40 Wissenschaftler
aus allen Kontinenten sprechen in diesen Tagen im Vatikan über die globalen Zusammenhänge
der Entwicklung der Menschheit. Es geht um Nachhaltigkeit in Ernährung, Gesundheit
und Energie, echte existenzielle Herausforderungen bereits der Gegenwart also. Teilnehmer
der fünf Tage dauernden Sitzung in den Vatikanischen Gärten sind Angehörige der Päpstlichen
Akademien für Wissenschaften und Sozialwissenschaften. Gudrun Sailer sprach mit Roland
Minnerath, Erzbischof von Dijon und einer der führenden katholischen Intellektuellen
zum Thema Sozialethik; er gehört der päpstlichen Akademie der Sozialwissenschaften
an.
„Der Begriff Nachhaltigkeit der Natur ist greifbar. Wir wissen alle,
dass wir in großer Gefahr sind mit der Umwelt. Nachhaltigkeit der Menschheit gehört
aber auch dazu. Für mich ist der Schwerpunkt die Beziehung der Menschheit zur Natur.
Wir stehen vor einem Punkt, wo die gesamte Menschheit getroffen ist, besonders die
ärmsten, die unter der Verschmutzung der Umwelt am meisten leiden. Welches Bewusstsein
können wir erwecken in der Menschheit heute, damit jeder sich beteiligt an der Bekämpfung
dieser Unordnung und Verschmutzung? Und damit wir eine Natur, eine Schöpfung weiter
geben wie der Schöpfer sie für uns wollte. Da liegt eine große Herausforderung im
ethischen Sinn.“
Die Arbeitsgruppe wurde als Reaktion auf den gescheiterten
Rio+20 Gipfel von 2012 einberufen, der keine Antworten auf die Herausforderungen des
Umweltschutzes gefunden hatte. Schälen sich solche Antworten bei Ihren Debatten heraus?
Gibt es Antworten und Strategien, die wirklich erfolgversprechend sind und bisher
nicht gefunden waren?
“Die Zuhörer sind meistens an Lösungen interessiert,
das ist klar. Aber eine wissenschaftliche Akademie kann keine politischen Lösungen
geben. Sie kann nur Hinweis geben und sagen, da stehen wir. Jetzt muss die Menschheit
in ihren verschiedenen Gruppierungen Nationen usw. etwas tun. Alle Probleme sind besprochen
worden, die Polarregionen, die Küste, die Megacities, Meerverschmutzung, das Problem
der CO2-Verschmutzung, an der jährlich 600.000 Menschen sterben. Die Probleme stehen
bereit, die Lösungen müssen vermittelt werden durch Politik und Gesellschaft.”
Was
ist der Vorteil einer solchen hochrangigen wissenschaftlichen Arbeitsgruppe im Vatikan
gegenüber einem politischen Umweltgipfel wie Rio+20? Was kann die Kirche an Eigenem
beisteuern?
„Die Größe der Kirche ist, dass sie wie in diesem Augenblick
in diesem Tagungssaal imstande ist, mit der Weltwissenschaft, mit den Religionen undsoweiter,
zu diskutieren. Das können nicht viele sagen. Ich glaube so ein Moment wie heute,
den es selten gibt, muss in die Geschichte eingehen, weil wir hier in einer sehr freundlichen
Weise diskutieren und die Ergebnisse der Forschung darlegen in Hinsicht auf die Zukunft.
Hier ist die Menschheit wieder vereint, sie steht vor denselben Probleme. Wie können
wir sie anpacken, ohne dass der Mächtigste die anderen unterdrückt. Deshalb steht
die Ethik da. Die christliche Ethik ist Befreiung, weil es einen Horizont der Wahrheit
gibt, der für alle gilt. Und dafür sind wir da.“
Die Tagung wurde noch
unter Benedikt XVI. einberufen, hat aber neuen Schwung durch das Pontifikat von Franziskus
erhalten, sagte Minnerath mit Blick auf das programmatische päpstliche Schreiben „Evangelii
Gaudium“ und die angekündigte Umwelt-Enzyklika.