2014-03-19 14:30:06

Ostkirchenexperte: Russisch-orthodoxe Kirche ist in Krim-Krise gespalten


RealAudioMP3 Der Vatikan will nach den Worten des ukrainisch-katholischen Großerzbischofs Swjatoslaw Schewtschuk alles tun, um Frieden in Osteuropa zu erhalten und eine Eskalation des Konflikts zu verhindern. Das habe Papst Franziskus ihm bei einer Audienz am Montag versichert, erklärte der Großerzbischof von Kiew laut einem Communiqué seiner Kirche vom Dienstag. Der Papst und der Heilige Stuhl verfolgten die Situation der griechisch-katholischen Kirche in der Ukraine mit größter Aufmerksamkeit. Welche Handlungsmöglichkeiten hätte der Vatikan denn überhaupt in der Krim-Krise? Das fragte Radio Vatikan an diesem Mittwoch den Ostkirchenexperten Thomas Bremer von der Universität Münster.

„Ich glaube, dass die Handlungsmöglichkeiten des Vatikans relativ beschränkt sind, weil er natürlich von orthodoxer Seite oder von russischer, politischer Seite nicht als neutral betrachtet wird. Es gibt eine Minderheit von etwa zehn Prozent Katholiken in der Ukraine, die meisten davon sind griechisch-katholisch, deren Oberhaupt ist eben Großerzbischof Schewtschuk; aber zum einen ist das eben eine kleine Minderheit, und zum anderen sind das eben Katholiken, und da wird der Papst von den Orthodoxen nicht als neutral betrachtet, sondern als, wie er es selbst gesagt hat, solidarisch mit seinen eigenen Katholiken. Deshalb sind die Chancen, als neutraler Vermittler aufzutreten, relativ gering.“

Was der Vatikan laut Bremer allerdings tun könne: in Zusammenarbeit mit den Katholiken in der Ukraine darauf hinwirken, dass es zu einer „guten Konfliktlösung“ und zu „besseren ökumenischen Beziehungen“ kommt, vor allem mit der kanonischen orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchates, die auf der Krim stark vertreten ist. Kein leichtes Unterfangen – wohl auch, weil in der russisch-orthodoxen Kirche beide politische Lager vertreten sind: Befürworter eines Anschlusses der Krim an Russland wie auch Gegner dieses Schrittes. Das Moskauer Patriarchat halte sich derzeit mit politischen Stellungnahmen wohl aus diesem Grund zurück, vermutet Bremer:

Moskauer Patriarchat hält sich auffallend zurück

„Es ist interessant, dass auf den beiden offiziellen Webseiten des Moskauer Patriarchates, die sonst immer alle politischen Dinge kommentieren, kein Wort zu finden ist über die gestrige Rede von Putin und die gestrigen Ereignisse. Das kommt nicht vor, und ich interpretiere das so, dass man eben zurückhaltend ist, weil man weiß, dass die Angehörigen der eigenen Kirche in der Ukraine keine einhellige Meinung in dieser Frage haben.“

Russlands Präsident Wladimir Putin und Vertreter der Krim-Führung haben den Vertrag über einen Anschluss der Krim am Dienstag bereits unterzeichnet. In einer Grundsatzrede warb Putin um Respekt des Westens für Russlands Interessen und ging dabei auch auf die historisch bedeutsame Rolle der Krim für Russland ein. Der Westen wisse doch genau, dass dort Millionen von Russen lebten, so Putin, und er verwies auch auf die Nato, die sich in der Ukraine festsetzen wolle. Teilt die russisch-orthodoxe Kirche diese Ansichten? Das wollten wir von Bremer wissen.

„Im Prinzip ja, wobei es weniger um Argumente als vielmehr um eine grundsätzliche Weltsicht geht. Es gibt natürlich seit vielen Jahren schon eine harsche und deutliche Kritik der russisch-orthodoxen Kirche am Westen. Das bezieht sich zum einen auf gewisse politische Vorgänge, wenn man an die Ereignisse im früheren Jugoslawien denkt. Das bezieht sich aber auch auf Haltungen in den westlichen Kirchen und Gesellschaften. Die Idee, dass es einen grundsätzlichen Gegensatz gibt zwischen russischen und westlichen Werten, auch die Vorstellung, es gebe das Recht der russischen Welt, dass sie sich vereinigen dürfe, wie es der Präsident gestern sagte – diese Ideen werden im Prinzip von der russischen Kirche seit vielen Jahren auch vertreten.“


Eine Haltung, die Russland in westlichen Gesellschaften kritisch sehe, sei das Thema Homosexualität, so Bremer:

„Es gibt ja bekanntlich die Gesetze in Russland, die gegen Propaganda von Homosexualität sich wenden. Und die russische Kirche unterstützt das in sehr großem Maße und sieht die westlichen Gesellschaften bedroht durch die von ihr vermutete, angebliche zu starke Propaganda von Homosexualität.“


Keine einheitliche Meinung der Kirchen zur neuen Regierung der Ukraine

Angesichts der gespannten politischen Lage sollten jetzt die Kirchen in der Ukraine, auch die orthodoxe russische Kirche, für eine klare gewaltfreie Konfliktlösung plädieren, so Bremer. Und es gebe auch noch etwas anderes zu tun, ergänzt er:

„Das Zweite, was glaube ich sehr wichtig wäre, was in der Ukraine anfänglich geschehen ist, aber auch nicht in genügendem Maße: dass die Kirchen in Kontakt miteinander bleiben, dass sie miteinander sprechen. Das geschieht dort relativ wenig.“

Zur Interimsregierung in Kiew gebe es bei den Kirchen in der Ukraine übrigens „keine einheitliche Position“, so der Experte weiter. Diese Regierung, die in einem revolutionären Akt an die Macht kam, könne man nicht gerade als „Regierung der Nationalen Einheit“ bezeichnen, wie sie es selbst tut.

„Es ist tatsächlich so, dass nicht alle Kräfte, etwa die der früheren Regierung, darin vertreten sind. Und man muss ja doch sehen, dass es einen nicht geringen Anteil der ukrainischen Bevölkerung gibt, der skeptisch gegenüber der jetzigen Regierung ist und der der alten, vielleicht nicht Janukowitsch persönlich, aber doch dieser politischen Richtung, die Stange gehalten hat. Es wäre eigentlich vernünftig und sinnvoll, dass die Übergangsregierung versucht, diese Leute mit einzubinden. Das geschieht vielleicht nicht in ausreichendem Maße.“

Verfassungsgemäß sei die Kiewer Interimsregierung auch nicht, ergänzt Bremer. Deshalb brauche es schnellstens Wahlen, um eine neue Regierung der Ukraine auch demokratisch zu legitimieren, so Bremer:

„Man muss ja sagen, dass die Vertreibung von Janukowitsch nach dem Buchstaben des Gesetzes, der damals gültigen Verfassung, nicht legitim war, es waren revolutionäre Ereignisse. Und wenn eine solche Regierung im Amt ist, wäre es nötig, dass man das möglichst bald demokratisch legitimiert.“



Territoriale Zugehörigkeit der Kirchen nun fraglich

Was die territoriale Zugehörigkeit der Kirchen betrifft, könnte es durch die Krim-Krise jetzt zu „Interpretationskonflikten“ zwischen Moskau und Kiew kommen, so Bremer weiter.

„Wenn man wie die russische Regierung davon ausgeht, dass die Krim ein Bestandteil der russischen Föderation ist, dann werden sie nicht geneigt sein, die Kirchen auf der Ukraine als Teil des ukrainischen Kirchenrates zu betrachten. Der ukrainische Kirchenrat wird das wahrscheinlich schon tun und die Kiewer Regierung tut es natürlich auch, allerdings ist es ja auch physisch unmöglich. Momentan gibt es praktisch nicht die Möglichkeit, für die Vertreter aus der Krim nach Kiew zu reisen als Vertreter von Kirchen auf der Krim, die sich als der Ukraine zugehörig betrachten. Das ist eine komplexe Situation, die aber abhängig ist von der politischen Einschätzung.“
Wie die Agentur Kathpress berichtet, hat am Mittwoch in Moskau vor Hintergrund der Übernahme der ukrainischen Marine- und Militärstützpunkt auf der Krim eine Vollversammlung des Heiligen Synod der russisch-orthodoxen Kirche begonnen. Das Gremium berät seit dem Vormittag am Moskauer Patriarchatssitz über die Zukunft ihrer kanonischen Administraturen in der Ukraine.



Krim-Referendum aus Sicht des Völkerrechtes nicht gültig

Das Abstimmungsergebnis des Referendums vom Sonntag, nach dem die Krim an Russland angeschlossen werden soll, ist aus Sicht der meisten Völkerrechtler ungültig. „Die Entscheidung, zu Russland gehören zu wollen, entfaltet rechtlich keine Wirkung, weil sie nicht mit der Verfassung der Ukraine in Einklang steht“, betonte Stefan Talmon im Interview mit der ARD. Auch eine Autonome Republik wie die Krim könne nicht mittels eines lokalen Referendums erklären, zu einem anderen Land gehören zu wollen: „Über diese Frage müsste die gesamte Ukraine abstimmen“, so der Professor für Öffentliches Recht, Völkerrecht und Europarecht von der Universität Bonn: „Änderungen des Gebietes sind nationalen Referenden vorbehalten.“

Auch zur Frage eines möglichen Selbstbestimmungsrechtes der Krim hat Talmon eine klare Antwort: „Das Recht auf Selbstbestimmung steht zunächst einmal dem Volk der Ukraine als Ganzes zu. Einem Teil der Bevölkerung steht ein Selbstbestimmungsrecht im Sinne eines Rechtes auf Abspaltung nur in Ausnahmesituationen zu, deren Voraussetzungen im Falle der Krim nicht gegeben sind. Und selbst wenn dem so wäre, scheidet ein Recht auf Abspaltung dann aus, wenn sich ein anderer Staat in den Prozess von außen einmischt, wie in diesem Fall Russland.“

Kiewer Regierung „nach nationalem Recht rechtswidrig, aber völkerrechtlich legal“

Hinsichtlich der Übergangsregierung in Kiew habe man es völkerrechtlich mit einer „skurrilen Situation“ zu tun, so Talmon weiter. Die so genannte „Regierung der nationalen Einheit“, in der aber nicht alle politischen Kräfte der Ukraine vertreten sind, will den Anschluss der Krim an Russland nicht akzeptieren und hat mit militärischem Eingreifen gedroht. Eine rechtliche Grundlage für so ein Vorgehen habe sie aber nicht, so Talmon: „Die Regierung ist durch einen revolutionären Akt an die Macht gekommen, der nicht mit der Verfassung des Landes in Einklang steht. Sie hat also in der Tat in der Ukraine selbst keine verfassungsrechtliche Legitimität.“

Dass wichtige Ämter dieser Übergangsregierung mit ukrainischen Rechtspopulisten besetzt sind, löst derweil auch im Westen Unbehagen aus. Diese neue Kiewer Führung ist nach der Flucht von Janukowitsch nun Ansprechpartner für die internationale Gemeinschaft. Rechtlich gesehen sei das ein Dilemma, so Talmon: „Wir haben es mit der skurrilen Situation zu tun, dass eine nach nationalem Recht rechtswidrige Regierung nach Völkerrecht eine rechtmäßige Regierung ist.“ Rechtswidrig ist freilich auch die selbst ernannte, pro-russische Führung der Krim, die ein Referendum durchboxte, zu dem unabhängige OSZE-Beobachter nicht zugelassen waren.

(rv/kna/kap/diverse 19.03.2014 pr)








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