Irland: Umfassende Untersuchung gefordert nach Fund von Kinderleichen
Politiker und Kirchenvertreter
in Irland wollen die Geschichte der Heime für ledige Mütter und deren uneheliche Kinder
durch eine unabhängige Kommission aufarbeiten lassen. Anlass für den Vorstoß sind
jüngste Erkenntnisse zu einem Grab mit 800 Kinderleichen in der zur Grafschaft Galway
gehörenden Stadt Tuam. Sie sollen aus einem Mutter-Kind-Heim stammen, das von katholischen
Ordensfrauen geführt wurde. Das Massengrab war bereits in den 70er Jahren entdeckt
worden. Lange Zeit hieß es, bei den Leichen handle es sich um Opfer der irischen Hungersnot
im 19. Jahrhundert. Eine Historikerin deckte dagegen auf, dass es sich bei den Toten
aller Wahrscheinlichkeit nach um die sterblichen Überreste von jungen Heimbewohnern
handelt, die zwischen 1925 und 1961 ums Leben kamen. Der Erzbischof von Dublin, Diarmuid
Martin, sagte im RTE-Radio:
„Die Indizien sagen doch: Wenn das in Tuam passieren
konnte, dann ist es vielleicht auch in anderen Mutter-und-Baby-Heimen anderswo im
Land passiert. Darum glaube ich, dass wir eine umfassende Untersuchung brauchen. Es
bringt nichts, nur das Geschehen in Tuam zu untersuchen und nächstes Jahr dann noch
anderes herauszufinden - wir müssen die ganze Kultur der Mutter-und-Baby-Heime durchleuchten.“
Martin brachte für die Mitarbeit in einer möglichen Untersuchungskommission
den Namen von Ian Elliott ins Spiel. Als Vorsitzender des von der Kirche eingerichteten
„National Board for Safeguarding Children in the Catholic Church in Ireland“ hatte
Elliott mehrere Prüfberichte zum Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche Irlands
herausgegeben.
„Es ist sehr wichtig, dass eine solche Kommission volle
juristische Autorität hat. Sonst verstrickt man sich in alle möglichen juristischen
Probleme, z.B. Datenschutzfragen. Wenn man das nicht von Anfang an macht, dann bekommt
man eine Kommission, die auf der Stelle tritt.“
„Viel Zeug gelesen“ Nach
dem irischen Premierminister Enda Kenny ließ am Montag auch der irische Erziehungsminister
Ruairi Quinn in einem Interview mit RTE Zustimmung für die Bildung einer solchen Kommission
erkennen. Zuvor jedoch gelte es, möglichst viele Fakten zusammenzutragen, so Quinn
weiter. Der Minister prangerte auch eine einseitige Berichterstattung in den Medien
an. Er habe „am letzten Wochenende viel Zeug gelesen, das ziemlich verschieden ist
von dem, was die Schlagzeilen zunächst suggerierten, als die ganze Geschichte publik
wurde“, so Quinn. Sein Kabinettskollege Charles Flanagan, zuständig für Kinder- und
Jugendangelegenheiten, soll Vorschläge zum weiteren Vorgehen ausarbeiten. Vor einem
früheren Heim für ledige Mütter in Cork trafen sich jetzt Betroffene zum Gedenken.
„All
diesen Müttern hat man das Herz gebrochen! Viele von uns, auch ich selbst, suchen
das ganze Leben lang irgendetwas, das uns diesen Verlust kompensiert, aber das funktioniert
nicht. Wenn dein Baby weg ist, ist auch dein Leben weg.“
„Ich vermute mal“,
so eine weitere Frau, „ich bin einige von wenigen Überlebenden, die hier geboren worden
sind, aber Hunderte über Hunderte sind hier gestorben. Wir wollen an die Toten erinnern
und ihnen die Anerkennung und Würde geben, die sie zu Lebzeiten nicht gehabt haben.“
Die
ehemaligen Bewohnerinnen des Bessborough-Heims in Cork fordern eine Inspektion des
dortigen Friedhofsgeländes. Dieses Heim war das größte seiner Art und wurde von den
Herz-Jesu- und Marien-Schwestern geleitet.
„Wir brauchen eine Untersuchung
aller Mütter-und-Baby-Häuser. Es gibt zuviele unbeantwortete Fragen. Wir brauchen
die Antworten für alle diese Einrichtungen!“
Die Einrichtung in Tuam war
laut Medienberichten eines von zehn Heimen in Irland, in denen insgesamt rund 35.000
ledige Mütter, sogenannte „gefallene Frauen“, untergebracht wurden. Zum Teil mussten
sie dort Zwangsarbeit verrichten. Die sogenannten „Magdalene Laundries“ (Wäschereien
für Sünderinnen) machten vor einigen Jahren international Schlagzeilen und wurden
auch als Filmstoff verarbeitet. Die Kinder „gefallener Frauen“ wurden den Müttern
in der Regel weggenommen und an andere Familien weitergegeben. Obwohl die meisten
Heime von katholischen Orden geführt wurden, standen sie unter Verantwortung des Staates.
Das
irische Justizministerium beauftragte die Polizei damit, Dokumente wie Todesurkunden
und Sterberegister aus Tuam zusammenzutragen. Die Sonderprojektleiterin des irischen
Nationalarchivs Catriona Crowe plädierte für eine Sammlung aller Dokumente aus sämtlichen
Mutter-Kind-Heimen. Viele Quellen befänden sich noch im Privatbesitz der Orden, kritisierte
Crowe. In dem seinerzeit von den Bon-Secours-Schwestern geführten Heim in Tuam liegen
die relevanten Akten laut Ortsbischof Michael Neary seit 1961 bei der Grafschaft Galway
und den Gesundheitsbehörden.