Papst im TV-Interview: „Ich mag keinen Jugendlichen, der nicht protestiert“
Warum fährt Papst
Franziskus im Fiat, warum lebt er in der Casa Santa Marta und warum verzichtet er
auf das gepanzerte Papamobil? Diese Fragen wurden seit dem Beginn des Pontifikats
immer wieder gestellt und nun hat Franziskus sie selbst beantwortet: In einem Interview
mit dem brasilianischen Fernsehsender „TV GLOBO“. Das Interview – übrigens das erste
seit dem Amtsantritt von Papst Franziskus im März – war bereits am Donnerstag in der
erzbischöflichen Residenz Sumaré in Rio de Janeiro aufgezeichnet worden. Dort ging
Franziskus aber auch auf aktuelle Themen ein, wie die Proteste in Brasilien.
Alles
oder nichts – halbherzige Kommunikation tut nicht gut
Mit deutlichen
Worten hat sich Papst Franziskus in dem Interview mit „GLOBO-TV“ zu den Protesten
in Brasilien geäußert: Auch wenn er nicht alle Hintergründe der Proteste kenne und
deshalb nicht genau darauf eingehen könne, zeigte Franziskus Sympathie für die Demonstranten:
„Ich mag keinen Jugendlichen, der nicht protestiert“. Jugendliche lebten von Träumen
und Utopien – „und Utopien sind nicht immer schlecht“. Schließlich bedeuten Utopien
„zu atmen und nach vorne zu schauen“ – eine Fähigkeit, die den Erwachsenen oft abgehe,
so der Papst: „Jugendliche haben mehr Energien, ihre Ideen zu verteidigen.“ Zudem
dürfe man nicht gering schätzen, dass Jugendliche „mehr Frische besitzen, um Dinge
beim Namen zu nennen“, sagte Franziskus wörtlich. Es liege in der Natur junger Menschen,
nicht einverstanden zu sein mit dem Bestehenden. „Das ist sehr schön“, so der Papst.
Man müsse Jugendliche hören und sie vor Manipulation schützen, „denn es gibt Leute,
die manipulierte Menschen für ihre Zwecke missbrauchen wollen“.
Wie zuvor
bei seinem Besuch in Lampedusa, warnte der Papst in dem Interview erneut vor einer
„Globalisierung der Gleichgültigkeit“: Es gibt Jugendliche, die im Winter erfrieren
- und das ist keine Nachricht wert, doch wenn die Börsen der großen Städte um drei
oder vier Punkte fallen, dann schon", so Franziskus. Die Politik betreibe eine „grausame
Vergötterung des Geldes“ und missachte soziale Probleme wie etwa die hohe Jugendarbeitslosigkeit.
Dies sei „alarmierend“, so der Papst.
Es macht keinen Sinn, über Theologie
zu sprechen, wenn wir dem Nächsten nicht helfen
Franziskus sprach auch
darüber, was seine Botschaft für alle Menschen sei, unabhängig davon, ob sie glaubten
oder nicht: „Ich glaube dass alle Religionen, die verschiedenen Religionen, das wir
alle nicht ruhig schlafen können, wenn es auch nur ein Kind gibt, das Hunger leidet,
keine Bildungsmöglichkeit hat, ein junger oder alter Mensch ohne ärztliche Versorgung.
Die Arbeit der Religionen ist nicht Mildtätigkeit. Aber zumindest die Katholiken und
auch die anderen christlichen Religionen werden danach beurteilt, wie mildtätig sie
handeln. Es macht keinen Sinn, über Theologie zu sprechen, wenn wir nicht in der Lage
sind, dem Nächsten zu helfen.“
„Wollte keine Glaskiste“
Erfreut
zeigte sich der Papst in dem Interview über den herzlichen Empfang zum Weltjugendtag
in Brasilien. Das Land habe „ein großes Herz“. Das oftmalige Konkurrenz-Verhältnis
des Landes zu seiner Heimat Argentinien sei zumindest seitens der Kirche überwunden,
erklärte er mit einem Lachen: „Wir haben das gut verhandelt: Der Papst ist Argentinier,
Gott ein Brasilianer“.
Thema des Interviews waren auch seine Entscheidung,
im Fiat zu fahren sowie der Verzicht auf Luxus während seiner Reise. Ein Auto sei
manchmal unverzichtbar, zum Beispiel auch in vielen Gemeinden – aber es müsse ein
bescheidener Wagen sein, begründete Franziskus seine Autowahl, die Menschen seien
sowieso schon zu viel ans Geld gebunden. Zum Papamobil sagte er: „Ich habe mir das
Papamobil angesehen, und es war verglast. Niemand kann seine Freunde in einer Glaskiste
besuchen“, so seine Erklärung für den Verzicht auf die sichere Autovariante. „Entweder
alles oder nichts. So wurde es eine Reise mit menschlicher Kommunikation, denn eine
halbherzige Kommunikation tut nicht gut.“ Dafür, dass er nicht immer die Empfehlungen
der vatikanischen und brasilianischen Sicherheitskräfte Folge leistete, habe er allerdings
in Kauf genommen, „diszipliniert zu werden“. Zudem dankte Franziskus sämtlichen Sicherheitsbeamten
in dem Interview für ihre Arbeit.
„Santa Marta spart mir den Psychologen“
Auf
die Frage, warum er weiterhin im vatikanischen Gästehaus Santa Marta wohne, antwortete
Franziskus: „Ich bin da geblieben, weil mir das mein Psychologe empfohlen hat. Ich
kann nämlich nicht alleine sein, Einsamkeit tut mir nicht gut. Ich bin dort, um unter
Menschen zu sein.“ Außerdem könne er so Geld sparen, denn wenn er alleine wohnen würde
hätte er wohl sehr viel Geld für Sitzungen beim Psychologen ausgeben müssen, so Franziskus.
Der Papst beschrieb auch ein wenig das Haus Santa Marta: „Ich bin dort mit etwa 40
Priestern und Bischöfen untergebracht die beim Heiligen Stuhl arbeiten. Es gibt etwa
130 Zimmer und wir essen immer alle gemeinsam. Bei den Mahlzeiten treffe ich viele
verschiedene Leute, das gefällt mir.“
Kurienreform: Erste Sitzung Anfang
Oktober
Auch zu der Frage nach der Kurienreform äußerte sich Franziskus
in dem etwa 10-minütigen Interview: Franziskus gab bekannt, dass zahlreiche Unterlagen
dafür bereits existierten und „am 1., 2. und 3. Oktober“ die erste offizielle Sitzung
des von ihm einberufenen Beratergremiums stattfinden werde. Zu erwarten seien von
diesem Treffen bereits einige Richtlinien, wenn auch noch keine definitive Kurienreform.
„Die Kirche muss sich immer erneuern, sonst bleibt sie zurück. Es gibt Dinge, die
im vergangenen Jahrhundert oder zuvor nützlich waren, doch nun keinen Vorteil mehr
bringen. Deshalb muss man sie eben reformieren“, so der Papst wörtlich.
„Nunzio
Scarano hat schlecht gearbeitet“
Befragt nach den jüngst aufgedeckten
Vatikanbank-Skandalen, bemerkte der Papst, dass der des Betrugs und der Korruption
angeklagte Prälat Nunzio Scarano „schlecht gearbeitet“ habe und von der Kirche entsprechend
bestraft werden müsse. Trotz der ständigen allgemeinen Kritik an der Kurie gebe es
hier „viele Heilige - heilige Kardinäle, Bischöfe, Priester, Ordensschwestern und
Laien - Menschen Gottes, die die Kirche lieben.“ Das werde jedoch kaum beachtet. „Ein
fallender Baum macht mehr Lärm als ein wachsender Wald“, meinte Franziskus dazu.
„Wie
erklären Sie sich den Zulauf der Neuevangelikalen Kirchen in Lateinamerika?“
Eine
weitere aktuelle Frage stellte der Journalist im Interview: „Wie erklären Sie sich
den Zulauf der Neuevangelikalen Kirchen in Lateinamerika?“ Franziskus räumte ein,
dass er nicht alle Zahlen kenne, geschweige denn die Gründe und sich dieses Phänomen
nicht erklären könne. Er habe aber eine Vermutung: Die Kirche müsse wie eine Mutter
sein, die sich immer kümmert, die einen umarmt, einen küsst, liebt. Vielleicht habe
die Kirche das manchmal vernachlässigt, weil sie mit zu vielen anderen Dingen beschäftigt
sei. „Es gibt einen Priestermangel und deshalb gibt es einige Gebiete, in denen gar
keine Priester sind. Die Menschen sind aber auf der Suche und sie brauchen das Evangelium.“
Er wisse nicht, wie das in Brasilien sei, aber für Argentinien könne er sagen: Da
habe manchmal einen Mangel an Nähe festgestellt.