Schon seit Jahren
werden im Sinai hauptsächlich aus Eritrea stammende Flüchtlinge brutal gefoltert.
Sie wollen nach Israel, und auf dem Weg dorthin gelangen viele von ihnen über den
Sudan in den Sinai, wo sie in den Händen einiger skrupelloser Beduinen Höllenqualen
erleiden. Um den Opfern zu helfen, ist auch eine Eritreerin selbst im Einsatz: Seit
sechs Jahren versucht Alganesh Fessaha von der Nichtregierungsorganisation Ghandi
ihre Landsleute aus dem Sinai zu befreien. An diesem Montag war Fessaha in der Redaktion
von Radio Vatikan zu Besuch. Im Gepäck hatte sie eine „Horror-Powerpointpräsentation“,
die dokumentiert, wie schlimm die von ihrer Organisation Befreiten oft zugerichtet
sind.
Obwohl ich aus Erzählungen von Fessaha schon weiß, dass die Flüchtlinge
von ihren Geiselnehmern auf grausamste Art und Weise gefoltert werden, bin ich schockiert,
als dazu Fotos plötzlich groß an Wand projiziert werden. Mir wird übel, ich bekomme
eine Gänsehaut, am liebsten würde ich wegschauen. Ausgehungerte Menschen, klaffende
Wunden, verbranntes Fleisch: Diese Bilder brennen sich in mein Gedächtnis, der Anblick
ist kaum auszuhalten. Ich zwinge mich, hinzusehen und hinzuhören – denn das ist die
Realität: So versuchen einige der Beduinen im Sinai von den Angehörigen der Opfer
ein Lösegeld von umgerechnet etwa 45.000 oder 55.000 Dollar zu erpressen. Fessaha
berichtet:
„Sie sagen der Familie: ,Wenn ihr das nicht zahlt, dann töten
wir euer Kind, euren Sohn, eure Tochter, wen auch immer aus eurer Familie.’ Die Erpresser
foltern ihre Gefangenen, zum Beispiel indem sie sie mit heißen Eisen schlagen oder
Mädchen und Frauen dreimal am Tag vergewaltigen. Viele, die aus diesen Gefängnissen
kommen, sind auch schon schwanger.“
Schonungslos beschreibt die Eritreerin
die skrupellosen Methoden der Erpresser. Während sie ihre Gefangenen foltern, rufen
sie deren Familien an: Die Schreie dringen dann aus dem Telefonhörer, so sollen diese
zum Zahlen gezwungen werden. Doch wie kommen die Opfer überhaupt in den Sinai?
„Die
meisten der Flüchtlinge in Äthiopien sind Eritreer. Sehr viele fliehen von dort, weil
die Lage vor Ort nicht gut ist: Sie finden keine Arbeit, sie können nicht studieren,
das Leben ist nicht einfach. Hinzu kommt, dass es ab dem 16. Lebensjahr einen strengen
Militärdienst gibt. Die Menschen fliehen also, weil sie sehen, dass sie keine Zukunft
haben. Sie fliehen in den Sudan, doch wenn sie dort ankommen, werden sie von den dortigen
Sicherheitskräften aufgegriffen und in Flüchtlingslager gesteckt. In der letzten Zeit
passiert es aber, dass die sudanesischen Polizei- und Sicherheitskräfte die Eritreer
an Beduinen verkaufen, welche sie dann weiterverkaufen an Beduinen in Ägypten - und
so landen sie an der Grenze zum Sinai.“
Frau Fessaha ist es jedoch wichtig,
dass nicht alle Beduinen im Sinai in das schmutzige Geschäft verstrickt sind:
„Nein,
nicht alle haben etwas damit zu tun, es ist nur eine Minderheit! Die Mehrheit der
Beduinen kämpft im Gegenteil seit mindestens zwei Jahren gegen diese Machenschaften.
Sie sagt: ,Das muss aufhören.’ Und wir sehen auch, dass die Fälle ein wenig zurückgegangen
sind.“
In der vergangenen Woche gelang es Fessaha und ihren Leuten, 16
Flüchtlinge im Sinai zu befreien. Aktuell geht die Nichtregierungsorganisation Ghandi
davon aus, dass etwa 250 Personen in den Händen der skrupellosen „Menschenhändler“
sind, und etwa 500 bis 600 in ägyptischen Gefängnissen.
„Es gibt zwei Situationen
der Flüchtlinge: Die einen sind in der Hand der Beduinen und werden, während sie die
Grenze zum Sinai überschreiten, von der ägyptischen Polizei festgenommen, die manchmal
dort patrouilliert. Diese Menschen werden dann als illegale Flüchtlinge in ägyptische
Gefängnisse gesteckt. Dort bleiben sie für zwei, vier, sechs Monate – so lange, bis
wir sie dort herausholen und ihnen ein Ticket für den Rückflug nach Äthiopien geben
können. Die äthiopische Regierung ist die einzige in Afrika und Europa, die Eritreer
aus humanitären Gründen zu ihren Landsleuten erklärt, also zu Äthiopiern, und sie
dann als Flüchtlinge aufnimmt und in Flüchtlingslagern unterbringt.“
Obwohl
der Sinai eigentlich ägyptisches Territorium ist, haben die Autoritäten des Landes
dort kaum Durchsetzungsmöglichkeiten:
„Das Territorium im Sinai wird von
den Beduinen bestimmt, dort gibt es fünf bis sechs Familien, die ins Clans aufgespalten
sind. Sie führen den Nord-Sinai als, sagen wir mal, eine Art ,privaten Staat’. Das
Militär hat dort keine Möglichkeit, einzumarschieren, wir haben das jedenfalls nie
gesehen. Wir bitten manchmal um Hilfe, aber die Soldaten können dort nicht eingreifen.“
Neben
den Eritreern, die versuchen, sich nach Israel durchzuschlagen, gibt es eine weitere
Gruppe von Flüchtlingen in Libyen, erzählt Fessaha. Sie geht davon aus, dass sich
dort zwischen 1.600 und 1.700 Menschen verstecken, die auf ihre Chance warten, nach
Europa zu fliehen. Viele von diesen Seeflüchtlingen stranden dann zum Beispiel auch
auf Lampedusa.