Ostkirchenexperte: Russisch-orthodoxe Kirche ist in Krim-Krise gespalten
Der Vatikan will nach
den Worten des ukrainisch-katholischen Großerzbischofs Swjatoslaw Schewtschuk alles
tun, um Frieden in Osteuropa zu erhalten und eine Eskalation des Konflikts zu verhindern.
Das habe Papst Franziskus ihm bei einer Audienz am Montag versichert, erklärte der
Großerzbischof von Kiew laut einem Communiqué seiner Kirche vom Dienstag. Der Papst
und der Heilige Stuhl verfolgten die Situation der griechisch-katholischen Kirche
in der Ukraine mit größter Aufmerksamkeit. Welche Handlungsmöglichkeiten hätte der
Vatikan denn überhaupt in der Krim-Krise? Das fragte Radio Vatikan an diesem Mittwoch
den Ostkirchenexperten Thomas Bremer von der Universität Münster.
„Ich
glaube, dass die Handlungsmöglichkeiten des Vatikans relativ beschränkt sind, weil
er natürlich von orthodoxer Seite oder von russischer, politischer Seite nicht als
neutral betrachtet wird. Es gibt eine Minderheit von etwa zehn Prozent Katholiken
in der Ukraine, die meisten davon sind griechisch-katholisch, deren Oberhaupt ist
eben Großerzbischof Schewtschuk; aber zum einen ist das eben eine kleine Minderheit,
und zum anderen sind das eben Katholiken, und da wird der Papst von den Orthodoxen
nicht als neutral betrachtet, sondern als, wie er es selbst gesagt hat, solidarisch
mit seinen eigenen Katholiken. Deshalb sind die Chancen, als neutraler Vermittler
aufzutreten, relativ gering.“
Was der Vatikan laut Bremer allerdings tun
könne: in Zusammenarbeit mit den Katholiken in der Ukraine darauf hinwirken, dass
es zu einer „guten Konfliktlösung“ und zu „besseren ökumenischen Beziehungen“ kommt,
vor allem mit der kanonischen orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchates, die auf
der Krim stark vertreten ist. Kein leichtes Unterfangen – wohl auch, weil in der russisch-orthodoxen
Kirche beide politische Lager vertreten sind: Befürworter eines Anschlusses der Krim
an Russland wie auch Gegner dieses Schrittes. Das Moskauer Patriarchat halte sich
derzeit mit politischen Stellungnahmen wohl aus diesem Grund zurück, vermutet Bremer:
Moskauer
Patriarchat hält sich auffallend zurück
„Es ist interessant, dass
auf den beiden offiziellen Webseiten des Moskauer Patriarchates, die sonst immer alle
politischen Dinge kommentieren, kein Wort zu finden ist über die gestrige Rede von
Putin und die gestrigen Ereignisse. Das kommt nicht vor, und ich interpretiere das
so, dass man eben zurückhaltend ist, weil man weiß, dass die Angehörigen der eigenen
Kirche in der Ukraine keine einhellige Meinung in dieser Frage haben.“
Russlands
Präsident Wladimir Putin und Vertreter der Krim-Führung haben den Vertrag über einen
Anschluss der Krim am Dienstag bereits unterzeichnet. In einer Grundsatzrede warb
Putin um Respekt des Westens für Russlands Interessen und ging dabei auch auf die
historisch bedeutsame Rolle der Krim für Russland ein. Der Westen wisse doch genau,
dass dort Millionen von Russen lebten, so Putin, und er verwies auch auf die Nato,
die sich in der Ukraine festsetzen wolle. Teilt die russisch-orthodoxe Kirche diese
Ansichten? Das wollten wir von Bremer wissen.
„Im Prinzip ja, wobei es weniger
um Argumente als vielmehr um eine grundsätzliche Weltsicht geht. Es gibt natürlich
seit vielen Jahren schon eine harsche und deutliche Kritik der russisch-orthodoxen
Kirche am Westen. Das bezieht sich zum einen auf gewisse politische Vorgänge, wenn
man an die Ereignisse im früheren Jugoslawien denkt. Das bezieht sich aber auch auf
Haltungen in den westlichen Kirchen und Gesellschaften. Die Idee, dass es einen grundsätzlichen
Gegensatz gibt zwischen russischen und westlichen Werten, auch die Vorstellung, es
gebe das Recht der russischen Welt, dass sie sich vereinigen dürfe, wie es der Präsident
gestern sagte – diese Ideen werden im Prinzip von der russischen Kirche seit vielen
Jahren auch vertreten.“
Eine Haltung, die Russland in westlichen
Gesellschaften kritisch sehe, sei das Thema Homosexualität, so Bremer:
„Es
gibt ja bekanntlich die Gesetze in Russland, die gegen Propaganda von Homosexualität
sich wenden. Und die russische Kirche unterstützt das in sehr großem Maße und sieht
die westlichen Gesellschaften bedroht durch die von ihr vermutete, angebliche zu starke
Propaganda von Homosexualität.“
Keine einheitliche Meinung der
Kirchen zur neuen Regierung der Ukraine
Angesichts der gespannten politischen
Lage sollten jetzt die Kirchen in der Ukraine, auch die orthodoxe russische Kirche,
für eine klare gewaltfreie Konfliktlösung plädieren, so Bremer. Und es gebe auch noch
etwas anderes zu tun, ergänzt er:
„Das Zweite, was glaube ich sehr wichtig
wäre, was in der Ukraine anfänglich geschehen ist, aber auch nicht in genügendem Maße:
dass die Kirchen in Kontakt miteinander bleiben, dass sie miteinander sprechen. Das
geschieht dort relativ wenig.“
Zur Interimsregierung in Kiew gebe es bei
den Kirchen in der Ukraine übrigens „keine einheitliche Position“, so der Experte
weiter. Diese Regierung, die in einem revolutionären Akt an die Macht kam, könne man
nicht gerade als „Regierung der Nationalen Einheit“ bezeichnen, wie sie es selbst
tut.
„Es ist tatsächlich so, dass nicht alle Kräfte, etwa die der früheren
Regierung, darin vertreten sind. Und man muss ja doch sehen, dass es einen nicht geringen
Anteil der ukrainischen Bevölkerung gibt, der skeptisch gegenüber der jetzigen Regierung
ist und der der alten, vielleicht nicht Janukowitsch persönlich, aber doch dieser
politischen Richtung, die Stange gehalten hat. Es wäre eigentlich vernünftig und sinnvoll,
dass die Übergangsregierung versucht, diese Leute mit einzubinden. Das geschieht vielleicht
nicht in ausreichendem Maße.“
Verfassungsgemäß sei die Kiewer Interimsregierung
auch nicht, ergänzt Bremer. Deshalb brauche es schnellstens Wahlen, um eine neue Regierung
der Ukraine auch demokratisch zu legitimieren, so Bremer:
„Man muss ja
sagen, dass die Vertreibung von Janukowitsch nach dem Buchstaben des Gesetzes, der
damals gültigen Verfassung, nicht legitim war, es waren revolutionäre Ereignisse.
Und wenn eine solche Regierung im Amt ist, wäre es nötig, dass man das möglichst bald
demokratisch legitimiert.“
Territoriale Zugehörigkeit der
Kirchen nun fraglich
Was die territoriale Zugehörigkeit der Kirchen
betrifft, könnte es durch die Krim-Krise jetzt zu „Interpretationskonflikten“ zwischen
Moskau und Kiew kommen, so Bremer weiter.
„Wenn man wie die russische Regierung
davon ausgeht, dass die Krim ein Bestandteil der russischen Föderation ist, dann werden
sie nicht geneigt sein, die Kirchen auf der Ukraine als Teil des ukrainischen Kirchenrates
zu betrachten. Der ukrainische Kirchenrat wird das wahrscheinlich schon tun und die
Kiewer Regierung tut es natürlich auch, allerdings ist es ja auch physisch unmöglich.
Momentan gibt es praktisch nicht die Möglichkeit, für die Vertreter aus der Krim nach
Kiew zu reisen als Vertreter von Kirchen auf der Krim, die sich als der Ukraine zugehörig
betrachten. Das ist eine komplexe Situation, die aber abhängig ist von der politischen
Einschätzung.“ Wie die Agentur Kathpress berichtet, hat am Mittwoch in Moskau
vor Hintergrund der Übernahme der ukrainischen Marine- und Militärstützpunkt auf der
Krim eine Vollversammlung des Heiligen Synod der russisch-orthodoxen Kirche begonnen.
Das Gremium berät seit dem Vormittag am Moskauer Patriarchatssitz über die Zukunft
ihrer kanonischen Administraturen in der Ukraine.
Krim-Referendum
aus Sicht des Völkerrechtes nicht gültig
Das Abstimmungsergebnis des
Referendums vom Sonntag, nach dem die Krim an Russland angeschlossen werden soll,
ist aus Sicht der meisten Völkerrechtler ungültig. „Die Entscheidung, zu Russland
gehören zu wollen, entfaltet rechtlich keine Wirkung, weil sie nicht mit der Verfassung
der Ukraine in Einklang steht“, betonte Stefan Talmon im Interview mit der ARD. Auch
eine Autonome Republik wie die Krim könne nicht mittels eines lokalen Referendums
erklären, zu einem anderen Land gehören zu wollen: „Über diese Frage müsste die gesamte
Ukraine abstimmen“, so der Professor für Öffentliches Recht, Völkerrecht und Europarecht
von der Universität Bonn: „Änderungen des Gebietes sind nationalen Referenden vorbehalten.“
Auch
zur Frage eines möglichen Selbstbestimmungsrechtes der Krim hat Talmon eine klare
Antwort: „Das Recht auf Selbstbestimmung steht zunächst einmal dem Volk der Ukraine
als Ganzes zu. Einem Teil der Bevölkerung steht ein Selbstbestimmungsrecht im Sinne
eines Rechtes auf Abspaltung nur in Ausnahmesituationen zu, deren Voraussetzungen
im Falle der Krim nicht gegeben sind. Und selbst wenn dem so wäre, scheidet ein Recht
auf Abspaltung dann aus, wenn sich ein anderer Staat in den Prozess von außen einmischt,
wie in diesem Fall Russland.“
Kiewer Regierung „nach nationalem Recht
rechtswidrig, aber völkerrechtlich legal“
Hinsichtlich der Übergangsregierung
in Kiew habe man es völkerrechtlich mit einer „skurrilen Situation“ zu tun, so Talmon
weiter. Die so genannte „Regierung der nationalen Einheit“, in der aber nicht alle
politischen Kräfte der Ukraine vertreten sind, will den Anschluss der Krim an Russland
nicht akzeptieren und hat mit militärischem Eingreifen gedroht. Eine rechtliche Grundlage
für so ein Vorgehen habe sie aber nicht, so Talmon: „Die Regierung ist durch einen
revolutionären Akt an die Macht gekommen, der nicht mit der Verfassung des Landes
in Einklang steht. Sie hat also in der Tat in der Ukraine selbst keine verfassungsrechtliche
Legitimität.“
Dass wichtige Ämter dieser Übergangsregierung mit ukrainischen
Rechtspopulisten besetzt sind, löst derweil auch im Westen Unbehagen aus. Diese neue
Kiewer Führung ist nach der Flucht von Janukowitsch nun Ansprechpartner für die internationale
Gemeinschaft. Rechtlich gesehen sei das ein Dilemma, so Talmon: „Wir haben es mit
der skurrilen Situation zu tun, dass eine nach nationalem Recht rechtswidrige Regierung
nach Völkerrecht eine rechtmäßige Regierung ist.“ Rechtswidrig ist freilich auch die
selbst ernannte, pro-russische Führung der Krim, die ein Referendum durchboxte, zu
dem unabhängige OSZE-Beobachter nicht zugelassen waren.