2017-10-21 11:19:00

Syrien: Als Arzt im Kriegsgebiet


Hunderte Freiwillige arbeiten Tag und Nacht in Aleppo, um den Menschen zu helfen. Trotz der Zerstörung der Stadt und ihrer Häuser bleiben immer noch Menschen. Sie seien „wahre Meister der Belastbarkeit“, sagt Nabil Antaki, ein christlicher Arzt in Syrien. Er ist einer von wenigen Ärzten, die in Aleppo geblieben sind und den Tausenden Verwundeten und Verletzten in den letzten sechs Jahren des Krieges geholfen haben. Antaki wurde in Aleppo geboren, er ist verheiratet und hat zwei Kinder, die in den USA leben. Er gehört als Laie dem Orden der Maristen an und hat gemeinsam mit seiner Frau die Organisation der „Blauen Maristen“ gegründet, die Armen und Bedürftigen medizinische Versorgung und Hilfe gewährleistet.

Im Interview mit der vatikannahen Agentur Asianews spricht der Arzt über seine Erfahrungen der letzten Jahre und die Hoffnung auf eine bessere Zukunft in Syrien und Aleppo.

Asianews: Wie steht es um die Gesundheitsversorgung und die gesundheitliche Situation in Syrien nach sechs Jahren Krieg?

Antaki: Die gesundheitliche Situation in Syrien hat sich im letzten Jahr verbessert. Dennoch leiden wir weiterhin unter dem Embargo und den Sanktionen gegen das Land. Glücklicherweise haben syrische Pharmaunternehmen ihre Arbeit teilweise durch den Import von Grundzutaten aus Indien wieder aufnehmen können. Darüber hinaus erreichen die Krankenhäuser durch den Erwerb chinesischer Geräte und medizinischer Einrichtungen nach und nach wieder ein akzeptables Qualitätsniveau.

AN: Ärzte und Krankenhäuser waren eines der Hauptziele während des Konflikts in Aleppo und im ganzen Land. Was war Ihre Aufgabe, Ihre Mission als Arzt in dieser Zeit?

Antaki: Von Juli 2012 bis Dezember 2016 stand Aleppo, die zweitgrößte Stadt Syriens und die wirtschaftliche Hauptstadt, im Zentrum des Krieges, und es war zusammen mit Rakka und Deir ez-Zor der Ort, an dem die Menschen am stärksten leiden mussten. Tägliche Bombardierungen durch die Rebellen führten zu vielen Todesopfern im Westen von Aleppo. 70 Prozent der Fachärzte und 60 Prozent der Allgemeinmediziner haben das Land verlassen. Viele Krankenhäuser erlitten schwere Schäden, wurden zerstört oder sind abgebrannt. Heute gibt es nur noch zwei öffentliche Krankenhäuser in Aleppo. Das ist der Grund, weshalb wir im Dezember 2012 mit Kollegen des St. Louis Krankenhauses, einer Klinik in der Hand der Schwestern des Hl. Joseph, das Projekt „Civilians wounded by war“ („Vom Krieg verwundete Zivilisten“) begonnen haben, um die Kriegsverwundeten zu behandeln. Das ist die beste Einrichtung in der Stadt, bietet die besten Behandlungsmöglichkeiten und somit die höchsten Überlebenschancen. Wir haben tausende Verletzte behandelt und vielen Menschen das Leben gerettet.

AN: Was ist dort genau das Anliegen?

Antaki: Unsere Mission ist die Pflege und Behandlung der Kranken, nicht nur der Verletzten, ohne Gebühren. 80 Prozent der Gesellschaft lebt durch den Konflikt in Armut und hat nicht die Mittel, Behandlungskosten zu decken.

AN: Hat Ihr Glaube Ihnen geholfen, sich dem Krieg zu stellen und den Alltag zu bestehen?

Antaki: Mein Glaube in Christus hat mir die Kraft gegeben, in Syrien und in Aleppo zu bleiben, obwohl ich die Möglichkeit hatte, wie viele meiner Kollegen das Land zu verlassen. Ich hätte in die USA oder nach Kanada gehen können, wo meine Kinder leben. Meine Frau und ich haben aber entschieden zu bleiben, um für die Kranken zu sorgen und den Familien zu helfen. Und wir haben uns gedacht, unsere Anwesenheit könnte ein Zeichen der Hoffnung sein, vor allem für die christlichen Familien.

AN: Dr. Antaki, Sie haben sicherlich viele schwierige Augenblicke erlebt. Gibt es Momente, die sich besonders in Ihr Gedächtnis gebrannt haben?

Antaki: Natürlich gibt es viele Augenblicke die sich für immer in mein Gedächtnis eingeprägt haben: der Tod meines älteren Bruders, der im August 2013 von Rebellen getötet wurde. Dann die Vertreibung aller christlichen Familien, insgesamt über 300, aus dem Viertel Jabal Al Sayde am Karfreitag desselben Jahres. Dann der Tod eines Kollegen durch eine Rakete, als er das Krankenhaus verlassen hat und als hunderte Menschen, alles Christen, bei uns, also bei den „Blauen Maristen“ ankamen, weil sie vor den Bomben geflohen sind.

AN: Gibt es irgendwelche Zeichen der Hoffnung?

Antaki: In der dramatischen Situation, in der wir in den letzten Jahren gelebt haben, gab es immer wieder Zeichen großer Hoffnung. Unter diesen erinnere ich an die hunderten Freiwilligen, die Tag und Nacht gearbeitet haben, um Menschen zu helfen und zu retten. Auch die Einwohner Aleppos waren und sind solche Hoffnungsschimmer, sie sind wirklich belastbar und widerstandsfähig. Es gibt Menschen, die alles verloren haben: ihr Zuhause, Autos, Geschäfte, Arbeit; Menschen, die ihre Lieben verloren haben – Frauen, Kinder, Brüder und Schwestern – und die alles gemacht haben, jeden Job, um zu überleben. Menschen, die in zerstörten Häusern gelebt haben, die im kalten Winter gefroren haben ohne Heizung. Und trotz alledem fanden diese Menschen die Kraft zu sagen: „Danke, mein Gott.“

AN: Gibt es Gründe, optimistisch in die Zukunft Aleppos zu schauen?

Antaki: Heute sind wir etwas optimistischer als in der Vergangenheit. Der Alltag hat sich verbessert: es gibt wieder eine Wasser- und Stromversorgung, wenn auch rationalisiert. Die Bombardierungen sind beendet. Auf nationaler Ebene ist die bevorstehende komplette Zurückdrängung des Islamischen Staates eine große Hoffnungsquelle. Erste Verträge zur Deeskalation und Vereinbarungen mit den Rebellen, einige besetzte Gebiete zu verlassen, lassen die Hoffnung aufkommen, dass ein Ende des Krieges in Sicht ist.

AN: Zuletzt haben Sie von einem Aleppo „weder im Krieg, noch im Frieden“ gesprochen. Gab es seitdem Veränderungen?

Antaki: Nein, in den letzten Wochen hat sich nichts Grundsätzliches geändert. Wir warten nach wie vor auf ernsthafte Gespräche und klare Positionen der Weltmächte für einen stabilen und dauerhaften Frieden in Syrien.

(asianews 21.10.2017 nh)








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