Die Krise in Syrien
hält weiter an, und immer mehr Menschen flüchten aus dem Land in die Nachbarstaaten
– zum Beispiel in den Libanon. Dort spitzt sich die Lage der Flüchtlinge weiter zu.
Stefan Maier, der Leiter der Auslandshilfe der Caritas Salzburg, war Mitte April im
Libanon und ist erst vor wenigen Tagen wieder dorthin gereist. Bei einem Zwischenstopp
in Salzburg berichtete er unserer Redakteurin Stefanie Stahlhofen:
„Die
Lage im Libanon wird zunehmend dramatisch, die Auswirkungen des Bürgerkriegs in Syrien
und die dadurch ausgelöste Flüchtlingskrise, die Flüchtlingsströme in die Nachbarländer
– vor allem in den Libanon, aber auch nach Jordanien, in die Türkei und in den Irak
– nimmt immer größere Dimensionen an. Zu den Flüchtlingslagern dort muss ich erst
einmal sagen – das ist ganz wichtig für das Verständnis der Situation dort – dass
es im Libanon keine offiziellen, von der Regierung organisierten Flüchtlingslager
gibt, und es den Hilfsorganisationen nicht erlaubt ist, solche Lager zu betreiben.
Offiziell gibt es keine Flüchtlingslager, so wie das zum Beispiel hingegen in Jordanien
der Fall ist, wo die Regierung solche Lager geschaffen hat, oder in der Türkei. Im
Libanon kommen die Flüchtlinge über die Grenzen und dann müssen sie selbst schauen,
wo sie unterkommen. Dann errichten sich diese Flüchtlinge ganz primitive Zelte: aus
Abfallmaterialen, einem Holzgestell und darüber Plastikplanen, Jutesäcke, Abfallmaterialien.“
Wie
stellt sich die Lage denn mittlerweile dar? Die Situation hat sich ja in den letzten
Wochen sehr zugespitzt…
„Die größeren Lager umfassen mittlerweile schon
bis zu 170 Zelte. Die Lebensbedingungen dort sind unglaulich schwierig: es gibt keine
ausreichenden sanitären Anlagen, es gibt kein sauberes Wasser, die hygienischen Bedingungen
sind mangelhaft und es kommt zunehmend zum Ausbruch von Krankheiten. Das Problem ist,
dass der Libanon einfach von der Last der Flüchtlinge, von der schieren Masse, erdrückt
wird. Man muss sich vorstellen, dass auf vier Millionen Libanesen zwei Millionen Ausländer
kommen. Das wäre auf Österreich umgelegt zum Beispiel, als wenn Österreich auf einmal
innerhalb kürzester Zeit viereinhalb Millionen Ausländer aufnehmen müsste. Das ist
eine gewaltige Herausforderung und ein gewaltiges Problem für die Regierung.“
Welches
Schicksal hat Sie denn besonders bewegt? Sie haben ja auch viele Menschen vor Ort
getroffen…
„Es sind Fälle, die mir von der letzten Reise ganz besonders
in Erinnerung geblieben sind, wie überhaupt die Eindrücke bei dieser letzten Reise
mit zu dem Schlimmsten gehören, was ich in 20 Jahren Caritasarbeit im Nahen Osten
erlebt habe. Das eine ist eine junge Frau, die jetzt alleine mit drei Kindern in einem
dieser provisorischen Zeltlager lebt. Ihr Mann ist bei Kämpfen in Syrien getötet worden,
ihr Bruder ist von einer Bombe zerfetzt worden und auf der Flucht ist ihr Vater an
einem Checkpoint umgebracht worden, dem hat man die Kehle durchgeschnitten. Sie sitzt
jetzt mit drei kleinen Kindern alleine in diesem Lager. Ein anderer Fall war der eines
15-Jährigen aus Homs. Dort ist ins Nachbarhaus eine Granate eingeschlagen und auf
der überstützten Flucht ist er von den Eltern getrennt worden. Er hat sich dann einer
Gruppe von Menschen angeschlossen, die in einen Bus gestiegen sind, um in den Libanon
zu fliehen. Jetzt sitzt er da mutterseelenallein und verzweifelt und weiß nicht, ob
seine Familie noch lebt – das war auch ein sehr berührendes Erlebnis.“
Wie
könnte denn eine Lösung im Syrienkonflikt aussehen?
„Es ist bedauerlicherweise
so, dass derzeit noch nicht das geringste Hoffnungszeichen am Horizont zu sehen ist.
Die Lage verschlimmert sich sogar noch weiter. Vor allem in letzter Zeit kommt es
und kam es zu intensiven Kampfhandlungen in Damaskus – Damaskus ist natürlich als
Hauptstadt das Bevölkerungszentrum, dort konzentriert sich der größte Teil der syrischen
Bevölkerung. Je intensiver die Kampfhandlungen in Damaskus sind, desto mehr Flüchtlinge
werden im Libanon registriert. Damaskus ist nur wenige Dutzend Kilometer von der libanesischen
Grenze entfernt, das heißt, derzeit kommen täglich immer noch mehr Flüchtlinge über
die Grenze. Wie es scheint, wird sich daran so schnell nichts ändern; die Kämpfe gehen
unvermindert weiter. Es ist eine Pattsituation: Offensichtlich kann keine Seite entscheidende
Fortschritte verzeichnen. Es sieht alles danach aus, dass dieser Konflikt noch sehr
lange andauern wird, die Hilfsorganisationen und die Weltgemeinschaft noch lange in
Atem halten wird, dass er noch sehr blutig wird und sehr viele Opfer fordern wird.
“
Soweit die Einschätzung von Stefan Maier, Leiter der Auslandshilfe der
Caritas Salzburg und Nahost-Koordinator der Caritas Österreich. Die Caritas unterstützt
die Flüchtlinge im Libanon zum Beispiel mit Hilfspaketen; Stefan Maier ist mittlerweile
auch schon wieder im Libanon, um Hilfsmaßnahmen vor Ort zu koordinieren.