D/Italien: Priester mit Weltkircheerfahrung für die Heimat
726 – so viele Seminaristen
gab es im vergangenen Jahr in Deutschlands Priesterkollegs. Um aber ein tatsächliches
Bild vom Priesternachwuchs für das eigene Land erhalten zu können, darf man eines
nicht vergessen: Nicht wenige junge Männer zieht es für die Priesterausbildung ins
Ausland, wo die katholische Kirche ihnen die Möglichkeit gibt, sich zum Priester für
das Heimatland ausbilden zu lassen. Nicht nur eine Kirche vor Ort also, sondern eine
Weltkirche im Sinne des Wortes. Und wo wäre diese deutlicher zu erleben als in Rom?
„Rom ist aus der Perspektive der Kirche eine besonders spannende Stadt,
weil sich hier Weltkirche auf eine Art und Weise erleben lässt, die unvergleichbar
ist. Das Theologiestudium ist spannend, und das überall auf der Welt – aber man lernt
in Rom durch den Zugang: Was bedeutet Kirche in Afrika, in Lateinamerika, in Ungarn,
in Osteuropa? Beziehungsweise was heißt das für uns?“
Das sagt Mathias
Bitsche, der seine Wiener Priesterausbildung im Priesterkolleg „Germanicum et Hungaricum“
in Rom fortgesetzt hat. Schon der Name dieses Kollegs, das auf deutschsprachige und
ungarische Seminaristen ausgerichtet ist, zeigt, dass Kirche über Ländergrenzen hinweg
gedacht werden muss. Mihály Czapkó kam aus Ungarn hierher und erinnert an die geschichtsträchtige
Vergangenheit des Kollegs:
„Das Germanicum, das Kolleg für das Römische
Reich Deutscher Nation, wurde eigentlich schon 1552 gegründet. Der Grund war, nach
der Reformation Priester auszubilden, die der Kirche, der katholischen Lehre treu
sind und diese vertreten. Das Hungaricum, das ungarische Kolleg, kam 1580 dazu. Ein
sehr großer Teil in Ungarn wurde vom Osmanischen Reich besetzt, in Siebenbürgen kam
es auch zur Reformation. Nach der Befreiung von den Türken begann man, die Kirche
wieder aufzubauen. Immer wenn ich an diese Situation denke, dann könnte ich sagen:
Für die heutige kirchliche Situation ist es nicht so schlimm, wie es früher war.“
Und das, obwohl es die Kirche in Ungarn immer noch schwer hat nach einem
atheistischen System von fast fünfzig Jahren. Mihály Czapkó erzählt, dass sein Heimatland
vor dem Kommunismus der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts ein sehr religiöses
Land war. Heute sei das anders. Nach Rom ist er gekommen, um von den verschiedenen
kirchlichen Situationen der Seminaristen, die aus aller Welt hierher kommen, zu lernen:
„Was vielleicht bei uns ein großes Problem ist, könnte aus Sicht von anderen
Ländern ein viel kleineres Problem sein.“
Voneinander lernen, sich austauschen
über die jeweilige kirchliche Realität im eigenen Land, sehen, was woanders vielleicht
besser läuft: Das wird den Seminaristen durch das besondere Ausbildungskonzept leichter
gemacht, so der Seminarist Martin Reichert aus der Erzdiözese München-Freising:
„Das
,Germanicum et Hungaricum´ wird von den Jesuiten geleitet. Das Charakteristische an
der Ausbildung durch Jesuiten ist, dass sehr viel Wert auf Eigenverantwortung und
Eigeninitiative gelegt wird. Unsere Oberen sagen, es hat wenig Sinn, den Leuten einfach
irgendetwas überzustülpen. Wir sollen da selbst hinein finden.“
Und das
geschieht besonders durch den lebendigen und internationalen Austausch, für den die
Seminaristen deshalb so ausgiebig Zeit haben, weil ihre Ausbildung dem genügend Raum
lässt. Aus derzeit elf verschiedenen Ländern kommen die jungen Priesteramtskandidaten,
die hier studieren. Aber alle werden für den Dienst in ihrer Heimatdiözese ausgebildet.
Wie die Seminaristen auf ihre Rückkehr vorbereitet werden, erklärt der Mathias Bitsche:
„Da
ist einer der großen Vorteile bei uns im Haus, dass wir in Eigenverantwortung vorbereitet
werden. Eine Priesterausbildung nach einem Schema kann heute nicht mehr funktionieren,
weil die kirchliche Situation, die gesellschaftliche Lage im Wandel sind. Genau da
ist es die Chance, hier an diesem Ort zu überlegen: Wie kann meine kirchliche Situation
zu Hause von dem profitieren, was ich hier kennenlerne und natürlich auch faktisch
lerne? Und da miteinander im Gespräch zu sein und mal zu hören: Wie geht’s denn der
Kirche in Ungarn? Was kommt bei denen gut an? Was davon kann eine Chance für unsere
kirchliche Situation sein?“
Wenn der gemeinsame Blick der beiden deutschsprachigen
Seminaristen, Mathias Bitsche und Martin Reichert, von Rom aus auf die kirchliche
Situation in ihren Heimatländern Österreich und Deutschland fällt, spricht der Österreicher
Mathias Bitsche auch für seinen Mitseminaristen, wenn er über die Heimatsituation
seiner Kirche sagt:
„Da entsteht eine gedrückte Stimmung, weil man fragt:
Wie kann das weitergehen? Priestermangel? Der sonntägliche Kirchenbesuch? Diese Situation
ist auch unseren Ausbildern, unseren Hausvorstehern bewusst. Das sind deutsche Jesuiten
beziehungsweise ein österreichischer und ein ungarischer Jesuit, die mit uns gemeinsam
diesen Weg in dieser Zeit hier in Rom gehen. Natürlich wird sich die Frage gestellt,
wie die kirchliche Situation in den unterschiedlichen Ländern ist und was man daraus
machen kann.“
Für die gedrückte Stimmung, von der Mathias Bitsche spricht,
macht Martin Reichert mit Blick auf Deutschland immer wieder laut werdende Forderungen
mitverantwortlich. Seiner Einschätzung nach helfe es aber kaum, diesen Forderungen
einfach nachzukommen.
„Abschaffung des Zölibats, Einführung des Frauenpriestertums
– die Forderungen sind natürlich auch von außen, von der Gesellschaft in den Glauben
hineingekommen. Es gibt da ein großes Unverständnis, und wir können den Leuten auch
kaum vermitteln, dass es Menschen gibt, die ihre Sexualität in ihre Persönlichkeit
integrieren, ohne sie auszuleben, oder dass wir keine Frauen an unseren „Spitzenpositionen“
haben. Ich denke, was wir machen können, ist, die Leute auf das Wesentliche in unserem
Glauben aufmerksam zu machen: Das ist die Botschaft des Glaubens selbst, das ist die
Botschaft der Liebe, der Solidarität, der Gerechtigkeit. Und genau das soll die Kirche
auch für die Welt, für die anderen Menschen offen machen. Wir glauben an einen Gott,
der ein Gott für uns ist, der mit den Menschen sein will – und das müssen wir heute
der Welt zeigen.“
Und das ist nicht nur der priesterliche Auftrag, wie
ihn Martin Reichert für seinen eigenen Beruf in Zukunft versteht. Für Mathias Bitsche
ist das gleichzeitig auch ein möglicher Ansatzpunkt für einen innerkirchlichen Bewusstseinswandel,
der zu einer veränderten – nämlich positiveren Wahrnehmung von Kirche in der Öffentlichkeit
führen könne:
„Ich glaube, dass die Kirche im Moment sehr viel das Bild
vermittelt: Entweder Du gehörst voll und ganz dazu – oder gar nicht. Ein problematisches
Bild, aber lösen werden wir das nicht mit Äußerlichkeiten, lösen werden wir das mit
einer einladenden Haltung: Zu uns darf man kommen, bei uns ist jeder Mensch willkommen,
auch dann, wenn er vielleicht nicht zu hundert Prozent unserem Bild entspricht.“