Legionäre Christi: Nach den Skandalen die Wiederentdeckung des eigenen Charismas
Um die Legionäre Christi
ist es etwas ruhiger geworden. In den vergangenen Jahren waren die Skandale um deren
Gründer, den mexikanischen Priester Marcial Marciel Degollado, um Doppelleben und
Veruntreuung, um Missbrauch und Verdunkelung immer wieder Gesprächsstoff. Eine apostolische
Visitation durch den Vatikan bestätigte Missbrauch und andere Vorwürfe. Am 1. Mai
2010 veröffentlichte der Vatikan eine Stellungnahme: „Die Apostolische Visitation
hat ergeben, dass die Lebensführung von Pater Marcial Maciel Degollado ernste Folgen
im Leben und in der Struktur der Kongregation der Legionäre Christi verursacht hat,
und zwar dermaßen, dass ein Weg tiefgehender Revision erforderlich sein wird.“ Diesen
Weg ist die Legion in den vergangenen Jahren gegangen, ein Delegat – Kardinal Velasio
de Paolis - hat sie im Namen des Vatikans geleitet und im kommenden Januar will man
in einem Generalkapitel die zu erneuernden Strukturen beraten, diese verabschieden
und eine neue Leitung wählen.
Aber Struktur ist ja nicht alles, dahinter liegt
immer auch ein geistlicher Weg, ein Kern, eine Spiritualität. Wie es damit aussieht,
darüber unterhalten wir uns heute mit Pater Sylvester Heeremann LC. Er ist Generalvikar
der Legionäre Christi und amtierender Generaldirektor und spricht über den Weg, den
die Legion genommen hat…
„Ein Weg, der sicher auch noch nicht abgeschlossen
ist. Der Heilige Vater hat 2010 nach der Visitation durch fünf Bischöfe und einer
gründlichen Auseinandersetzung mit unserer Realität uns im Wesentlichen zwei Aufgaben
gegeben. Die erste ‚Hausaufgabe’ bezieht sich auf das Verständnis des Charismas und
der Strukturen, die dieses Charisma schützen oder auch ausdrücken sollen. Das ist
mehr der theoretische Bereich. Und dann die Revision unseres Lebens.
Zum
ersten Punkt würde ich sagen, dass es ein sehr fruchtbarer Weg war, uns damit auseinander
zu setzen, was der Kern ist, der die Legionäre Christi ausmacht, was ist das Charisma,
also was wollte der Heilige Geist der Kirche durch unsere Gemeinschaft nahe bringen.
Es war wichtig, dass wir uns damit auseinander setzen, weil wir immer in der Versuchung
standen und wohl auch in sie gefallen sind, fast jede Meinungsäußerung des Gründers
auf Charisma-Ebene zu heben. Dinge sind mit dem Wert von Charisma belegt worden und
deswegen nicht hinterfragbar gemacht worden, die hinterfragbar sind. Die waren in
der Mehrheit vielleicht gute und nützliche Sachen, aber vielleicht für die 1950er
Jahre oder für Mexiko, nicht für Deutschland oder für das Jahr 2010.
Das
war ein sehr fruchtbarer Prozess, der nicht einfach war, weil wir eben anerkennen
mussten, dass viele Dinge, die wir für nicht hinterfragbar hielten, doch hinterfragbar
sind. Das war das wichtigste Umdenken.“
Umdenken, neu denken, neu aufschreiben:
Nun hat die Legion aber eine Geschichte, und sie hat Mitglieder, die das alles miterlebt
haben.
„Ich glaube, dass die Einberufung des Kapitels für uns oder für die
Mehrheit auch ein Einbiegen in die Zielgerade ist und dass die große Mehrheit der
Mitbrüder mit Vertrauen und einer großen Gelassenheit jetzt heute dasteht und auf
das Kapitel schaut, nach drei auch schwierigen Jahren, in denen wir auch intern auch
unsere Höhen und Tiefen hatten und interne Spannungen, weil jeder die Tatsachen um
den Gründer auf seine Weise aufarbeiten und erleben musste. Diese grundsätzlich Positive
Diagnose schließt natürlich nicht aus, dass es weiterhin Spannungsfelder gibt und
dass es auch weiterhin Positionen unter den Mitbrüdern gibt, wo nicht alle gleich
in wichtigen Fragen einer Meinung sind.“
„Es ist sicher spannungsreich.
Wandel ist immer etwas Schweres und verursacht auch Ängste und dann gibt es die einen,
die vorpreschen und die anderen, die auf der Bremse stehen. Heute ist es glaube ich
so, dass Gott sei Dank nicht nur Vertrauen da ist, sondern auch ein Verständnis dafür,
was in den letzten Jahren geschehen ist. Dadurch, dass alle mitmachen konnten, mitreden
konnten, fühlen sich auch alle mitgenommen. Und wie gesagt: Heute, auch wenn es für
einige sehr schwer war, zu lernen, dass nicht alles gut aber auch nicht alles schlecht
war, also das Gleichgewicht zu finden, was zu bewahren und was zu ändern ist, hat
die große Mehrheit es geschafft, sich darauf einzuschwingen und wir haben auch untereinander
einen neuen Einklang gefunden, der uns die Kraft gibt, weiter zu gehen und weiter
zu bauen.“
Das Generalkapitel wird Anfang Januar zusammen treten, um den
Prozess abzuschließen, der mit der Visitation von 2010 begonnen wurde.
„Das
Generalkapitel hat im Wesentlichen drei Aufgaben. Die erste Aufgabe ist die der Konstitutionen,
das noch einmal in aller Freiheit zu diskutieren, wobei natürlich dieser ganze Weg
ein brauchbares Produkt hervorgebracht hat. Das wird ein wichtiger Teil sein. Dann
wird es aber auch darum gehen, die letzten drei Jahre abzuschließen und alles, was
wir in den Jahren gelernt haben ins Wort zu fassen, sich noch einmal über die Geschichte
zu äußern und zu versuchen, als Gemeinschaft noch einmal die Aufarbeitung auf eine
fruchtbare Weise abzuschließen. Welche Themen da hinein kommen, das wird das Generalkapitel
selber entscheiden müssen. Das ist die zweite große Aufgabe. Die wichtigste Aufgabe
ist natürlich die Wahl eines neuen Generaldirektors und eines neuen Generalrates.“
Aber
was heißt das geistlich? Wie setzen die Legionäre Christi die Vorgaben aus dem Vatikan
um und was wird sich ändern? Immerhin reagiert das alles auf eine Vorgabe des Papstes,
der nach einer „tiefgreifenden Revision“.
„Nach der Visitation der fünf
Bischöfe hat er drei Bereiche aufgegeben, über die wir nachzudenken hatten. Das eine
war die Gefahr, in das zu fallen, was er ‚Effizientismus’ nannte. Das zweite: Dass
wir uns über die Ausbildung unserer Mitbrüder Gedanken machen sollen und drittens
die Ausübung der Autorität.
In diesen drei Bereichen haben wir eine
Gewissenserforschung gemacht. Der Bereich Effizientismus ist positiv formuliert sozusagen
die Aufforderung, im apostolischen Einsatz den Vorrang der Gnade und der Freiheit
der Person wirklich zu würdigen. Wir sind ein sehr apostolischer Orden, ein sehr aktiver
Orden, und diesen aktiven Aspekt haben wir in der Vergangenheit vielleicht manchmal
übertrieben. Der Gründer hat uns etwas hinterlassen, was zwar etwas Positives ist,
was man aber leicht übertreiben kann: Den Wunsch, etwas zu erreichen, etwas zu bewegen,
Einfluss auf die Welt zu haben im positiven Sinn. Wenn man da zu sehr auf die Ergebnisse
aus ist und zu sehr greifbare Resultate erreichen will, ist das aus der Sicht des
Evangeliums heraus eine zweischneidige Sache. In dem Bereich sehen wir, dass wir uns
da reinigen mussten und nicht so sehr auf unsere Fähigkeiten zu vertrauen und mit
aller Kraft sozusagen versuchen, etwas zu erreichen.
In den beiden anderen
Bereichen haben wir gesehen, dass wir da wirklich Bedarf hatten, uns mit den kritischen
Fragen auseinanderzusetzen. Wir haben in den Jahren viel über den Bereich Ausübung
der Autorität nachgedacht, wie wichtig es ist, die Teilnahme der betroffenen Ordensmitglieder
an Entscheidungen zu stärken. Wir hatten eine sehr vertikale Struktur wo die Autorität
sehr personal war. Im Grunde hat der Generalobere also in der Vergangenheit der Gründer
vieles selber entschieden, auch ohne dass er seinen Rat hinreichend einbezogen hat.
Das Moderieren der persönlichen Autorität durch die Räte war etwas, was wir bei uns
nachholen mussten und was nicht gut entwickelt war. Da versuchen wir jetzt eine neue
Brüderlichkeit und vor allem die Einbindung der Einzelnen und der Gemeinschaft in
die Entscheidungsprozesse.
Das mag abstrakt klingen, führt aber zu einem
echten Kulturwandel.“