2011-11-30 15:06:39

Welt-Aids-Tag: Sorgenkind Osteuropa


RealAudioMP3 Es gibt auch positive Meldungen zum Welt-Aidstag am ersten Dezember 2011: Und zwar kommen diese aus dem Kontinent, der - fälschlicherweise - immer noch am stärksten mit Aids assoziiert wird: Afrika. Klemens Ochel vom Missionsärztlichen Institut in Würzburg sagte im Gespräch mit Radio Vatikan:

„Die Hoffnungsmeldung aus Afrika ist, dass die Anzahl der neuen Infektionen in den letzten Jahren deutlich zurückgegangen ist, das ist sehr erfreulich! Dies wird einerseits durch Aufklärungsmaßnahmen bewirkt, andererseits ist es aber auch vermutlich ein Ergebnis davon, dass viele Afrikaner heute Zugang zu einer Therapie haben: Durch die Therapie wird die Ansteckungsrate gesenkt, und dadurch hat man eben auch einen vorbeugenden Effekt.“

In Afrika sei der Hauptausbreitungsweg von Aids der heterosexuellen Geschlechtsverkehr, so Ochel. Das ist in Osteuropa anders: Dort wird das Virus vor allem im Kontext von Drogenabhängigkeit übertragen. Aktuellen Schätzungen der Organisation UNAIDS zufolge hat sich in der Region die Anzahl der Menschen, die mit dem HI-Virus leben, nahezu verdreifacht. In der Ukraine seien allein 1,1 Prozent der Erwachsenenbevölkerung betroffen, gibt Ochel an.


„Dahinter stecken vor allem die dramatischen sozialen Umbruchsituationen, die in den osteuropäischen Ländern stattgefunden haben und die eigentlich immer noch nicht vollständig verarbeitet worden sind. Neben den betroffenen Männern, die Drogen nutzen, steigt aber auch bedrohlicherweise der Anteil der Frauen, die mit HIV und Aids leben, die sich anstecken über ihren Partner. In dem Maße wächst eben auch der Anteil der Kinder, die über ihre Mütter angesteckt werden.“


Gerade in Russland und der Ukraine würden „sehr große Anstrengungen“ unternommen, um die Mutter-Kind-Übertragung zu unterbinden, so Ochel, der auch als Berater des Osteuropa-Hilfswerkes Renovabis tätig ist. Renovabis arbeitet eng mit kirchlichen Partnern in Osteuropa zusammen, um infizierten Menschen Hilfe anzubieten und präventive Massnahmen anzubieten. Dennoch hätten in der Ukraine und Russland nur ein Viertel aller Betroffenen Zugang zu entsprechenden Therapien. Überhaupt müsse weltweit in diesem Bereich noch viel mehr geschehen, so Ochel:


„In der Mutter-Kind-Übertragung haben nur 30 bis 35 Prozent der Mütter weltweit, die von HIV und Aids betroffen sind und mit einer Infektion leben, Zugang zu Aids-Medikamenten! Dass heißt, es muss noch viel getan werden, damit Mütter einen besseren Zugang zur Mutter-Kind-Versorgung bekommen.“

Auch im Bereich der Behandlung von Aids-Kranken sieht der Experte noch großen Handlungsbedarf – auch wenn die Zahl der Menschen mit Zugang zu retroviralen, modernen Aidstherapien noch nie so hoch war wie heute, räumt er zugleich ein:


„In Bezug auf die Behandlung ist zu sagen: Es ist sicherlich erfreulich, dass 6,6 Millionen Menschen jetzt eine Therapie bekommen, aber eine medizinische Notwendigkeit besteht für 15 Millionen. Das heißt, der überwiegende Teil der Betroffenen hat noch keine. Und dafür braucht es Finanzmittel...“


Diese Finanzmittel fielen mit der Finanzkrise immer spärlicher aus. Denn auch im Feld der Aids-Bekämpfung mache sich die Krise bemerkbar – mit fatalen Folgen für die Betroffenen, warnt der Experte vom Missionsärztlichen Institut:


„Unsere katholischen Partner in Namibia oder Südafrika sagen uns, dass durch die Finanzkrise die großen internationalen Geldgeber ihre Mittel zurückziehen und herunterfahren, und dass dadurch enorme Schwierigkeiten entstehen. Das heißt, dass man konkret manchen Menschen die Therapie nicht verlängern kann, obwohl das eigentlich eine lebenslange Therapie ist. Oder dass neue Patienten nicht aufgenommen werden können. Oder dass in Familien eben nur einer von vielen Personen behandelt werden kann.“

Ethisch gesehen habe man es hier mit „sehr problematischen Entscheidungen“ zu tun, fügt Ochel an. Die Staatengemeinschaft müsse hier viel solidarischer sein, rügt er: Sie hält ihre Versprechungen in der Aids-Bekämpfung nicht ein. Dabei habe man doch insgesamt viel dazugelernt, wie Aids effektiv bekämpft werden könne. Ochel:

„Es gibt ein breites Spektrum von Interventionen und Massnahmen, die sich als sehr wirksam erwiesen haben. Sicher ist es wichtig, die Menschen – vor allem junge Menschen – über die Infektionen zu informieren, dass sie das Wissen haben, wie die Ausbreitung und Ansteckung erfolgt, wie hoch Risiken sind. Wichtig ist aber auch, mit den Betroffenen zu arbeiten, die Ausgrenzung von Betroffenen zu bekämpfen. Weiter gibt es eine Reihe von technischen Massnahmen, die sich als hochwirksam erwiesen haben, zum Beispiel die Gabe von antiretroviralen Medikamenten zur Vorbeugung einer Mutter-Kind-Übertragung. Damit, mit der Therapie und mit den neuen Medikamenten, mit der Bekämpfung der Ursachen – zum Beispiel im Bezug auf Gleichstellung von Mann und Frau, Überwindung von Ungerechtigkeit gegenüber Frauen – hat man Massnahmen in der Hand, die die Neuinfektionsrate deutlich zurückdrängen können. Das zeigen afrikanische Länder ganz deutlich!“


Zum Welt-Aids-Tag am ersten Dezember zieht der Experte also ein gemischtes Fazit. Während in Afrika Aufklärung und Zugang zu Therapien fruchten, seien Osteuropa und Zentralasien die Sorgenkinder: „Bei der aktuellen Neuinfektionsrate in Armenien, Georgien, Kasachstan, Kirgisistan und Tadschikistan wird sich die Anzahl der Betroffenen in den genannten Ländern in vier bis fünf Jahren verdoppeln“, prognostiziert Ochel. Anders als in anderen Regionen steigt in Osteuropa und Zentralsien die Anzahl der Todesfälle in Folge einer Aids-Erkrankung - das bestätigt auch die Organisation UNAIDS. Viel gibt es da also noch zu tun.


(rv/adveniat 01.12.2011 pr)








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