2013-07-04 12:40:47

Sinai: Drama der Flüchtlinge nimmt kein Ende


RealAudioMP3 Schon seit Jahren werden im Sinai hauptsächlich aus Eritrea stammende Flüchtlinge brutal gefoltert. Sie wollen nach Israel, und auf dem Weg dorthin gelangen viele von ihnen über den Sudan in den Sinai, wo sie in den Händen einiger skrupelloser Beduinen Höllenqualen erleiden. Um den Opfern zu helfen, ist auch eine Eritreerin selbst im Einsatz: Seit sechs Jahren versucht Alganesh Fessaha von der Nichtregierungsorganisation Ghandi ihre Landsleute aus dem Sinai zu befreien. An diesem Montag war Fessaha in der Redaktion von Radio Vatikan zu Besuch. Im Gepäck hatte sie eine „Horror-Powerpointpräsentation“, die dokumentiert, wie schlimm die von ihrer Organisation Befreiten oft zugerichtet sind.

Obwohl ich aus Erzählungen von Fessaha schon weiß, dass die Flüchtlinge von ihren Geiselnehmern auf grausamste Art und Weise gefoltert werden, bin ich schockiert, als dazu Fotos plötzlich groß an Wand projiziert werden. Mir wird übel, ich bekomme eine Gänsehaut, am liebsten würde ich wegschauen. Ausgehungerte Menschen, klaffende Wunden, verbranntes Fleisch: Diese Bilder brennen sich in mein Gedächtnis, der Anblick ist kaum auszuhalten. Ich zwinge mich, hinzusehen und hinzuhören – denn das ist die Realität: So versuchen einige der Beduinen im Sinai von den Angehörigen der Opfer ein Lösegeld von umgerechnet etwa 45.000 oder 55.000 Dollar zu erpressen. Fessaha berichtet:

„Sie sagen der Familie: ,Wenn ihr das nicht zahlt, dann töten wir euer Kind, euren Sohn, eure Tochter, wen auch immer aus eurer Familie.’ Die Erpresser foltern ihre Gefangenen, zum Beispiel indem sie sie mit heißen Eisen schlagen oder Mädchen und Frauen dreimal am Tag vergewaltigen. Viele, die aus diesen Gefängnissen kommen, sind auch schon schwanger.“

Schonungslos beschreibt die Eritreerin die skrupellosen Methoden der Erpresser. Während sie ihre Gefangenen foltern, rufen sie deren Familien an: Die Schreie dringen dann aus dem Telefonhörer, so sollen diese zum Zahlen gezwungen werden. Doch wie kommen die Opfer überhaupt in den Sinai?

„Die meisten der Flüchtlinge in Äthiopien sind Eritreer. Sehr viele fliehen von dort, weil die Lage vor Ort nicht gut ist: Sie finden keine Arbeit, sie können nicht studieren, das Leben ist nicht einfach. Hinzu kommt, dass es ab dem 16. Lebensjahr einen strengen Militärdienst gibt. Die Menschen fliehen also, weil sie sehen, dass sie keine Zukunft haben. Sie fliehen in den Sudan, doch wenn sie dort ankommen, werden sie von den dortigen Sicherheitskräften aufgegriffen und in Flüchtlingslager gesteckt. In der letzten Zeit passiert es aber, dass die sudanesischen Polizei- und Sicherheitskräfte die Eritreer an Beduinen verkaufen, welche sie dann weiterverkaufen an Beduinen in Ägypten - und so landen sie an der Grenze zum Sinai.“

Frau Fessaha ist es jedoch wichtig, dass nicht alle Beduinen im Sinai in das schmutzige Geschäft verstrickt sind:

„Nein, nicht alle haben etwas damit zu tun, es ist nur eine Minderheit! Die Mehrheit der Beduinen kämpft im Gegenteil seit mindestens zwei Jahren gegen diese Machenschaften. Sie sagt: ,Das muss aufhören.’ Und wir sehen auch, dass die Fälle ein wenig zurückgegangen sind.“

In der vergangenen Woche gelang es Fessaha und ihren Leuten, 16 Flüchtlinge im Sinai zu befreien. Aktuell geht die Nichtregierungsorganisation Ghandi davon aus, dass etwa 250 Personen in den Händen der skrupellosen „Menschenhändler“ sind, und etwa 500 bis 600 in ägyptischen Gefängnissen.

„Es gibt zwei Situationen der Flüchtlinge: Die einen sind in der Hand der Beduinen und werden, während sie die Grenze zum Sinai überschreiten, von der ägyptischen Polizei festgenommen, die manchmal dort patrouilliert. Diese Menschen werden dann als illegale Flüchtlinge in ägyptische Gefängnisse gesteckt. Dort bleiben sie für zwei, vier, sechs Monate – so lange, bis wir sie dort herausholen und ihnen ein Ticket für den Rückflug nach Äthiopien geben können. Die äthiopische Regierung ist die einzige in Afrika und Europa, die Eritreer aus humanitären Gründen zu ihren Landsleuten erklärt, also zu Äthiopiern, und sie dann als Flüchtlinge aufnimmt und in Flüchtlingslagern unterbringt.“

Obwohl der Sinai eigentlich ägyptisches Territorium ist, haben die Autoritäten des Landes dort kaum Durchsetzungsmöglichkeiten:

„Das Territorium im Sinai wird von den Beduinen bestimmt, dort gibt es fünf bis sechs Familien, die ins Clans aufgespalten sind. Sie führen den Nord-Sinai als, sagen wir mal, eine Art ,privaten Staat’. Das Militär hat dort keine Möglichkeit, einzumarschieren, wir haben das jedenfalls nie gesehen. Wir bitten manchmal um Hilfe, aber die Soldaten können dort nicht eingreifen.“

Neben den Eritreern, die versuchen, sich nach Israel durchzuschlagen, gibt es eine weitere Gruppe von Flüchtlingen in Libyen, erzählt Fessaha. Sie geht davon aus, dass sich dort zwischen 1.600 und 1.700 Menschen verstecken, die auf ihre Chance warten, nach Europa zu fliehen. Viele von diesen Seeflüchtlingen stranden dann zum Beispiel auch auf Lampedusa.

(rv 04.07.2013 sta)








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