Die „kleinen, großen Werke politischer Kunst" von Papst Franziskus
Die Heilig-Land-Reise von Papst Franziskus war ein Akt von „spiritueller Diplomatie“,
der „jede Erwartung übertraf“. Das sagte der argentinische Muslim Omar Abboud, der
gemeinsam mit dem Rabbiner Abraham Skorka den Papst auf seiner Visite nach Jordanien,
Israel und Palästina begleitete. Die drei Argentinier hatten vor der Westmauer in
Jerusalem eine interreligiöse Geste gesetzt und einander umarmt. Omar Abboud hat nun
der Vatikan-Zeitung „L´Osservatore Romano“ ein langes Interview gegeben, das wir hier
in leicht gekürzter Form wiedergeben.
„Ich bin Libanese von meinem Vater und
Syrer von meiner Mutter. Meine Großeltern väterlicherseits kamen in den 1930er Jahren
nach Argentinien auf der Suche nach besseren Lebensbedingungen. Mein Großvater Ahmed
Abboud gründete den Verlag El Nilo und veröffentlichte die erste Übersetzung des Koran
ins Spanische, die von einem Muslim direkt aus dem Arabischen angefertigt wurde. …
Heute gibt es in Argentinien ungefähr 500.000 Muslime, aber mehr als eine Million
Argentinier haben Wurzeln im Nahen Osten.“
Wie haben Sie den Erzbischof
Ihrer Stadt kennen gelernt?
„Das war am 25. Mai 2002, anlässlich des „Te
Deum“ in der Kathedrale. Es war eine schwierige Zeit aus vielen Gründen. Meiner Einschätzung
nach war der 11. September auf Weltebene noch einschneidender als der Fall der Berliner
Mauer. Seither ist es schwieriger, die Stimme der stillen Mehrheit jener Muslime zu
hören, die nur in Frieden leben und arbeiten wollen, denn ihre Stimme wird übertönt
von der Gewalt der fundamentalistischen Gruppen. Nur ein gutes und langfristiges Bildungsprogramm
kann diese Lage ändern. Deshalb ist das Institut des Interreligiösen Dialogs in Buenos
Aires entstanden (das Omar Abboud leitet, Anm.).“
…in Zusammenarbeit mit
Bergoglio.
„…der immer mit klaren Worten jede Art von Terrorismus abgelehnt
hat. Er ist ein Mann von großer Kultur, mit außergewöhnlicher Fähigkeit, soziale Gegebenheiten
zu analysieren. Seit ich ihn kenne, fasziniert mich an ihm die Tatsache, dass er nicht
an der Politik hängt, aber andauernd die Politik auf die Themen der Armut und der
Ausgrenzung aufmerksam macht. Seine Predigten sind immer Predigten, keine Wahlreden.
Er versteht das Volk und lässt keine Gelegenheit aus, die zeitlichen Mächte auf ihre
Fehler aufmerksam zu machen. Es war und ist bis heute eine große Bereicherung, sein
Freund zu sein. Sein Blick auf die Armen, die wie Abfall behandelt werden, seine Kohärenz,
die Übereinstimmung zwischen dem, was er sagt und wie er lebt, überrascht die Welt,
aber nicht uns Argentinier, denn wir kennen ihn ja schon lange. Er hat uns immer die
Tore der Kathedrale geöffnet, aber nie die Riten vermischt; er hat immer in Taten,
nicht nur in Worten, die Einzigartigkeit und die Geschichte eines jeden von uns respektiert,
unsere religiöse Identität.“
Wann haben Sie die Einladung erhalten, den
Papst ins Heilige Land zu begleiten?
„Das kam ganz überraschend Ende Februar
(2014), als Bergoglio in Santa Marta eine interreligiöse Delegation aus Argentinien
empfing – 15 Juden, 15 Muslime und 15 Katholiken. Wir kamen von einer Pilgerfahrt
nach Jordanien, Israel und Palästina zurück, und alle Angehörigen der Gruppe waren
auf die eine oder andere Weise freundschaftlich mit dem Papst verbunden, so dass wir
beschlossen, die Pilgerfahrt in Rom enden zu lassen. Und dabei entstand die Idee,
in die offizielle Reisedelegation des Papstes einen Rabbiner und einen Muslim aufzunehmen.
Für mich war das eine komplett unerwartete Ehre. Niemand ist darauf vorbereitet, zu
einer solchen Veranstaltung auf Welt-Ebene eingeladen zu werden. Ich denke, es ist
ein Zeichen für die Bedeutung, die der Papst dem interreligiösen Dialog als Instrument
zur Schaffung von Frieden beimisst.“
Das Heilige Land ist seit Jahrhunderten
ein gemartertes Land. Wie kann es zu einem Symbol des Friedens werden?
„Es
stimmt, der Weg des Friedens im Nahen Osten ist eine Geschichte, die aus enttäuschten
Hoffnungen besteht. Den Frieden kann man nicht per Dekret entscheiden. … Der Beitrag
der Religionen ist zentral. Und die Lösung des Nahostkonflikts wirkt sich auf die
ganze Welt aus. Deshalb ist es so wichtig, dass auch eine „spirituelle Diplomatie“
am Werk ist. In dieser Hinsicht hat die Heilig-Land-Reise des Papstes jede Erwartung
übertroffen.“
Ein Bild sagt mehr als tausend Worte…
„Aber es
stimmt auch, dass tausend Bilder nicht so viel bedeuten wie ein einziger Begriff,
ein einziges klares Urteil inmitten einer politischen Situation von seltener Komplexität.
Und da hat Papst Franziskus, wie er vor der Trennmauer in Betlehem betet und den Shoah-Opfern
die Hände küsst, Bilder und Begriffe in einer symbolischen Sprache vereint, die ebenso
einfach wie wirksam ist. Jeder Schritt vom Friedensgebet für Syrien an war ein kleines,
großes Werk politischer Kunst; und auch eine große Chance zum Dialog für die islamische
Welt, und eine Tür, die sich der nicht-muslimischen Welt öffnet. Wir müssen diese
Chance ergreifen und die Logik der leeren Worte überwinden, der Kongresse, die nur
zu Repräsentationszwecken gemacht werden. Stattdessen müssen wir Zeit und Kraft in
das gegenseitige Kennenlernen stecken und versuchen von niemandem instrumentalisiert
zu werden, denn manchmal ist die Politik fundamentalistischer als die Religion. Im
Viertel Flores in Buenos Aires sind Muslime, Juden und Katholiken daran gewöhnt, miteinander
zu leben, in Frieden und gegenseitigem Respekt, und diese Erfahrung des Zusammenlebens
möchten wir gerne exportieren. Wir haben Bergoglio zehn Jahre lang bei diesem Versuch
begleitet, und wir begleiten ihn auch heute.“
Das Interview führte Silvia Guidi
vom „Osservatore Romano“.