Seit zehn Tagen hat die serbisch-orthodoxe Kirche ein neues Oberhaupt: Der Bischof
von Nis, Irinej, wurde zum neuen Patriarchen von Belgrad gewählt. Er trat die Nachfolge
von Pavle I. an, der im Dezember in hohem Alter verstorben war. Wer ist der neue serbische
Patriarch? Auf diese Frage antwortet in einem Essay für Radio Vatikan Tihomir Popovic.
Er ist Hochschullehrer in Hannover und Osnabrück, Vizepräsident des Rates und Vorstandes
der „Serbischen Orthodoxen Diözese für Mitteleuropa“ - Deutschland, Österreich, Liechtenstein
und die Schweiz - sowie Verantwortlicher Redakteur ihres Informationsdienstes SOK
AKTUELL, mit dem Radio Vatikan kooperiert.
Der erste und der letzte Schritt
- Kurze Meditation über Patriarch Irinej von Tihomir Popovic
Als
vor kurzem der orthodoxe Bischof von Nis, Irinej Gavrilovic, zum neuen Serbischen
Patriarchen gewählt wurde, hatten viele Serbienkenner im Westen ein Problem: Eine
Persönlichkeit trat ins Rampenlicht, die bisher kaum bekannt war, vor allem weil sie
nicht in das Serbien-Klischee des Westens passte. Nicht nur, dass es nie eine extremistische
oder auch mäßige nationalistische Äußerung von Patriarch Irinej gegeben hatte, sondern
er betonte sowohl vor als auch nach seiner Wahl, dass die Serbische Orthodoxe Kirche
einen Papstbesuch in Serbien im Jahr 2013 – dem Jubiläumsjahr des „Mailänder Toleranzedikts“
von 313 – begrüßen würde und dass diese Gelegenheit als ein möglicher Anlass zum Dialog
über die Einheit der West- und Ostkirche betrachtet werden könnte: Angesichts des
Images Serbiens als ein Hort selbstgerecht-aggressiver National-Isolationisten extrem
neuartig wirkende Worte. Zwar haben sich die meisten westlichen Medien auf die bei
seiner Antrittsrede ausgesprochenen Worte Patriarch Irinejs gestürzt, mit denen er
die bekannte Position der Serbischen Orthodoxen Kirche wiederholte, dass das Kosovo
serbisch sei; trotzdem konnte man auch in diesen Medien nicht umhin, das Moderatsein
des neuen Patriarchen hervorzuheben, denn diese ist in Anbetracht seiner Haltung zum
interkonfessionellen Dialog offensichtlich. Das neue Kirchenoberhaupt in Belgrad hat
dadurch anscheinend gute Chancen, den inzwischen nachbetend-pseudokritisch gewordenen
Serbiendiskurs des Westens wachzurütteln und zu verändern.
Dabei ist es auffallend,
dass der neue Patriarch trotz seiner Unbekanntheit gleich nach seiner Wahl im Westen
keineswegs als No Name behandelt wurde. Man nahm das neue Oberhaupt der Serbischen
Orthodoxie sofort wahr als das, was es ist: Eine stille aber wahre Autorität. Dieser
Charakterzug des Patriarchen wurde binnen kürzester Zeit durch seine eigenen Aussagen
deutlich: Einerseits schickt Patriarch Irinej auch nach der Wahl deutliche Signale
in Richtung des Dialogs mit Rom, andererseits trägt er offen den bekannten Standpunkt
der Serbischen Orthodoxen Kirche vor, das das Kosovo-Metohija ein Teil Serbiens sei
und es auch bleiben solle. In dieser im Osten Europas manchmal fehlenden Klarheit
der Gedankenkonturen und dem Mut, diese offen auszusprechen, ist eindeutig Führungsstärke
zu erkennen. Und man soll sich darüber im Klaren sein, dass die zweite Position die
erste nicht relativiert: Man kann, wie Patriarch Irinej, durchaus für den interkonfessionellen
Dialog auftreten, man kann sich für die Offenheit und Liebe zwischen Christen aussprechen,
man kann auch sagen, dass die Serben zur europäischen Völkerfamilie gehören wollen,
dabei aber den südosteuropapolitischen Tendenzen der westlichen Staaten kritisch gegenüber
stehen. Patriarch Irinej ist nicht jemand, der die eine oder andere politische Position
braucht, mit der er sich „identifizieren“ kann, sondern er ist ein Mensch, dessen
eigene Identität so klar umrissen ist, dass sie für die andere prägend werden kann.
Tatsächlich
hat man in Serbien schon begonnen, sich mit Patriarch Irinej zu identifizieren. Auch
diejenigen gesellschaftlichen Akteure, die der Serbischen Orthodoxen Kirche ansonsten
kritisch gegenüber stehen, sparen keine Lobesworte, wenn sie über Patriarch Irinej
sprechen. Und das auch mit Recht, denn wenn die Serben die Haltung des neuen Oberhauptes
ihrer Landeskirche übernehmen, können sie trotz aller historischen Belastung gehobenen
Hauptes nicht nur schneller in die europäischen Integrationsprozesse eingehen, sondern
auch die eigenen, innerserbischen Integrationen vorantreiben. Patriarch Irinej steht
gesellschaftspolitisch für Integrationen ohne Selbstleugnung, für ein affirmatives,
niemanden bedrängendes oder bedrohendes Serbischsein. Diesem ruhigen Kirchenmann,
der einst zwei bedeutende kirchliche Ausbildungsstätten geleitet hatte und dann 34
Jahre lang einer der größten serbischen Diözesen vorstand, ist daher durchaus zuzumuten,
den Dialog des Ostens und des Westens in Gebetsruhe, mit Liebe und ohne die aus kulturellen
und historischen Unterschieden gewachsene Leidenschaften zu führen. Dazu ist, wie
Patriarch Irinej selbst kurz vor seiner Wahl sagte, ein erster Schritt notwendig,
denn ohne diesen gebe es auch den letzten nicht. Es ist mutig, sich diesen letzten
Schritt des ost-westlichen Kirchendialogs überhaupt vorzustellen und es ist ebenso
mutig, den ersten in diese hehre Richtung führenden Schritt zu tun. Patriarch Irinej
kann beides.