Papstschreiben Evangelii Gaudium: „Revolution der zärtlichen Liebe“
Zum Ende des Jahres
des Glaubens hat Papst Franziskus eine sogenannte apostolische Exhortation geschrieben,
das ist ein päpstliches Lehrschreiben. ‚Evangelii Gaudium’ heißt es, also ‚Freude
des Evangeliums’, und am vergangenen Sonntag wurde es während der Abschlussmesse auf
dem Petersplatz bereits einigen Repräsentanten der Kirche aus der ganzen Welt übergeben.
An diesem Dienstag hat es der Vatikan nun der Öffentlichkeit vorgestellt. Unser Redaktionsleiter
Pater Bernd Hagenkord hat den fast 200 Seiten schweren Text für uns gelesen. Was für
eine Art Text haben wir da vor uns?
„Zuerst einmal: Es ist ein Franziskus-Text.
Wenn man die Monate seit seiner Wahl die Ansprachen und Predigten verfolgt hat, dann
wird man hier vieles wieder finden, systematisiert und geordnet und deswegen neu,
aber auch schon vertraut. Es ist sozusagen die wirkliche „Regierungserklärung“ dieses
Papstes, während seine erste Enzyklika das Weiterführen eines Projektes seines Vorgängers
war. Der Papst spricht hier in Ich-Form, besonders wenn es um ihn und sein Amt geht.“
Ist
diese Ich-Form ein Schlüssel zum Verständnis des Dokumentes?
„Ja. Denn
der Papst glaubt nicht, dass man vom päpstlichen Lehramt eine endgültige oder vollständige
Aussage zu allen Fragen erwarten müsse, die Kirche und die Welt betreffen. Also nicht
von ihm, sondern vom päpstlichen Lehramt. Hier zeigt sich die Art und Weise, wie er
seinen Text gelesen haben möchte. Wer dogmatische Erläuterungen sucht, wird enttäuscht
werden. Was Franziskus im Text „Dezentralisierung“ nennt, bedeutet eine Einladung,
sich zu beteiligen, und genau das wird im Text auch immer wieder eingefordert.“
Apostolische
Exhortationen kommen ja immer als Abschluss zu vatikanischen Bischofssynoden, in
diesem Fall zur Synode über die Neuevangelisierung vom letzten Jahr. Nun ist aber
dieses neue Dokument sehr lang, fast 200 Seiten, und geht auch über das Thema Neuevangelisierung
hinaus. Wie muss man das verstehen?
„Der Papst schließt sich an die Beratungen
der Synode an – bei denen er nicht dabei war, das war ja vor seiner Zeit – aber er
betont auch, dass er sich darüber hinaus Rat geholt habe und seine eigenen Ideen einbringe.
Der Text ist ganz klar mehr als das Abschlussdokument. Deswegen heißt es auch nicht
„postsynodale“, also an eine Synode angeschlossene, Exhortation. Er selber sagt, dass
dieser Text eine „programmatische Bedeutung“ habe, und das ist schon eine ganz starke
Aussage.“
Mit dem Wort „Dezentralisierung“ ist es schon angesprochen, das
Auffälligste an diesem Text scheint der Aufruf des Papstes zur Reform zu sein, auch
zu strukturellen Reformen.
„Das ist sicherlich das, was am ersten ins Auge
fällt, und hier spricht der Papst auch eine klare Sprache. Er müsse das leben, was
er von anderen verlange, und deswegen auch offen sein für Vorschläge, welche die Ausübung
des Papstamtes betreffen. An anderer Stelle spricht er von strukturellen Reformen.
Dabei darf man aber das Ziel nicht aus den Augen verlieren: Bei jeder Reform – sei
es der Struktur oder des geistlichen Lebens oder der Liturgie oder was auch immer
– muss es um die Verkündigung gehen. Reform ist kein Selbstzweck. Natürlich werden
es vor allem bestimmte Aussagen zu Papstamt, Kirchenreform, Eucharistierempfang und
so weiter sein, die zitiert werden. Es lohnt aber, den Zusammenhang herzustellen.
Der Papst will einen „Zustand permanenter Mission“, wie er das nennt, oder an anderer
Stelle die „Revolution der zärtlichen Liebe“. Dahinein müssen auch die medial attraktiven
Stücke sozusagen einsortiert werden.“
Was bietet dieser Text denn an Neuem,
an Vorschlägen?
„Es geht dem Papst vor allem um Dynamik. Das ist nicht
so neu, das haben wir schon einige Male gehört. Aber jetzt ist es eben keine Morgenpredigt
des Papstes mehr. Einen Satz mag ich ganz besonders, den darf ich hier vielleicht
zitieren: „Mir ist eine „verbeulte“ Kirche, die verletzt und beschmutzt ist, weil
sie auf die Straßen hinausgegangen ist, lieber, als eine Kirche, die aufgrund ihrer
Verschlossenheit und ihrer Bequemlichkeit, sich an die eigenen Sicherheiten zu klammern,
krank ist.“ Ist das was Neues? Vielleicht ja. Auf jeden Fall ist es etwas, was die
Kirche beschäftigen soll und wird. Wenn man zu sehr nach Sätzen zu den Konfliktthemen
sucht, die es auch gibt, dann verliert man vielleicht diesen Zusammenhang etwas aus
den Augen.“
Welche Stellen finden Sie besonders stark in dem Dokument?
„Die
zu Predigt, zu geistlicher Begleitung, zu Volksfrömmigkeit und so weiter, also die
praktischen Stellen. Hier bringt der Papst wirklich etwas Neues, ein Kollege hat das
eine „Theologie des Glaubens des Volkes Gottes“ genannt, was ich ganz passend finde.“
Wenn
man Zeitungen liest, im Internet Diskussionen verfolgt oder Talkshows ansieht, dann
hört man oft die Meinung, der Papst sei ein Liberaler, ein Konservativer, ein Reformer
oder einer, der nur redet aber nichts tut. Was für ein Papst zeigt sich in diesem
Text?
„Einer, der sich all diesen Kategorisierungen entzieht. Wer den Papst
für ein Projekt heranziehen will, der wird enttäuscht werden. Alle diese Verkürzungen
des Glaubens werden vom Papst deutlich kritisiert: die Privatgläubigen; diejenigen,
die zu sehr auf Liturgie setzen; die Bürokraten des Glaubens; die, die nur gesellschaftliche
Anerkennung und Mitwirkung suchen und so weiter. Franziskus sieht in dem allen eine
Bequemlichkeit, und das ist glaube ich sein größter Vorwurf. Bequemlichkeit steht
dem Aufbruch und dem Risiko gegenüber, und dadurch verkümmern der Glaube und die Verkündigung.
„Egozentrische Selbstgefälligkeit“ nennt er es an anderer Stelle. Der Text ist also
unter anderem auch eine deutliche Aufforderung, diese Schubladen endlich beiseite
zu lassen. Denn – so fragt der Papst die ganzen innerkirchlichen Auseinandersetzungen
an – wen wollen wir mit so einem Verhalten überzeugen?“