Ein Papst in Kalabrien:
Das Reiseziel selbst ist die Botschaft. Franziskus geht mal wieder in die Peripherie,
wie er das der Kirche ja auch immer wieder empfiehlt, und nicht nach London, Paris,
New York. Francesco Di Chiara ist der Generalvikar des Bistums Cassano all`Jonio.
Er sagt im Interview mit Radio Vatikan:
„Allein die Tatsache, dass der Heilige
Vater zu uns kommt, ist eine Lektion an die Politik, die ja unsere Region als Randgebiet
abtut. Wir haben zum Beispiel eine Bahnstrecke, die eine entscheidende Rolle für die
ganze Region spielt, jetzt aber aus Kostengründen immer seltener genutzt wird, immer
mehr Dienste werden heruntergefahren oder eingestellt. Der Heilige Vater erteilt der
Politik, der Gesellschaft eine Lektion: Wir sind hier nicht Wegwerfware! Der Heilige
Vater sorgt für hohen Wellengang – es ist nämlich nicht gut, wenn der Wasserspiegel
völlig glatt ist.“
Bischof Nunzio Galantino hat dafür gesorgt, dass das
Bistum selbst für die Kosten des Papstbesuchs aufkommt. Das Nein zu Sponsoren hält
– das mag mitgespielt haben – die örtliche Mafia fern.
„Als Bischof Galantino
uns das vorgeschlagen hat, waren wir Priester alle wirklich froh! Natürlich sind unsere
Leute nicht sehr wohlhabend, aber das Scherflein der Witwe wird`s schon richten. In
allen Pfarreien haben wir eine Kollekte durchgeführt und sind wirklich auf Großzügigkeit
gestoßen. Wir wollten mit unserem Nein zu Sponsoren oder Subventionen durch die Politik
unsere Freiheit der Kirche zeigen. Für uns ist das eine Freude! Ich sehe, dass die
Leute stolz darauf sind, denn hier fühlt man sich sonst immer von anderen, von fremder
Hilfe abhängig. Jetzt haben wir uns die Ärmel hochgekrempelt!“
Das schlimmste
Problem in der Region ist für den Generalvikar die hohe Jugendarbeitslosigkeit: „Die
private Initiative hier ist fast bei Null“, sagt er. Kein Wunder, dass viele Jugendliche
abstürzen – in die Mafia oder in die Drogen. Debora ist so ein Fall: Die 28-Jährige
versucht derzeit in einer therapeutischen Wohngruppe, von ihrer Heroinsucht wieder
loszukommen. Gegenüber Radio Vatikan meinte sie:
„Abrutschen ging so einfach
– aber hinterher wieder hochzukommen, das ist schwieriger. Immerhin bin ich stolz
darauf, dass ich in vier Monaten fertig bin mit dem Programm! Zweieinhalb Jahre lang
habe ich es nie geschafft, so weit zu kommen, ich habe das Programm immer wieder unterbrochen.
Weil mein Bruder auch drogenabhängig ist, war es für mich normal, in so einem Umfeld
zu leben. Es war, sagen wir, natürlich, in diesen Teufelskreis zu geraten. Aber zum
Glück habe ich jetzt begriffen, dass diese Strasse mich nirgendwo hinführt... und
im Jahr 2011 habe ich beschlossen, aufzuhören.“
Debora fühlt sich durch
den Papstbesuch geehrt: Noch nie habe sie „so eine Emotion gespürt“, sagt sie.
„Die
Abhängigkeit gaukelt dir ein Leben im Glück vor: Du verlierst deine Unsicherheit,
lässt das bisherige Leben hinter dir, fühlst dich stark... Vor allem das Heroin gibt
dir eine Sicherheit, die du sonst nicht spürst. Aber dann vergehen die Jahre, und
dir wird klar, dass du dich von innen und von aussen zerstörst.“
Debora
und einige andere Mitglieder ihrer Einrichtung waren zum Mittagessen mit dem Papst
eingeladen. Fiammetta De Salvo leitet diese Einrichtung; uns sagte sie:
„Wir
haben vor allem mit einem wirtschaftlichen und politischen System zu kämpfen, das
sich um diese Realität kaum kümmert und uns immer wieder in große finanzielle Schwierigkeiten
stürzt. Das macht es uns völlig unmöglich, noch mehr zu tun als das Derzeitige. Und
vor allem gibt es kein äußeres Umfeld, das dann diese Menschen, die wir von ihrer
Sucht zu befreien versuchen, wieder integrieren könnte.“