Papstschreiben Evangelii Gaudium: Eine Zusammenfassung
„Die Freude des Evangeliums
erfüllt das Herz und das gesamte Leben derer, die Jesus begegnen:“ So beginnt die
Apostolische Exhortation „Evangelii Gaudium“, mit der Papst Franziskus das Thema der
Verkündigung der Frohen Botschaft in der Welt von Heute entwickelt. Dazu zieht er
unter anderem die Arbeiten der Bischofssynode heran, die vom 7. bis zum 28. Oktober
2012 im Vatikan zum Thema der Neuevangelisierung getagt hatte. Die Exhortation ist
aber keine „postsynodale“, sich also ausschließlich auf diese Synode beziehender Text.
Er habe sich auch Rat geholt, um seine eigenen „Besorgnisse zum Ausdruck zu bringen,
die mich in diesem konkreten Moment des Evangelisierungswerkes der Kirche bewegen“
(16). Der Papst benennt auch die Grenzen, die er sich selbst und seinem Schreiben
setzt: Vom päpstlichen Lehramt dürfe man keine „endgültige oder vollständige Aussage
zu allen Fragen“ erwarten. Es sei nicht angebracht, die Ortsbischöfe in der Bewertung
aller Probleme zu ersetzen. „In diesem Sinn spüre ich die Notwendigkeit, in einer
heilsamen „Dezentralisierung“ voranzuschreiten.“ (16).
„In diesem Schreiben
möchte ich mich an die Christgläubigen wenden, um sie zu einer neuen Etappe der Evangelisierung
einzuladen, die von dieser Freude geprägt ist, und um Wege für dem Lauf der Kirche
in den kommenden Jahren aufzeigen.“ (1) Der Papst wendet sich an alle Getauften, er
spricht von einem „Zustand permanenter Mission“ (25), in den wir uns versetzen müssen,
um allen Menschen die Liebe Gottes zu bringen und die große Gefahr zu vermeiden, in
der die Welt heute lebt: Die individualistische Traurigkeit, wie Papst Franziskus
es nennt, eine Verbindung von Begehren, Oberflächlichkeit und innerer Abgeschottetheit
(2).
Verkündende Dynamik
„Neue Wege“ und „kreative Methoden“
sollen dazu dienen, die „ursprüngliche Frische der Frohen Botschaft“ neu zu erschließen.
Jesus soll aus den „langweiligen Schablonen“ befreit werden, in die wir ihn gepackt
haben (11). Zwei Dinge braucht es dazu. Erstens den „Weg einer pastoralen und missionarischen
Neuausrichtung (...), der die Dinge nicht so belassen darf wie sie sind“ (25), zweitens
eine Reform der Strukturen der Kirche.
Papst Franziskus denkt dabei auch an
eine „Reform des Papsttums“, weil er dazu berufen sei, das zu leben, was er von anderen
verlange (32). Auch sein Amt müsse immer mehr der Bedeutung treu werden, die Christus
ihm geben wollte. Das Papsttum müsse „mehr den gegenwärtigen Notwendigkeiten der Evangelisierung“
entsprechen (32). In diesem Zusammenhang lenkt Franziskus den Blick auf die Ortskirchen,
konkret auf die Bischofskonferenzen, die „Subjekte mit konkreten Kompetenzbereichen
(...) einschließlich einer gewissen authentischen Lehrautorität“ werden sollten, so
wie es das Zweite Vatikanische Konzil gewünscht habe. „Eine übertriebene Zentralisierung
kompliziert das Leben der Kirche und ihre missionarische Dynamik, anstatt ihr zu helfen.”
(32) Man dürfe keine Angst haben, Dinge anzugehen, die zwar historisch gewachsen seien,
aber nicht direkt mit dem Evangelium zusammen hingen (43).
Ein Zeichen für
die Annahme Gottes sei es, überall offene Kirchen zu haben. Menschen auf der Suche
ertrügen nicht die „Kälte einer verschlossenen Tür“. „Auch die Türen der Sakramente
dürften nicht aus irgendeinem beliebigen Grund geschlossen werden“, so Franziskus
(47), was besonders für die Taufe gelte. Die Eucharistie sei „nicht eine Belohnung
für die Vollkommenen, sondern ein großzügiges Heilmittel und eine Nahrung für die
Schwachen.“ (47) Das habe auch postorale Konsequenzen, so der Papst weiter, und man
müsse diese „mit Besonnenheit und Wagemut“ angehen. Noch einmal betont Franziskus:
„Mir ist eine ‚verbeulte’ Kirche, die verletzt und beschmutzt ist, weil sie auf die
Straßen hinausgegangen ist, lieber, als eine Kirche, die aufgrund ihrer Verschlossenheit
und ihrer Bequemlichkeit, sich an die eigenen Sicherheiten zu klammern, krank ist.“
(49)
Gefahren der Weltlichkeit
Papst Franziskus weist
in seinem Schreiben auf die Versuchungen für die Seelsorger und Hirten hin: Individualismus,
Krise der Identität oder Rückgang des Eifers (78). Die größte Gefahr aber sei der
„graue Pragmatismus des kirchlichen Alltags, bei dem scheinbar alles mit rechten Dingen
zugeht, in Wirklichkeit aber der Glaube verbraucht wird und ins Schäbige absinkt“,
zitiert Franziskus Kardinal Joseph Ratzinger (83). Man solle Zeichen der Hoffnung
sein und nicht in einen sterilen Pessimismus absinken (84, 86), um eine „Revolution
der zärtlichen Liebe“ zu erreichen (88). Zu oft fliehe man in eine „’Spiritualität
des Wohlbefindens’ ohne Gemeinschaft“ oder eine „’Theologie des Wohlstands’ ohne brüderlichen
Einsatz“ (90), in denen die geistliche Weltlichkeit die Oberhand gewinne. Diese Weltlichkeit
suche immer nur das eigene Wohl und nicht Gott (93). Papst Franziskus spricht von
denen, die sich für etwas Besseres halten, die einem überholten Stil von Katholizismus
anhingen, die sich einer übertriebenen Pflege der Liturgie verschreiben, die gesellschaftliche
Anerkennung suchen, die zu Funktionären werden. Papst Franziskus zählt die Versuchungen
auf, die alle den einen Kern hätten: Hier fehlt Christus (95). „Es ist eine schreckliche
Korruption mit dem Anschein des Guten. Man muss sie vermeiden, indem man die Kirche
in Bewegung setzt, dass sie aus sich herausgeht, in eine auf Jesus Christus ausgerichtete
Mission, in den Einsatz für die Armen.“ (97)
Papst Franziskus appelliert an
die Gemeinschaft der Kirche, nicht in gegenseitigen Neid und Gegnerschaft zu verfallen
- „Wie viele Kriege innerhalb des Gottesvolkes und in den verschiedenen Gemeinschaften!“
(98) Der Schmerz derer, die unter Verwundungen leiden, soll nicht übergangen werden,
aber trotzdem stelle sich beim Betrachten der Auseinandersetzungen die Frage: „Wen
wollen wir mit diesem Verhalten evangelisieren?“ (100)
Die Rolle der
Laien
Franziskus unterstreicht die Notwendigkeit, die Verantwortung
der Laien für die Kirche zu stärken. Teils durch mangelnde Ausbildung, teils durch
„ausufernden Klerikalismus“ spielten die Laien nicht die Rolle, die sie spielen sollten.
Auch müssten die „Räume für eine wirksamere weibliche Gegenwart in der Kirche noch
erweitert werden“, vor allem dort, wo die wichtigen Entscheidungen fielen. (92,93)
„Die Beanspruchung der legitimen Rechte der Frauen (…) stellt die Kirche vor tiefe
Fragen, die sie herausfordern und die nicht oberflächlich umgangen werden können“.
(104) Im gleichen Zusammenhang stellt Papst Franziskus aber noch einmal fest, dass
das den Männern vorbehaltene Priestertum nicht zur Diskussion stehe, aber „Anlass
zu besonderen Konflikten geben (kann), wenn die sakramentale Vollmacht zu sehr mit
der Macht verwechselt wird“ (104). Auch die Jugendlichen müssten eine größere Rolle
in der Kirche spielen, so der Papst weiter (106).
Der Papst geht auch auf
die Fragen des Zusammenhanges von Glaube und Kultur ein, die unter dem Begriff der
‚Inkulturation’ zusammengefasst werden. Die Kirche verfüge nicht über ein einziges
kulturelles Modell. Vielmehr drücke sich die „authentische Katholizität ... in der
Verschiedenheit aus“ (116). Die Kirche könne nicht erwarten, dass die gesamte Welt
das Modell übernähme, das sich in der Geschichte Europas herausgebildet hätte (118):
„Die Kultur ist etwas Dynamisches, das von einem Volk ständig neu erschaffen wird“
(122). Hier sei besonders die Volksfrömmigkeit von Bedeutung, so Franziskus, „in der
der empfangene Glaube in einer Kultur Gestalt angenommen hat und ständig weitergegeben
wird“ (123). Um diese Weitergabe fruchtbar zu machen, ruft der Papst die Theologen
auf, den Dialog und die Begegnung zu fördern und zu reflektieren. „Doch ist es für
diese Aufgabe nötig, dass ihnen die missionarische Bestimmung der Kirche und der Theologie
selbst am Herzen liegt und sie sich nicht mit einer Schreibtisch-Theologie zufrieden
geben.“ (133)
Gerechtigkeit und Menschlichkeit
„In der
Wurzel ungerecht” nennt Papst Franziskus das aktuelle ökonomische System (59). Diese
Form der Wirtschaft töte, denn in ihr herrsche das Gesetz des Stärkeren. Der Mensch
sei nur noch als Konsument gefragt, und wer das nicht leisten könne, der werde nicht
mehr bloß ausgebeutet, sondern ausgeschlossen, weggeworfen. Diese Kultur des Wegwerfens
habe etwas Neues geschaffen. „Die Ausgeschlossenen sind nicht „Ausgebeutete“, sondern
Müll, „Abfall“.“ (53) Die Welt lebe in einer neuen Tyrannei des „vergötterten Marktes“,
die manchmal sichtbar, manchmal virtuell sei. Hier regiere die Finanzspekulation,
die Korruption und Egoismen, die sich etwa in Steuerhinterziehung ausdrückten (56).
Franziskus
weist auch auf Angriffe auf die Religionsfreiheit hin, auf die „neuen Situationen
der Christenverfolgung, die in einigen Ländern alarmierende Stufen des Hasses und
der Gewalt erreicht haben.“ (61)
Auch die Familie durchlaufe eine tiefe kulturelle
Krise, so Franziskus. Sie sei der Ort des Lernens, mit Verschiedenheiten umzugehen
und zu reifen, werde aber „tendenziell als eine bloße Form affektiver Befriedigung
gesehen“ (66). Dagegen zerstöre „der postmoderne und globalisierte Individualismus“
die Bindungen zwischen Menschen und die Familienbande. (67)
Der Papst betont
die Verbindung zwischen der Verkündigung und der Förderung der Menschlichkeit, „die
sich notwendig in allem missionarischen Handeln ausdrücken und entfalten muss“ (178).
Man könne von der Kirche nicht erwarten, dass sie den Glauben ins Privatleben verlege
und so keinen Einfluss mehr habe auf das soziale Zusammenleben. „Wer würde es wagen,
die Botschaft des heiligen Franz von Assisi und der seligen Teresa von Kalkutta in
ein Gotteshaus einzuschließen und zum Schweigen zu bringen?“ (183) Franziskus zitiert
an dieser Stelle Papst Johannes Paul II.: Die Kirche könne nicht abseits stehen, wenn
es um das „Ringen um Gerechtigkeit“ geht.
Die Armen seien für die Kirche zuerst
eine theologische Kategorie, dann erst eine soziologische oder politische. „Aus diesem
Grund wünsche ich mir eine arme Kirche für die Armen.“ (198) Jede Gemeinschaft in
der Kirche, welche die Armen vergesse, stehe in der „Gefahr der Auflösung“ (207),
weil das religiöse Tun fruchtlos werde und in einer „spirituellen Weltlichkeit“ aufgehe.
Papst
Franziskus lädt zu einer Sorge um die Schwächsten ein: Die Kirche müsse den „neuen
Formen von Armut und Hinfälligkeit – den Obdachlosen, den Drogenabhängigen, den Flüchtlingen,
den eingeborenen Bevölkerungen, den immer mehr vereinsamten und verlassenen alten
Menschen usw.“ Aufmerksamkeit schenken. Mit Blick auf Migranten ruft der Papst zu
einer „großherzigen Öffnung auf, die, anstatt die Zerstörung der eigenen Identität
zu befürchten, fähig ist, neue kulturelle Synthesen zu schaffen.“ (210)
Ein
brennendes Thema seien auch die neuen Formen der Sklaverei, die unsere Gesellschaft
hervorbringe, so der Papst. Die neuen Sklaven seien diejenigen, die wir jeden Tag
umbrächten durch Arbeit in illegalen Fabriken, im Netz der Prostitution, in den zum
Betteln missbrauchten Kindern. „Es gibt viele Arten von Mittäterschaft. Die Frage
geht alle an! Dieses mafiöse und perverse Verbrechen hat sich in unseren Städten eingenistet,
und die Hände vieler triefen von Blut aufgrund einer bequemen, schweigenden Komplizenschaft.“
(211)
Zu den Schwächsten, derer sich die Kirche annehme, gehörten auch die
ungeborenen Kinder, denen die Würde des menschlichen Lebens verweigert würde (213).
In diesem Punkt werde die Kirche gerne ins Lächerliche gezogen, indem man „ihre Position
häufig als etwas Ideologisches, Rückschrittliches, Konservatives“ darstelle. Doch
sei die Verteidigung des ungeborenen Lebens eng mit der Verteidigung jedes beliebigen
Menschenrechtes verbunden. Die Kirche werde ihre Einstellung in der Frage der Abtreibung
nicht ändern, stellte der Papst klar. Der Schutz des ungeborenen Lebens sei keine
Frage der „Modernität“, der sich die Kirche anpassen müsste. Wahr sei aber auch, „dass
wir wenig getan haben, um die Frauen angemessen zu begleiten, die sich in sehr schweren
Situationen befinden“, etwa nach Vergewaltigungen: „Wer hätte kein Verständnis für
diese so schmerzlichen Situationen?“ (214).
Dialog
Die
Verkündigung impliziere den Weg des Dialogs, so der Papst. Dieser Weg öffne die Kirche
für die Zusammenarbeit mit politischen, sozialen, religiösen und kulturellen Institutionen
und Gruppen (238). Hier hinein gehört auch die Ökumene, die ein unaufgebbarer Teil
der Verkündigung sei, die Spaltung der Christen verhindere das glaubwürdige Zeugnis.
Außerdem könnten die Christen viel voneinander lernen, Franziskus weist hier auf die
orthodoxen Kirche und ihre Tradition der Synodalität hin“ (246).
Der Dialog
und die Freundschaft mit den Kindern Israels sei ebenfalls ein Teil des Lebens der
Jünger Jesu (248). Auch der interreligiöse Dialog, geführt mit einer „klaren und freudigen
Identität“, sei eine notwendige Bedingung für den Frieden in der Welt und verdunkle
die christliche Verkündigung keineswegs (250,251). Demütig bitte er die Länder mit
islamischer Tradition darum, „in Anbetracht der Freiheit, welche die Angehörigen des
Islam in den westlichen Ländern genießen, den Christen Freiheit zu gewährleisten,
damit sie ihren Gottesdienst feiern und ihren Glauben leben können.“ (253)
Verkündiger
im Heiligen Geist
Im Abschlusskapitel spricht Papst Franziskus von
den Evangelisatoren, die sich dem Handeln des Heiligen Geistes öffnen. „Der Heilige
Geist verleiht außerdem die Kraft, die Neuheit des Evangeliums mit Freimut (parrhesía)
zu verkünden, mit lauter Stimme, zu allen Zeiten und an allen Orten, auch gegen den
Strom.“ (259). Dies seien Verkünder, die beteten und arbeiteten, sie seien überzeugt,
dass „die Mission (...) eine Leidenschaft für Jesus (ist), zugleich aber eine Leidenschaft
für sein Volk.“ (268) Eingeladen, Zeugnis abzulegen für den Grund unserer Hoffnung
würden sie das nicht als Feinde tun, die verurteilten (271). Der Papst ermutigt: „Da
wir nicht immer diese aufkeimenden Sprossen sehen, brauchen wir eine innere Gewissheit
und die Überzeugung, dass Gott in jeder Situation handeln kann, auch inmitten scheinbarer
Misserfolge, denn ‚diesen Schatz tragen wir in zerbrechlichen Gefäßen’ (2 Kor 4,7).“
(279)
Die Exhortation schließt mit einem Mariengebet, „denn jedes Mal, wenn
wir auf Maria schauen, glauben wir wieder an das Revolutionäre der Zärtlichkeit und
der Liebe.“ (288)