Papst Franziskus hat
die jüdische Gemeinde von Rom zu einer Audienz im Vatikan empfangen. Als Bischof von
Rom fühle er sich ihnen besonders nahe, sagte er dabei. Christen und Juden hätten
die gemeinsame Aufgabe, in einer Kultur des Relativismus die Werte der Zehn Gebote
hochzuhalten. Zusammen mit Oberrabbiner Riccardo Di Segni erinnerte der Papst an den
70. Jahrestag der Deportation von Juden aus Rom. Die jüdische Gemeinde von Rom ist
die älteste überhaupt in Westeuropa; in der Antike gehörte sie zu den bedeutendsten
außerhalb Palästinas.
„Liebe Freunde von der jüdischen Gemeinde, Shalom!“ So
begann Papst Franziskus seine Ansprache. Er wisse, dass das Zusammenleben von Kirche
und Judentum in der Ewigen Stadt „oft von Unverständnis und auch echten Ungerechtigkeiten
geprägt“ gewesen sei: Mittlerweile aber hätten sich, vor allem dank dem Konzil, „freundschaftliche
und brüderliche Beziehungen entwickelt“.
„Paradoxerrweise hat uns die Tragödie
des Krieges gelehrt, unseren Weg gemeinsam zu gehen. Wenn wir in ein paar Tagen an
die Deportation von Juden aus Rom vor siebzig Jahren erinnern, dann werden wir für
viele unschuldige Opfer menschlicher Barbarei beten. Wir werden dadurch aber auch
angeleitet, in unserer Wachsamkeit allen Formen der Intoleranz und des Antisemitismus
gegenüber nicht nachzulassen, ob in Rom oder im Rest der Welt. Möge der Antisemitismus
aus dem Herzen und dem Leben jedes Mannes und jeder Frau verschwinden!“
Erinnerung
an christliche Retter während der Judenverfolgungen
Franziskus verteidigte
indirekt die Rolle seines Vorgängers Pius XII. während der Judenverfolgungen im Dritten
Reich. In der „dunklen Stunde“ habe es die christliche Gemeinschaft von Rom „verstanden,
den Brüdern in Schwierigkeiten eine helfende Hand zu reichen“.
„Wir wissen,
dass viele religiöse Einrichtungen, Klöster und auch die Päpstlichen Basiliken ihre
Tore für eine brüderliche Aufnahme von Juden geöffnet haben! Dabei stützten sie sich
auf den Willen des Papstes. Viele Christen haben jede Hilfe, zu der sie nur imstande
waren, geleistet, ob in kleinem oder großem Maßstab. Einer großen Mehrheit von ihnen
war zwar nicht bewusst, wie nötig es war, das christliche Verständnis vom Judentum
auf einen neuen Stand zu bringen, und vielleicht wussten sie nur wenig vom Leben der
jüdischen Gemeinde. Aber sie hatten den Mut, das zu tun, was in diesem Moment das
Richtige war, nämlich: den Bruder, der in Gefahr war, zu schützen.“
Der
Papst betete für die über 1.000 Juden, die am 16. Oktober 1943 von den deutschen Besatzern
deportiert wurden. Fast alle von ihnen starben im Vernichtungslager Auschwitz, nur
17 überlebten – davon nur eine Frau, und keines der verschleppten Kinder.
„An
ein historisches Ereignis zu erinnern, bedeutet aber nicht nur eine einfache Erinnerung,
sondern auch, ja vor allem den Versuch, die Botschaft zu verstehen, die das für heute
bedeutet. Johannes Paul II. schrieb, dass das Gedenken eine wichtige Rolle habe beim
Aufbau einer Zukunft, in der ein solches Grauen wie die Shoah nicht mehr möglich sein
dürfe; und Benedikt XVI. mahnte in Auschwitz, die Vergangenheit sei nicht einfach
vorbei, sondern gehe uns heute an und zeige uns den einzuschlagenden Weg... Mögen
die jungen Generationen sich nie wieder von Ideologien hinreißen lassen! Mögen sie
nie das Böse zu rechtfertigen suchen! Mögen sie es nie an Wachsamkeit gegenüber Antisemitismus
und Rassismus fehlen lassen.“
Oberrabbiner: Noch nicht alles gelöst
Oberrabbiner
Di Segni hatte zu Beginn in einem Grußwort an Papst Franziskus die Fortschritte im
Verhältnis von Katholiken und Juden in Rom gewürdigt. Anders als der Papst erwähnte
er dabei nicht nur die Shoah, sondern auch die Gründung des Staates Israel als wichtige
Lehre des 20. Jahrhunderts.
„Ich stehe hier binnen zehn Jahren zum dritten
Mal einem Papst gegenüber; mit ihren beiden letzten Vorgängern, von denen jeder seine
eigene Persönlichkeit und seinen eigenen Stil hatte, verbanden uns besondere Beziehungen...
Was die Probleme beim Verhältnis Katholiken-Juden in Rom betrifft, ist eindeutig viel
geleistet worden. Aber oft führt die Lösung eines Problems zu neuen Problemen, und
wir haben noch bei weitem nicht alles gelöst! Wir müssen weiterarbeiten, um die Sensibilitäten
und kritischen Punkte zu verstehen und für eine Verbreitung der positiven Botschaften
zu sorgen, so dass der gegenseitige Respekt real wird.“
Aus der neuen Nähe
beider Glaubensgemeinschaften in Rom ergebe sich eine „öffentliche Verantwortung“,
so Di Segni. Er nannte als Beispiel das Flüchtlingsdrama von Lampedusa.
„Unserem
liturgischen Kalender entsprechend haben wir letzten Samstag die Geschichte von Noah
und der Sintflut gelesen – wie eine Familie auf einem Schiff überlebt, während der
Rest der Menschheit von den Fluten vernichtet wird. Heute erleben wir paradoxerweise
das Gegenteil: Menschen auf einem Schiff sterben, während drumherum eine ohnmächtige,
teilweise auch gleichgültige Menschheit überlebt. Unsere Geschichte und unser Glauben
rebellieren dagegen, und Sie haben gezeigt, dass Sie diese Rebellion teilen und dass
wir der Menschheit gemeinsame Werte zu übermitteln haben.“
Der Oberrabbiner
wünschte sich von Franziskus „Gesten der Freundschaft“ während seines Pontifikats.
„Sie werden durch die Welt reisen und dabei auch viele jüdische Gemeinden
treffen, Sie werden auch Israel besuchen. Aber ein erneuter Papstbesuch bei unserer
römischen Gemeinschaft darf nicht fehlen! Sie wartet darauf, Sie zu empfangen, wie
Sie auch Ihre Vorgänger empfangen hat.“