2017-10-10 13:01:00

Ethikerin: Pränatale Tests verschärfen Geschlechterselektion


Vorgeburtliches „Aussortieren" von weiblichen Embryonen - ein Missstand, der von China und Indien bekannt ist – „hat auch Europa längst erreicht": Auf diesen Trend zum „Genderzid" durch neue, unkomplizierte genetische Pränatal-Tests hat die Geschäftsführerin des Wiener Bioethikinstituts IMABE, Susanne Kummer, aufmerksam gemacht und mit Beispielen aus vielen Ländern belegt. Geschlechterselektion sei „keine Lappalie, sondern eine Menschenrechtsverletzung, die unter allen Umständen unterbunden werden muss", forderte Kummer entsprechende gesetzliche Vorkehrungen. „Wer Abtreibung wegen des Geschlechts toleriert, forciert eine diskriminierende Sicht auf Mädchen und Frauen."

Das Geschlecht kann heute laut der Bioethikerin per Bluttest bereits in der neunten Schwangerschaftswoche bestimmt werden - also früher als bei einer Ultraschalluntersuchung und noch innerhalb der gesetzlichen Frist von zehn oder zwölf Wochen, die in etlichen Ländern für einen Schwangerschaftsabbruch gelten. Der Schweizer Bundesrat arbeite bereits an einem Gesetz, wonach das Geschlecht des Ungeborenen erst nach der zwölften Woche mitgeteilt werden darf. Denn auch in unserem Nachbarland mit seiner hochentwickelten Demokratie kenne man das Problem: Kummer verwies auf einen Bericht der „Neuen Zürcher Zeitung" vom September, wonach es in der Schweiz jährlich zu rund 100 Abtreibungen aufgrund „falschen" Geschlechts kommt.

Auch innerhalb der Europäischen Union würden diskriminierende Abtreibungen von Mädchen durchgeführt, so etwa in Schweden oder in Großbritannien. In den Balkanstaaten und im Kaukasus sei die Abtreibung von Mädchen bereits ein einträgliches Geschäft, teilte Kummer mit. Und es zeigten sich dort bereits gravierende Konsequenzen auf die demographische Entwicklung: In Albanien, in Mazedonien und im Kosovo kommen auf 100 neugeborene Mädchen mittlerweile 110 Buben, in Montenegro ist das Verhältnis gar 100 zu 113, ähnliches gilt für Armenien und Aserbaidschan.

Wohin ein über viele Jahre geduldeter Genderzid führt, zeigen laut IMABE vorliegenden Daten die bevölkerungsreichsten Länder der Welt, China und Indien, als „Vorreiter der vorgeburtlichen Tötung von Mädchen". Laut UNO fehlen in Indiens Bevölkerung 50 Millionen Mädchen und Frauen, weil sie abgetrieben oder nach der Geburt getötet wurden. In China würden demnächst mindestens 30 Millionen Männer im heiratsfähigen Alter keine Frau finden können – „weil sie fehlen". Auch die Zwei-Kind-Politik, die in China 2016 die Ein-Kind-Politik nach 35 Jahren ablöste, könne diese Kluft nicht überbrücken. Ein normales Geschlechterverhältnis liegt laut WHO bei 102 bis 106 Buben zu 100 Mädchen, in China sind es 114. 

Selektion grundsätzlich problematisch

Susanne Kummer fordert entschiedenes Gegensteuern durch die Legislative. Allerdings zeige die Debatte um den Genderzid auch innere Widersprüche, so die Ethikerin: „Einerseits sollen Ärzte bei Tötung eines weiblichen Babys nicht mitmachen, selbst wenn sich Eltern dadurch kulturell stigmatisiert fühlen, zugleich aber sollen Ärzte Abtreibung von Kindern mit Down-Syndrom durchführen." Die IMABE-Expertin sieht hier ein generelles Problem: „Eine Gesellschaft, die bestimmten Personen Menschenwürde zu- oder abspricht, begibt sich in eine illegitime Machtposition." 

Es sei hoch an der Zeit, dass auch in Österreich dokumentiert werde, aus welchen Gründen sich Frauen zu einer Abtreibung entschließen, forderte Kummer. Sie plädierte für die von der „Aktion Leben" initiierte Bürgerinitiative „Fakten helfen" (www.fakten-helfen.at) um dem Missstand zu begegnen, dass Österreich eines der letzten europäischen Länder sei, in denen keine Datenerhebung über Abtreibung stattfindet.

Das „Institut für Medizinische Anthropologie und Bioethik" (IMABE) wurde 1988 als unabhängige wissenschaftliche Einrichtung in Wien gegründet. Von seiner Gründungsidee her arbeitet das Institut interdisziplinär und fördert den Dialog von Medizin und Ethik in Forschung und Praxis auf Grundlage des christlich-humanistischen Menschenbildes. Die Österreichische Bischofskonferenz übernahm 1990 die Patronanz. 

(kap 10.10.2017 pr)








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