Es gibt auch positive
Meldungen zum Welt-Aidstag am ersten Dezember 2011: Und zwar kommen diese aus dem
Kontinent, der - fälschlicherweise - immer noch am stärksten mit Aids assoziiert wird:
Afrika. Klemens Ochel vom Missionsärztlichen Institut in Würzburg sagte im Gespräch
mit Radio Vatikan:
„Die Hoffnungsmeldung aus Afrika ist, dass die Anzahl
der neuen Infektionen in den letzten Jahren deutlich zurückgegangen ist, das ist sehr
erfreulich! Dies wird einerseits durch Aufklärungsmaßnahmen bewirkt, andererseits
ist es aber auch vermutlich ein Ergebnis davon, dass viele Afrikaner heute Zugang
zu einer Therapie haben: Durch die Therapie wird die Ansteckungsrate gesenkt, und
dadurch hat man eben auch einen vorbeugenden Effekt.“
In Afrika sei der
Hauptausbreitungsweg von Aids der heterosexuellen Geschlechtsverkehr, so Ochel. Das
ist in Osteuropa anders: Dort wird das Virus vor allem im Kontext von Drogenabhängigkeit
übertragen. Aktuellen Schätzungen der Organisation UNAIDS zufolge hat sich in der
Region die Anzahl der Menschen, die mit dem HI-Virus leben, nahezu verdreifacht. In
der Ukraine seien allein 1,1 Prozent der Erwachsenenbevölkerung betroffen, gibt Ochel
an.
„Dahinter stecken vor allem die dramatischen sozialen Umbruchsituationen,
die in den osteuropäischen Ländern stattgefunden haben und die eigentlich immer noch
nicht vollständig verarbeitet worden sind. Neben den betroffenen Männern, die Drogen
nutzen, steigt aber auch bedrohlicherweise der Anteil der Frauen, die mit HIV und
Aids leben, die sich anstecken über ihren Partner. In dem Maße wächst eben auch der
Anteil der Kinder, die über ihre Mütter angesteckt werden.“
Gerade
in Russland und der Ukraine würden „sehr große Anstrengungen“ unternommen, um die
Mutter-Kind-Übertragung zu unterbinden, so Ochel, der auch als Berater des Osteuropa-Hilfswerkes
Renovabis tätig ist. Renovabis arbeitet eng mit kirchlichen Partnern in Osteuropa
zusammen, um infizierten Menschen Hilfe anzubieten und präventive Massnahmen anzubieten.
Dennoch hätten in der Ukraine und Russland nur ein Viertel aller Betroffenen Zugang
zu entsprechenden Therapien. Überhaupt müsse weltweit in diesem Bereich noch viel
mehr geschehen, so Ochel:
„In der Mutter-Kind-Übertragung haben nur
30 bis 35 Prozent der Mütter weltweit, die von HIV und Aids betroffen sind und mit
einer Infektion leben, Zugang zu Aids-Medikamenten! Dass heißt, es muss noch viel
getan werden, damit Mütter einen besseren Zugang zur Mutter-Kind-Versorgung bekommen.“
Auch
im Bereich der Behandlung von Aids-Kranken sieht der Experte noch großen Handlungsbedarf
– auch wenn die Zahl der Menschen mit Zugang zu retroviralen, modernen Aidstherapien
noch nie so hoch war wie heute, räumt er zugleich ein:
„In
Bezug auf die Behandlung ist zu sagen: Es ist sicherlich erfreulich, dass 6,6 Millionen
Menschen jetzt eine Therapie bekommen, aber eine medizinische Notwendigkeit besteht
für 15 Millionen. Das heißt, der überwiegende Teil der Betroffenen hat noch keine.
Und dafür braucht es Finanzmittel...“
Diese Finanzmittel fielen
mit der Finanzkrise immer spärlicher aus. Denn auch im Feld der Aids-Bekämpfung mache
sich die Krise bemerkbar – mit fatalen Folgen für die Betroffenen, warnt der Experte
vom Missionsärztlichen Institut:
„Unsere katholischen Partner in Namibia
oder Südafrika sagen uns, dass durch die Finanzkrise die großen internationalen Geldgeber
ihre Mittel zurückziehen und herunterfahren, und dass dadurch enorme Schwierigkeiten
entstehen. Das heißt, dass man konkret manchen Menschen die Therapie nicht verlängern
kann, obwohl das eigentlich eine lebenslange Therapie ist. Oder dass neue Patienten
nicht aufgenommen werden können. Oder dass in Familien eben nur einer von vielen Personen
behandelt werden kann.“
Ethisch gesehen habe man es hier mit „sehr problematischen
Entscheidungen“ zu tun, fügt Ochel an. Die Staatengemeinschaft müsse hier viel solidarischer
sein, rügt er: Sie hält ihre Versprechungen in der Aids-Bekämpfung nicht ein. Dabei
habe man doch insgesamt viel dazugelernt, wie Aids effektiv bekämpft werden könne.
Ochel:
„Es gibt ein breites Spektrum von Interventionen und Massnahmen,
die sich als sehr wirksam erwiesen haben. Sicher ist es wichtig, die Menschen – vor
allem junge Menschen – über die Infektionen zu informieren, dass sie das Wissen haben,
wie die Ausbreitung und Ansteckung erfolgt, wie hoch Risiken sind. Wichtig ist aber
auch, mit den Betroffenen zu arbeiten, die Ausgrenzung von Betroffenen zu bekämpfen.
Weiter gibt es eine Reihe von technischen Massnahmen, die sich als hochwirksam erwiesen
haben, zum Beispiel die Gabe von antiretroviralen Medikamenten zur Vorbeugung einer
Mutter-Kind-Übertragung. Damit, mit der Therapie und mit den neuen Medikamenten, mit
der Bekämpfung der Ursachen – zum Beispiel im Bezug auf Gleichstellung von Mann und
Frau, Überwindung von Ungerechtigkeit gegenüber Frauen – hat man Massnahmen in der
Hand, die die Neuinfektionsrate deutlich zurückdrängen können. Das zeigen afrikanische
Länder ganz deutlich!“
Zum Welt-Aids-Tag am ersten Dezember zieht der
Experte also ein gemischtes Fazit. Während in Afrika Aufklärung und Zugang zu Therapien
fruchten, seien Osteuropa und Zentralasien die Sorgenkinder: „Bei der aktuellen Neuinfektionsrate
in Armenien, Georgien, Kasachstan, Kirgisistan und Tadschikistan wird sich die Anzahl
der Betroffenen in den genannten Ländern in vier bis fünf Jahren verdoppeln“, prognostiziert
Ochel. Anders als in anderen Regionen steigt in Osteuropa und Zentralsien die Anzahl
der Todesfälle in Folge einer Aids-Erkrankung - das bestätigt auch die Organisation
UNAIDS. Viel gibt es da also noch zu tun.