2017-08-26 13:06:00

Venezuela: „Die Zivilgesellschaft ist stark"


Es ist eine alarmierende Liste, welche Caritas Internationalis über Venezuela aufstellt: Die Menschen leiden unter Nahrungsmittelknappheit und haben keinen Zugang zu medizinischer Versorgung. 54 Prozent der Kinder sind unterernährt. Hinzu kommt die Bedrohung durch die andauernden gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen der Regierung Nicholas Maduros und seinen politischen Gegnern. Und dabei bleibt es nicht, die Krise in Venezuela verschlimmert sich zusehends.

Auch das diesjährige Katholikentreffen der Bewegung „Comunione e Liberazione“ in Rimini beschäftigt sich mit der aktuellen Situation in dem südamerikanischen Land. Die beiden venezolanischen Aktivisten Alejandro Marius und Sumito Estevez erläuterten die Lage aus der Perspektive der Bevölkerung.

Alejandro Marius ist der Gründer der Gemeinschaft „Trabajo y Persona“; zu Deutsch: „Arbeit und Mensch“. Für ihn ist die Krise in Venezuela weit mehr als nur eine politische oder wirtschaftliche Durststrecke.

„Die Krise in Venezuela ist eine humanitäre Krise, denn es ist eine Krise des Menschen. Die Politik fördert derzeit die Zerstörung des Menschen und das zeigt uns, dass eine schlechte Politik einfach nur unnütz ist. Wir möchten aber eine Politik, die sich wirklich in den Dienst des Menschen, den Dienst des Volkes stellt. Das bedeutet, dass sich verschiedene Akteure daran beteiligen sollten, nicht nur politische Parteien.“

Marius ist da alles andere als pessimistisch. Es gebe durchaus Lichtblicke, fügt er an.

„Was wir bei uns sehen, ist die Rolle der Zivilgesellschaft, die trotz dieser Krise in zahlreichen Initiativen der Solidarität erblüht. Ihre Ziele sind manchmal nicht klar, aber sie sind geprägt von dem Willen, ein Land aufzubauen, das das Gemeinwohl in den Mittelpunkt stellt und das Wohl der Menschen.“

Der Koch, Schriftsteller, Unternehmer und Erzieher Sumito Estevez hingegen sieht eine starke politische, aber keine menschliche Krise. „Sagt man Menschen immer wieder, dass sie Unglück haben, glauben sie am Ende selbst, dass sie zu einem unglücklichen Leben verdammt sind“, meint er. Das venezolanische Volk aber schwanke zwischen dieser Verzweiflung und einem starken Willen zum Wiederaufbau. Die Hoffnung darauf begründe sich auch im christlichen Glauben. So gebe es zahlreiche Projekte, die beispielsweise Gewaltopfer versorgen oder Nahrungsmittel verteilen.

Der Glaube spendet Hoffnung

„Venezuela ist ein Land mit einem Volk, dessen Zivilgesellschaft sich gegen eine Diktatur aufgelehnt hat. Und aus diesem Grund wird unser Land nicht zerstört werden, denn es ist ein Volk, das hart arbeitet.“

Nur der Einsatz der Bevölkerung kann nach Meinung von Alejandro Marius eine Lösung für die hoffnungslos erscheinende Situation darstellen. Es bedarf des Engagements jedes einzelnen Venezolaners und der Zusammenarbeit untereinander. Die Kirche spiele für den Friedensprozess in Venezuela eine bedeutende Rolle – Alejandro Marius vergleicht sie mit „einem Licht in einem schrecklichen Unwetter“. Die Kirche gebe den Menschen eine konkrete Hoffnung; auch, weil sie die Regierung immer wieder zum Dialog auffordere. Estevez:

„So ist es. Es muss eine Form des Dialogs geben, denn es ist eine total polarisierte Gesellschaft mit vielen verschiedenen Gruppen. Aber es ist ein einheitliches Land und wir sind alle Venezolaner. Daher ist es wichtig, dass wir in diesem Moment Anhaltspunkte für den Dialog finden.“

Sustimo Estevez beobachtet, dass Hoffnung und Verzweiflung, Aktivität und die Gefahr, aufzugeben, bei den Venezolanern nah beieinander liegen. „Bei den Demonstrationen in Venezuela wurde ein Junge von der Armee getötet . Und die Mutter, die sehr tiefe christliche Werte hat, wurde im Fernsehen interviewt. Sie sagte zur Verwunderung aller: ,Ich vergebe dem Mörder. Ich fordere Gerechtigkeit, aber ich vergebe dem Mörder.´ Und die ganze venezolanische Gesellschaft sagte daraufhin: ,Das ist eine schlechte Mutter.´ Wie ist es möglich, dass ein katholisches Land eine Mutter beschimpft, die vergeben kann? ,Du verdienst es nicht, Mutter zu sein´, sagen die Leute. Dies zeigt die Spaltung im Land. Für Venezuela sollten die christlichen Werte der Vergebung, wie diese Mutter sie hat, im Mittelpunkt sein.“

Wenig Spielraum für die Zivilgesellschaft

Es ist die Stärke der Zivilgesellschaft, auf die Estevez, ebenso wie Marius, seine Hoffnung setzt. Die Lösung des Konflikts aus eigener Kraft, nicht durch das Eingreifen anderer Mächte wie der USA. Alejandro Marius:

„Das ist kein einfacher oder kurzfristiger Prozess. Aber es ist ein Weg, den wir gehen müssen. Viele Menschen verlassen Venezuela. Es gibt aber auch jene, die dort bleiben, oder jene, die beispielsweise in Italien leben, aber so schnell wie möglich wieder zurückkehren wollen. Wir haben eine Hoffnung aus unserem Glauben heraus, den wir von unseren Eltern geerbt haben und durch die Begegnungen, die wir hatten. Denn wir sehen: Die Realität, so hart und schwierig sie auch schein mag, ist die, die Gott nutzt, um zu dir zu sprechen und um auch in dir die Gaben wiederzuentdecken, die du empfangen hast und dich auszusprechen und an die Arbeit zu machen.“

Marius gibt zu: es gibt wenig Spielraum und Aktionsmöglichkeiten für die Zivilgesellschaft. Dennoch sagt er: „Dranbleiben! Ich mache weiterhin meine Arbeit und setze mich mit Freunden zusammen, die eine ähnliche Arbeit tun wollen. Wir arbeiten zusammen.“

(rv 26.08.2017 jm)








All the contents on this site are copyrighted ©.