2017-10-03 10:00:00

„China will den Graubereich der Religion ausschalten“


Die Volksrepublik China richtet derzeit ihre Religionspolitik neu aus. Am 7. September veröffentlichte Peking neue Vorschriften zum Umgang mit den Religionsgemeinschaften im Land, die ab kommenden Februar in Kraft treten sollen. Es handelt sich um die Neufassung eines älteren Regelwerkes, das bereits seit 2005 in Kraft war. Katharina Wenzel-Teuber, Herausgeberin der Zeitschrift „China Heute“, ordnet die Neuerungen im Interview mit Radio Vatikan ein. Zieht Chinas Führung die Zügel mit dem überarbeiteten Gesetz jetzt noch mehr an? Das wollte Anne Preckel zunächst von der China-Expertin wissen.

Wenzel-Teuber: Ja, es sieht so aus. Es hat ja recht lange gedauert: vor genau einem Jahr wurde diese Revision des neuen Regelwerks als Entwurf vorgelegt zur Einholung öffentlicher Meinungen. Und es hat jetzt doch ein ganzes Jahr gedauert, bis das Dokument verabschiedet wurde. Da vermute ich, dass es hinter den Kulissen doch einige Diskussionen über die Richtung und einzelne Bestimmungen gegeben hat. Aber bei dem jetzt verabschiedeten Dokument sieht man, dass sich der Entwurf des staatlichen Religionsbüros und damit eine härtere Linie doch voll durchgesetzt hat. Es wurde weitgehend unverändert verabschiedet. Ich denke, diese restriktivere Linie in der Religionspolitik setzt sich im Moment durch.

RV: Wie könnte sich das neue Gesetz auf das religiöse Leben in China auswirken – ganz konkret?

Wenzel-Teuber: Eines, was die Grundtendenz sehr gut zeigt: Paragraph 3 wurde neu eingefügt. Da geht es um die Prinzipien der staatlichen Religionsverwaltung. Es werden fünf genannt, von denen vier negativ sind. Es geht darum, in der staatlichen Religionsarbeit Legales zu schützen, das ist Schutz legitimer Religionsausübung, also positiv. Aber dann kommt: Illegales zu stoppen, Extremismus Einhalt zu gebieten, sich der Infiltration zu widersetzen und Verbrechen niederzuschlagen. Im Ganzen sieht man eher eine negative Einschätzung und Bewertung religiöser Phänomene und eine Ausrichtung mehr auf Eindämmung derselben.

RV: Die Bekämpfung von Extremismus ist ja etwas, das Chinas Religionspolitik seit einiger Zeit vor allem von den Muslimen fordert, die im Land zur Zeit besonders stark unter Druck stehen…

Wenzel-Teuber: Der Punkt, sich Infiltration zu widersetzen meint insbesondere Religionen mit Wurzeln und Beziehungen ins Ausland, also Christen, Muslime und tibetische Buddhisten. Da will der Staat ausländischen Einfluss und Loyalitätsprobleme vermeiden und das betrifft natürlich auch die katholische Kirche. Illegales zu stoppen ist auch ein weites Feld, meint aber besonders die religiöse Betätigung außerhalb des vom Staat kontrollierten Rahmens.

Mehr Kontrolle von Religion im Internet

RV: China erlaubt religiöse Praxis nur innerhalb der staatlich registrierten Stellen und durch dementsprechendes Personal. Dennoch gibt es in der Volksrepublik ja einen großen Bereich der nicht-offiziellen Religionsausübung, der so genannten Untergrundkirchen. Dazu gehört etwa der Teil der chinesischen Christen, der sich eher dem Papst als Peking verbunden fühlt. Wie will China fortan mit diesem Graubereich umgehen? Bisher griffen Staat und lokale Behörden ja teils rigoros durch, ließen teils aber auch gewähren...

Wenzel-Teuber: Es scheint, dass die Vorschriften darauf abzielen, dass man diesen Graubereich ausschaltet. Das neue Gesetz enthält mehr explizite Verbote, zum Beispiel heißt es in dem alten Gesetz, religiöse Ausbildungsstätten werden von den religiösen Organisationen auf nationaler oder Provinzebene gegründet. Das ist ein positives Gebot. Jetzt heißt es ausdrücklich, keine andere Einzelperson oder Organisation darf eine religiöse Ausbildungsstätte, zum Beispiel ein Priesterseminar, gründen. Solche expliziten Verbote gibt es jetzt viel mehr, es ist also eine deutliche Einengung.

RV: Auch von einer Kontrolle von Spenden aus dem Ausland ist in den Vorschriften die Rede, und von Bußgeldern…

Wenzel-Teuber: Für die Schaffung von Voraussetzungen für rechtswidrige religiöse Aktivitäten zum Beispiel werden solche Bußgelder angeordnet. Es könnte angewendet werden auf Vermieter, die Räume für religiöse Aktivitäten nicht registrierter Gruppen zur Verfügung stellen. Das wird Leute sicher vorsichtiger machen und einen abschreckenden Charakter haben. Dann sind andere Punkte neu aufgenommen worden, die auch wichtig sind, zum Beispiel Internet, das spielte früher noch keine so große Rolle und ist jetzt ein großer Faktor im religiösen Leben. Internetpräsenzen der Religionen müssen genehmigt werden von den Religionsbehörden und die Kontrolle der Finanzen religiöser Gruppen wird enger.

Ein neuer Punkt: Spenden aus dem Ausland von über 100.000 Yuan (etwa 13.000 Euro) sind den Religionsbehörden zur Genehmigung zu melden. Das ist Teil eines größeren Trends, es gibt seit Anfang des Jahres ein neues Gesetz für die Aktivitäten ausländischer NGOs in China, das die Zusammenarbeit zwischen ausländischen und chinesischen Nicht-Regierungseinrichtungen generell erschwert.

Es gibt noch eine Reihe weiterer Punkte, die die Zusammenarbeit mit dem Ausland betreffen. Einer davon ist besonders drastisch: es gibt Strafen im Paragraph 70, wenn ohne Erlaubnis, ohne Autorisierung, Auslandsreisen religiöser Bürger organisiert werden, beispielweise zu Fortbildungen oder Konferenzen. Es gibt aber auch einzelne neue Punkte, die recht sinnvoll sind, zum Beispiel, dass Behörden zukünftig religiöse Bedürfnisse der Bürger bei der Stadtplanung berücksichtigen müssen.

RV: Die Verschärfungen lassen für das ohnehin gespannte Verhältnis zwischen Heiligen Stuhl und Peking nicht gerade Gutes erahnen.. Wie wird sich das auswirken?

Wenzel-Teuber: Der Vatikan wird das sicher zur Kenntnis nehmen. Ich kann noch auf eine Regelung hinweisen, bei der es um die Haftung geht, worin steht, dass religiöser Klerus, der „die Beherrschung durch eine ausländische Kraft akzeptiert und eigenmächtig die Ernennung für ein religiöses Amt durch eine ausländische religiöse Organisation oder Institution annimmt“ mit rechtlichen Konsequenzen zu rechnen hat. Das ist ein Passus, der sich ganz klar gegen die katholische Kirche richtet. Also gegen katholische Priester, die sich vom Papst zum Bischof ernennen lassen, ohne dass das die Regierung vorher erlaubt hat. Diese neuen Vorschriften senden kein positives Signal. Soweit man weiß, ist das Religionsbüro an den Verhandlungen mit dem Vatikan beteiligt, aber das ist sicherlich nicht der einzige Gesprächspartner.

Einigung bei Bischofsweihen unwahrscheinlich

RV: Es gab ja zuletzt Andeutungen, dass sich China und der Vatikan bei der Frage der Bischofsernennungen einigen könnten…

Wenzel-Teuber: Es gab immer wieder Andeutungen, dass da eine Vereinbarung getroffen würde. Das hat man von anderen Stellen gehört, zum Beispiel vom Kardinal John Tong von Hongkong, aber nicht von den Partnern selbst. Es bleiben viele Probleme, zum Beispiel die Frage der sieben Bischöfe, die nicht vom Papst anerkannt sind. Oder die Frage der 30 bis 40 sogenannten Untergrundbischöfe, die von der Regierung nicht anerkannt sind. Es ist völlig unklar, wie man mit denen künftig umgehen will. Es gibt auch keine Anzeichen, dass Peking bereit ist, Bischöfe des sogenannten Untergrunds anzuerkennen, eher im Gegenteil. Der Druck auf Untergrundbischöfe hat deutlich zugenommen.

RV: Kardinal John Tong von Hongkong bezog sich bei seiner sehr positiven Einschätzung unter anderem auf angebliche Treuebekundungen von chinesischen Bischöfen, die von Rom nicht anerkannt sind, an den Papst...

Wenzel-Teuber: Kardinal Tong betonte auch, dass er selbst an den Gesprächen nicht beteiligt gewesen sei, auch die Kirche in China selbst ist nicht beteiligt. Aber eine Voraussetzung dafür, dass nicht anerkannte Bischöfe vom Papst anerkannt werden, ist, dass sie sich in entsprechender Absicht an den Papst wenden. Man hört, dass sie das getan hätten. Es hieß auch, dass bei dreien der Heilige Stuhl bereit sein könnte, sie anzuerkennen. Bei einigen anderen scheint das aber von ihren persönlichen Voraussetzungen sehr schwierig zu sein.

„Druck auf Untergrundbischöfe hat deutlich zugenommen“

RV: Immer wieder kommt es in der Volksrepublik zur Entführung oder Festsetzung von Bischöfen, die nicht dem patriotischen Zuschnitt entsprechen. So etwa zuletzt in Whenzou, wo im Mai der Untergrundbischof Shao Zhumin verschwand. Gibt es Neuigkeiten zu diesem Fall? Welche Rolle spielt der Standort Wenzhou?

Wenzel-Teuber: Man wusste seit Mai 2017 gar nicht, wo er sich aufhält. Jetzt hat er sich um den 11. September über soziale Medien aus einem Pekinger Krankenhaus gemeldet, wo er wohl am Ohr operiert worden ist. Aber ich habe nicht gehört, dass er tatsächlich wieder frei wäre oder in die Diözese hätte zurückkehren können. In Wenzhou ist die evangelische, aber auch die katholische Kirche sehr stark. Vor allem ist dort auch die Gemeinschaft im Untergrund sehr stark. Und er ist ein junger Bischof, der gerade erst nach dem Tod seines Vorgängers die Leitung der Diözese übernommen hat oder hätte übernehmen sollen. Er ist damit jetzt im Untergrund eine wichtige Figur geworden - und gerade solche Persönlichkeiten möchte die Regierung gerne in den Griff bekommen oder ausschalten. Es wurde gemeldet, dass man versucht hat, ihn, als er verschleppt war, zu bearbeiten, dass er entweder der patriotischen Vereinigung beitritt oder Rom dazu drängt, dass ein Koadjutor für ihn ernannt wird, also ein Hilfsbischof als Nachfolger aus der offiziellen Kirche. Man hat es so gedeutet, dass seine Kompetenzen als Leiter der Diözese dadurch beschnitten werden sollen. Ich denke, dass hat schon sehr eng mit den Verhandlungen zu tun.

RV: Im deutschsprachigen Raum ließ zuletzt die Nachricht aufhorchen, dass Chinas Führung dem Benediktinerpater Anselm Grün eine geplante Lesereise in China untersagte. Was hat Peking gegen einen Anselm Grün?

Wenzel-Teuber: Gute Frage. Anselm Grün hatte als möglichen Grund in seinem Statement erwähnt, dass er mal eine Veranstaltung mit dem Dalai Lama gehabt hat… Vielleicht hat man in China aber auch die Sorge, dass er zu viel Zulauf haben könnte. In Taiwan beispielsweise, wo er schon öfter war, ist Anselm Grün extrem populär!

Nutzt China Religion als „Soft Power“?

RV: Xi Jingping spricht ja gern von der „Sinisierung“ der Religionen. Ihm schwebt kein religionsfreies Land vor, aber offensichtlich eine bestimmte Rolle, die die Religionsgemeinschaften spielen sollen. Welche Aufgaben sieht er hier für das Christentum?

Wenzel-Teuber: Grundsätzlich sieht er, das war auch schon im alten China so, eine dienende Rolle der Religionen, unterstützend für die Regierung. Und das Schlagwort der „Sinisierung“ hat einen doppelten Sinn: einmal steht es für Anpassung an die chinesische Kultur, aber dann auch für die Anpassung an die moderne Gesellschaft und damit auch an den Sozialismus. Meine Sorge ist, dass die Regierung stärker als bisher in die religiösen Lehren eingreifen könnte. Bisher hat sie sich mehr darauf konzentriert, die Kirche und die Religionen organisatorisch in den Griff zu bekommen. Die „Sinisierung“ wird jetzt aber in allen Bereichen gefordert, eben auch in der Lehre, in der Moral, in den Regeln der Religionen wird der Aufbau einer sinisierten, inkulturierten Theologie gefordert. Dazu passt, dass in den neuen Vorschriften für religiöse Angelegenheiten die religiösen Ausbildungsstätten ein eigenes Kapitel bekommen haben. Da muss man wirklich sehen, wie die chinesischen Theologen mit den Forderungen, die an sie gerichtet werden, in Zukunft umgehen werden. Inkulturation ist ja durchaus auch ein kirchliches Anliegen seit langem. Doch sollte es natürlich nicht so sein, dass der Staat die Marschrichtung setzt, was Inkulturation ist, sondern es sollte ein freier Prozess aus kirchlicher Sicht sein.

RV: Im Gegensatz dazu wird also etwa der Buddhismus, der in China derzeit starken Zulauf hat, als „chinesischere“ Religion verstanden als das Christentum?

Wenzel-Teuber: Das ist tendenziell richtig. Sinisierung wird in erster Linie von Religionen verlangt, die als ausländisch, aus dem Ausland kommend, empfunden werden. Das sind der Islam und das Christentum. Der Buddhismus ist zwar auch keine einheimische Religion, aber er hat schon seit sehr langer Zeit die chinesische Kultur mitgeprägt und hat sich in China auch sehr stark gewandelt über die Jahrtausende hinweg. Insofern ist das eine etwas andere Rolle, ausgenommen natürlich der tibetische Buddhismus. Und China möchte ihn auch einsetzen für seine Kontakte mit dem Ausland, also Südost- und Ostasien. Buddhismus wird also gerne auch als Vehikel für bessere Beziehungen genommen. China möchte gerne eine Soft Power sein, auch hier sollen Religionen eine Rolle spielen, durchaus auch der Islam. Es besteht von der chinesischen Seite aus zwar eine gewisse Sorge vor extremistischen Tendenzen, aber durchaus auch der Wunsch, die chinesischen Muslime einzusetzen für den Austausch mit arabischen Staaten. Tatsächlich werden nicht alle Religionen gleich bewertet. Es gibt auch eine neue Tendenz, die traditionelle Volksreligion, die offiziell noch keinen planrechtlichen Status hat, viel positiver zu bewerten als das früher der Fall war, als man sie als Aberglaube abgetan hat.

Katholiken hängen Franziskus an den Lippen

RV: Wenn der Papst von China spricht, zeigt er Optimismus und spricht von „guten Beziehungen“, es ist bekannt, dass er gerne ins Land der Mitte reisen würde. Das würde für die gespaltene Kirche dort sicher viel bringen. Aber einmal andersrum gefragt: Könnte ein möglicher Papstbesuch für Peking jemals interessant sein?

Wenzel-Teuber: Ich hatte schon erwähnt, dass China als Global Player jetzt gerne auch als Soft Power kulturell wahrgenommen und ernst genommen werden will, auch im Bereich der Religionen. Da sieht man in China zunehmend, das formulieren auch manche chinesischen Wissenschaftler, dass der Papst und die katholische Kirche eine globale Soft Power darstellen. Vielleicht könnte es sich für Peking unter diesem Aspekt lohnen, gute Beziehungen zum Papst zu pflegen, für das eigene Image. Bis der Papst nach China fahren kann, wird es aber wohl noch eine Weile dauern.

RV: Wie sehen Chinas Christen Papst Franziskus? Was würden sie sich wünschen oder auch von einem eventuellen Besuch erhoffen?

Wenzel-Teuber: Chinas Katholiken sehen die Bemühungen des Papstes um einen Dialog mit der chinesischen Regierung sicher unterschiedlich. Manche sind sehr froh über den Dialog und hoffen, dass er in Bewegung kommt, und andere befürchten, dass der Vatikan, nicht unbedingt der Papst persönlich, zu naiv sein könnte oder zu große Kompromisse eingehen könnte mit der chinesischen Seite. Da steht auch eine gewisse Verunsicherung in Teilen der chinesischen Kirche, die eben nicht direkt in die Gespräche einbezogen ist. Was den Papst persönlich betrifft und seinen Stil, der den Menschen sehr zugewandt ist, ist er unter den Christen in China sehr populär. Es wird sehr viel in den katholischen Medien Chinas über ihn berichtet. Man liest genau, was er schreibt und folgt seinen Aufrufen. Zum Beispiel wurde das Heilige Jahr der Barmherzigkeit in China sehr intensiv in den Diözesen begangen, es gab unzählige Heilige Pforten von der offiziellen wie von der nicht offiziellen Kirche. Über einen Papstbesuch würden sich alle Katholiken sicher sehr freuen.

RV: Frau Wenzel-Teuber, vielen Dank für dieses Gespräch.

(rv 28.09.2017 pr)








All the contents on this site are copyrighted ©.