europäische Union
notwendigen Reformen dürften damit in weite Ferne rücken. Dazu Bischof Sudar:
„In
diesen letzten 20 Jahren nach Ende des Krieges ist wenig passiert, man hat keinen
Integrationsprozess begonnen. Wir sind unter all den Ländern, die auf einen Eintritt
in die Europäische Union hoffen, das Schlusslicht, obwohl es einen großen Wunsch und
eine große Notwendigkeit gibt, Teil der Staatengemeinschaft zu sein.“
Die
beiden Teilrepubliken des Landes, die serbische Republik Srpska und die Muslimisch-Kroatische
Föderation, sind seit Kriegsende unter einem nationalen Dach vereint. Die Präsidentschaft
teilen sich in Bosnien-Herzegowina ein serbischer, ein kroatischer und muslimischer
Vertreter. Die festgeschriebene nationale Proporz auf Staats- und Verwaltungsebene
erschwert es, Mehrheiten für Reformen zu bilden. (rv 14.10.2014 pr)