2017-09-11 10:34:00

Papstmesse in Cartagena: Für einen Frieden von unten


In seiner letzten Ansprache auf kolumbianischem Boden hat Papst Franziskus all denen gedankt, die bei der Organisation seiner Reise geholfen haben. Es seien „intensive und schöne Tage“ gewesen, sagte er am Sonntag in Cartagena. Vor allem aber drehte der Papst das Motto der Reise, nämlich „Machen wir den ersten Schritt“, weiter: „Bleiben wir nicht dabei stehen, den ersten Schritt zu tun, sondern machen wir uns weiterhin täglich zusammen auf den Weg, um dem anderen auf der Suche nach Harmonie und Brüderlichkeit entgegenzugehen!“

Kolumbien, dein Bruder braucht dich!

Franziskus sprach seine Abschiedsworte nach einer Messfeier in Cartagena de Indias, der malerischen Kolonialstadt am Meer, die die UNESCO zum Weltkulturerbe ernannt hat. Diese Stadt, in der einstmals der englische Pirat Francis Drake die spanische Krone herausforderte, spielte nicht nur eine wichtige Rolle bei der Unabhängigkeit Kolumbiens; sie ist auch aus christlicher Sicht wichtig. Denn hier wirkte der heilige Petrus Claver, ein Jesuit, der im 17. Jahrhundert mitten unter Sklaven das Evangelium lebte. Der Papst hatte am Sonntag die Wohnung des Heiligen besucht und erinnerte in seinen Abschiedsworten an ihn.

„Am 8. September 1654 starb genau hier der heilige Petrus Claver. Er hatte vierzig Jahre der freiwilligen Sklaverei, der unermüdlichen Arbeit für die Ärmsten hinter sich. Er blieb nach dem ersten Schritt nicht stehen, es folgten viele weitere. Sein Beispiel hilft uns, aus uns selbst herauszugehen, um dem Nächsten entgegenzugehen. Kolumbien, dein Bruder braucht dich! Geh ihm entgegen und bring ihm die Umarmung des Friedens, frei von aller Gewalt, ,für immer Sklaven des Friedens´.“

„Es war nicht genug, dass sich zwei Parteien annäherten“

Der Einsatz des Pedro Claver y Corberó und anderer Missionare für die Unterdrückten, vor allem für die afroamerikanischen Sklaven, hat Cartagena geprägt: Seit 32 Jahren ist sie auch Kolumbiens Stadt der Menschenrechte. Dieses Thema bestimmte denn auch die Predigt von Franziskus bei seiner Messe im Industriehafen.

„In diesen Tagen habe ich viele Zeugnisse von Personen gehört, die auf jene zugegangen sind, die ihnen Böses getan haben. Furchtbare Verletzungen habe ich an ihren Körpern gesehen; nicht wieder gutzumachende Verluste, über die sie immer noch weinen. Und doch sind diese Menschen losgegangen und haben den ersten Schritt getan auf einer anderen Straße als denen, die schon beschrittenen wurden!“

Von dem Beispiel dieser Einzelnen sollte, so findet der Papst, das ganze Land sich anstecken lassen. „Denn Kolumbien sucht seit Jahrzehnten den Frieden, und es war, wie Jesus lehrt, nicht genug, dass die beiden Parteien sich annäherten und einen Dialog führten. Es war nötig, dass sich viele andere Akteure in diesen Dialog der Wiedergutmachung der Sünden einschalteten.“ Der Friedensvertrag zwischen der kolumbianischen Regierung und den FARC-Rebellen, der letztes Jahr ausgerechnet hier in Cartagena feierlich unterzeichnet wurde, darf also nicht Papier bleiben, sondern sollte, so hofft der Papst, jetzt eine Welle von Versöhnungs-Initiativen auslösen.

„Man kann das Volk nicht umgehen“

Am Volk vorbei lässt sich kein Frieden von oben verordnen – das machte Franziskus deutlich, als er darauf anspielte, dass der Friedensvertrag letztes Jahr bei einer Volksabstimmung zunächst durchgefallen ist. „Wir haben gelernt, dass diese Wege der Versöhnung, des Vorrangs der Vernunft über die Vergeltung, der zerbrechlichen Harmonie zwischen Politik und Recht nicht die Vorgänge im Volk umgehen können. Es genügt nicht, gesetzliche Rahmen und institutionelle Vereinbarungen zwischen politischen und wirtschaftlichen Gruppen guten Willens zu planen.“

 

Dass sich zwei Parteien einigen, ist nur der erste Schritt. Der zweite besteht in der Optik des Papstes darin, „in unsere Friedensprozesse die Erfahrungen von Bereichen einzubeziehen, die vielfach aus dem Blickfeld geraten sind“, also die Menschen am Rand. „Der hauptsächliche Urheber und der historische Träger dieses Prozesses sind die Menschen und ihre Kultur, nicht eine Klasse, eine Fraktion, eine Gruppe, eine Elite. Wir brauchen keinen Plan einiger weniger für einige wenige, oder einer erleuchteten bzw. stellvertretenden Minderheit, die sich ein Kollektiv-Empfinden aneignet. Es geht um ein Abkommen für das Zusammenleben, um eine gesellschaftliche und kulturelle Übereinkunft.“ Anders gesagt: Entweder schließen alle Frieden, oder es ist gar kein Frieden.

„Nichts kann die Begegnung ersetzen“

Eindringlich warb Franziskus darum, dass sich die von fünfzig Jahren Bürgerkrieg verletzten Kolumbianer jetzt begegnen, dass sie über alle Gräben hinweg miteinander ins Gespräch kommen. „Nichts kann diese wiedergutmachende Begegnung ersetzen; kein kollektiver Prozess kann uns von der Herausforderung entbinden, sich zu begegnen, sich auszusprechen und zu verzeihen.“

Natürlich sei es nötig, dass die Verbrechen aus der Zeit des Bürgerkriegs jetzt vor Gericht aufgearbeitet werden; eine entsprechende Justiz ist im Friedensabkommen vorgesehen, allerdings geht das vielen Kolumbianern nicht weit genug, sie sind verbittert darüber, dass viele frühere Rebellen voraussichtlich straffrei ausgehen werden. Der Papst bemühte sich, nicht allzu sehr an diese Empfindlichkeit zu rühren.

„Die tiefen Wunden der Geschichte erfordern notwendigerweise Instanzen, wo Gerechtigkeit walte; wo es den Opfern ermöglicht werde, die Wahrheit zu erfahren; wo der Schaden gebührend wiedergutgemacht werde und wo man eindeutig handeln möge, um eine Wiederholung derartiger Untaten zu vermeiden. Aber mit all dem stehen wir noch an der Schwelle der christlichen Erfordernisse. Uns ist aufgegeben, „von unten her“ einen kulturellen Wandel zu vollbringen: Auf die Kultur des Todes und der Gewalt antworten wir mit der Kultur des Lebens und der Begegnung.“

Für eine „Revolution des Friedens“

Um das zu unterstreichen, zitierte der Papst einmal mehr den kolumbianischen Nobelpreisträger Gabriel García Márquez, den Vater des „magischen Realismus“. Dieser hatte 1998 geschrieben: „Jetzt ist es Zeit zu begreifen, dass man dieses kulturelle Unglück nicht mit Blei und nicht mit Geld beheben kann, sondern mit einer Erziehung zum Frieden … eine legitime Revolution des Friedens, die die immense schöpferische Energie auf das Leben hin kanalisiert; jene Energie, die wir ungefähr zweihundert Jahre lang benutzt haben, um uns zu zerstören…“

Typisch jesuitisch forderte der Papst seine Zuhörer zu einer Gewissenserforschung auf. „Wieviel haben wir zugunsten der Begegnung und des Friedens unternommen? Wieviel haben wir unterlassen, als wir zuließen, dass die Barbarei im Leben unseres Volkes Gestalt annahm?“ Die Kolumbianer sollten einmal über die „Verhaltensmuster“ nachdenken, „die dem Gemeinwesen weh tun und die Gemeinschaft zerstören“. „Wie oft werden Vorgänge der Gewalt und soziale Ausschließung als „normal“ hingenommen, ohne dass sich unsere Stimme erhebt und unsere Hände prophetisch anklagen! Neben dem heiligen Petrus Claver gab es Tausende Christen, viele von ihnen waren Ordensleute … nur eine Handvoll Menschen begann eine Gegenkultur der Begegnung.“

Petrus Claver habe es vermocht, „Hunderttausenden von Schwarzen und von Sklaven wieder Würde und Zuversicht zu geben“. Dabei habe er „keine namhaften akademischen Titel“ besessen und sei vielleicht von nur „mittelmäßiger Begabung“ gewesen. „Er besaß aber den Genius, das Evangelium völlig zu leben und denen zu begegnen, die die anderen nur als Ausschuss betrachteten!“

„Unantastbarkeit jedes menschlichen Lebens“

Die Begegnung der Menschen untereinander führe dazu, dass sie ihre Rechte wieder entdecken und ihr Leben „neu erschaffen“, fuhr der Papst fort. Und er schwenkte vom Friedensprozess hinüber ins Menschenrechtliche allgemein. „Das gemeinsame Haus aller Menschen muss sich weiterhin über dem Fundament eines rechten Verständnisses der universalen Brüderlichkeit und der Achtung der Unantastbarkeit jedes menschlichen Lebens erheben – jedes Mannes und jeder Frau; der Armen, der Alten, der Kinder, der Kranken, der Ungeborenen, der Arbeitslosen, der Verlassenen und derer, die man meint „wegwerfen“ zu können, weil man sie nur als Nummern der einen oder anderen Statistik betrachtet.“

Sichtlich engagiert sprach der Papst dann einige konkrete Plagen Lateinamerikas an: Umweltzerstörung, Ausbeutung, Menschenhandel und Zwangsprostitution, Migrationstragödien, Missbrauch von Minderjährigen, eine Finanzspekulation „mit räuberischen Zügen“. Als er auf den  Drogenhandel zu sprechen kam, wich er, was sonst auf der Reise kaum vorgekommen war, von seinem vorbereiteten Predigttext ab: „Ich denke an das erschütternde Drama der Droge, mit der zum Hohn der moralischen und zivilen Gesetze Gewinn gemacht wird. Dieses Übel verletzt direkt die Würde der menschlichen Person und zerbricht immer mehr das Abbild, das der Schöpfergott in uns hinterlassen hat. Ich verurteile mit Bestimmtheit all jene skrupellosen Menschen, die das Leben anderer Menschen zerstört haben. Man kann nicht mit dem Leben unserer Geschwister spielen, man darf auch nicht ihre Würde manipulieren! Ich rufe dazu auf, eine Art und Weise zu finden, um dem Drogenhandel ein Ende zu machen. Der Drogenhandel sät nur Tod und Zerstörung, vereitelt so viele Hoffnungen und zerreißt ganze Familien.“

Gegen einen Pazifismus der Gleichgültigkeit

Aber auch einen, wie er formulierte, „aseptischen Pazifismus“ verurteilte der Papst – das war etwas überraschend, schließlich wendet er sich immer wieder mit scharfen Worten gegen Kriege und Konflikte. Aber Franziskus erklärte, was er meinte: einen Pazifismus nämlich, der „nicht auf das Fleisch des Bruders oder der Schwester achtet, welches das Fleisch Christi ist“. Eine Haltung also, die eigentlich eher Gleichgültigkeit ist als Pazifismus. „Es ist nicht möglich, in Frieden zusammenzuleben, ohne nichts mit dem zu tun zu haben, was das Leben korrumpiert und es gefährdet.“ Das passt dazu, dass Franziskus während seiner Kolumbienreise mehrfach Soldaten und Sicherheitskräften für ihren jahrzehntelangen Kampf gegen Rebellen gedankt hat.

„Ich bin gewiss, dass wir heute gemeinsam für die Rettung jener beten, die im Irrtum waren, und nicht für ihre Vernichtung; dass wir für die Gerechtigkeit beten und nicht für die Rache, für den Wiederaufbau in der Wahrheit und nicht im Vergessen. Beten wir dafür, dass das Motto dieses Besuchs eingelöst werde: „Machen wir den ersten Schritt!“; und dass dieser erste Schritt in eine gemeinsame Richtung gehe.“ Der erste Schritt führe gewissermaßen auf Christus zu. „Er bittet uns immer, einen entschiedenen und sicheren Schritt hin zu den Brüdern und Schwestern zu machen und dabei auf den Anspruch zu verzichten, Verzeihung zu erlangen, ohne zu verzeihen, und geliebt zu werden, ohne zu lieben.“

Noch einmal die Mahnung des Papstes, trotz allem auf Versöhnung zu setzen: „Wenn Kolumbien einen stabilen und dauerhaften Frieden will, muss es dringend einen Schritt in diese Richtung tun, die jene des Gemeinguts, der Chancengleichheit, der Gerechtigkeit, der Achtung der menschlichen Natur und ihrer Bedürfnisse ist.“ Es gehe darum „die Knoten der Gewalt zu lösen“ – auch wenn diese ein „kompliziertes Knäuel“ seien.

(rv 11.09.2017 sk)








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