„Adam, wo bist du?“ (vgl. Gen 3,9). Wo bist du, o Mensch? Wohin bist du gekommen? An
diesem Ort, der Gedenkstätte an die Shoah, hören wir diese Frage Gottes wieder
erschallen: „Adam, wo bist du?“
In dieser Frage liegt der ganze Schmerz des
Vaters, der seinen Sohn verloren hat.
Der Vater kannte das Risiko der Freiheit;
er wusste, dass der Sohn verlorengehen könnte… doch vielleicht konnte nicht einmal
der Vater sich einen solchen Fall, einen solchen Abgrund vorstellen!
Jener
Ruf „Wo bist du?“ tönt hier, angesichts der unermesslichen Tragödie des Holocaust
wie eine Stimme, die sich in einem bodenlosen Abgrund verliert…
Mensch, wer
bist du? Ich erkenne dich nicht mehr. Wer bist du, o Mensch, Wer bist du geworden? Zu
welchem Gräuel bist du fähig gewesen? Was hat dich so tief fallen lassen?
Es
ist nicht die Erde vom Ackerboden, aus der du gemacht bist. Die Erde vom Ackerboden
ist gut, ein Werk meiner Hände.
Es ist nicht der Lebensatem, den ich in deine
Nase geblasen habe. Jener Atem kommt von mir, er ist sehr gut (vgl. Gen 2,7).
Nein,
dieser Abgrund kann nicht allein dein Werk sein, ein Werk deiner Hände, deines Herzens…
Wer hat dich verdorben? Wer hat dich verunstaltet?
Wer hat dich angesteckt
mit der Anmaßung, dich zum Herrn über Gut und Böse zu machen?
Wer hat dich
überzeugt, dass du Gott bist? Nicht nur gefoltert und getötet hast du deine Brüder,
sondern du hast sie als Opfer dir selber dargebracht, denn du hast dich zum Gott erhoben.
Heute hören wir hier wieder die Stimme Gottes: „Adam, wo bist du?“
Vom
Boden erhebt sich ein leises Stöhnen: Erbarme dich unser, o Herr! Du Herr, unser Gott,
bist im Recht; uns aber treibt es die Schamröte ins Gesicht, die Schande (vgl. Bar
1,15).
Ein Übel ist über uns gekommen, wie es unter dem ganzen Himmel noch
nie geschehen ist (vgl. Bar 2,2). Jetzt aber, o Herr, höre unser Gebet, erhöre
unser Flehen, rette uns um deiner Barmherzigkeit willen. Errette uns aus dieser Ungeheuerlichkeit.
Allmächtiger
Herr, eine Seele in Ängsten schreit zu dir. Höre, Herr, erbarme dich!
Wir haben
gegen dich gesündigt. Du thronst in Ewigkeit (vgl. Bar 3,1-3)
Denk an
uns in deiner Barmherzigkeit. Gib uns die Gnade, uns zu schämen für das, was zu tun
wir als Menschen fähig gewesen sind, uns zu schämen für diesen äußersten Götzendienst,
unser Fleisch, das du aus Lehm geformt und das du mit deinem Lebensatem belebt hast,
verachtet und zerstört zu haben.
Niemals mehr, o Herr, niemals mehr!
„Adam,
wo bist du?“
Da sind wir, Herr, mit der Scham über das, was der als dein Abbild
und dir ähnlich erschaffene Mensch zu tun fähig gewesen ist.