2017-08-14 14:16:00

Humanität im Vordergrund? Die CSU und die Flüchtlinge


„Ich habe immer darauf hingewiesen, dass für uns in Bayern an erster Stelle die Humanität steht“. So äußerte sich der bayrische Ministerpräsident Horst Seehofer am vergangenen Samstag zum Thema Asylpolitik. Eine Kehrtwende? Noch im Januar veröffentlichte die CSU einen „Sieben-Punkte-Plan“ zum Thema Asyl. Darin steht unter anderem, Flüchtlinge sollten in den EU-Ländern bleiben, in denen sie ankommen und man wolle sich für mehr Rückführungen einsetzen. Auch von einer „Obergrenze“ ist die Rede.

Der Jesuit Dieter Müller arbeitet in Bayern für den Flüchtlingsdienst seines Ordens und kennt sich aus. Derzeit beanspruchen in Deutschland 512 Personen Kirchenasyl. Dies beruht auf der Akzeptanz des Staates für die uralte kirchliche Tradition, Menschen trotz eines unklaren oder abgelehnten Asylverfahrens Schutz zu gewähren. In Bayern gab es jedoch bis Ende März 19 Ermittlungsverfahren gegen Geistliche wegen des Verdachts auf „Beihilfe zum illegalen Aufenthalt“.

Bei vielen davon handelt es sich um Altfälle, also um bereits abgeschlossene Fälle von Kirchenasyl. Weil plötzlich so flächendeckend gegen Kirchenasyl vorgegangen wurde, vermutet Dieter Müller dahinter die lokalen Ausländerbehörden. Ein neuer Dreipunkteplan kündigt in bestimmten Fällen sogar strafrechtliche Verfolgung an. Eine „Drohgebärde“ gegenüber Pfarrern und Ordensleuten?

Müller: „Bis jetzt wurden alle Ermittlungsverfahren wegen Geringfügigkeit eingestellt. Und vor dem Hintergrund verstehen wir jetzt den Herrn Seehofer so, dass er das auch nicht weiter forcieren, zuspitzen will. Er hat ja gesagt, er möchte den Pfarrern und Pfarrerinnen entgegenkommen; er möchte keinen Sonderweg in Bayern beschreiten. Das verstehen wir so, dass diese Ermittlungsverfahren jetzt wahrscheinlich auch bei Stufe eins bleiben oder in Zukunft weniger eingeleitet werden.“

RV:  Es geht oft um Menschen, die nicht in ihr Herkunftsland, sondern in ein anderes EU-Land, in dem sie zuerst angekommen sind, abgeschoben werden sollen. Können Sie erzählen, in welcher Situation sich die Menschen befinden, die momentan Kirchenasyl in Anspruch nehmen?

Müller: „Das sind überwiegend Menschen, die über einen andern EU-Mitgliedsstaat nach Deutschland eingereist sind. Wir schauen besonders auf die in der Kritik stehenden Mitgliedsstaaten wie Italien, Bulgarien, auch Ungarn, die überlastet sind oder einfach auch unwillig sind und wo die sozialen Bedingungen sehr schlecht sind für Flüchtlinge. Da versuchen wir, das Asylverfahren, wenn es im Einzelfall noch besondere Härten gibt, durch ein Kirchenasyl auf Deutschland zu ziehen. Und Kirchenasyl in diesen Härtefällen hat eben den Sinn, den Betroffenen ein faires Verfahren und sozial verträgliche Standards in Deutschland zu verschaffen.“

RV: Bei der Menge an Menschen, die sich momentan in dieser Situation befinden, sollte man sich nicht auf den Ausnahmefall Kirchenasyl verlassen müssen. Was ist ihr Appell an die Bundesregierung, die bayerische Landesregierung und an die EU?

Müller: „Mein Appell ist natürlich, wie der vieler weiterer Hilfsorganisationen, das Selbsteintrittsrecht im Dublinverfahren großzügig anzuwenden. Das Dublin-Verfahren lässt ja zu, dass Deutschland ein Asylverfahren übernimmt, obwohl eigentlich Italien oder Bulgarien zuständig wäre. Aber sie können ja selbst nachlesen: Italien ist ja schon am Limit.

Italien hat dieses Jahr wahrscheinlich den größten Teil an Flüchtlingen aufzunehmen, seitdem die Mittelmeerroute die einzige ist, nachdem die Balkanroute nicht mehr geht. Italien ist jetzt Zielland Nummer eins und ist wirtschaftlich sicher nicht so stark wie Deutschland. Man könnte natürlich mit einigen Tausend Selbsteintritten bei Dublin-Verfahren Italien hier und da entlasten.

Es geht auch um Länder wie Ungarn oder Bulgarien: Da habe ich weniger Mitleid mit den Ländern selbst, die eine miese Politik gegenüber Flüchtlingen durchsetzen. Aber dies sollte nicht auf dem Rücken der Flüchtlinge ausgetragen werden, indem man sagt: „Na, der muss da jetzt halt hin, der muss es halt aushalten. Und irgendwann ändern sie vielleicht ihre Standards". In diesen Fällen ist einfach geboten, Menschen vor ganz schlechten Bedingungen zu schützen. Es geht hier auch um Gesundheit und um Anerkennungschancen.“

RV: Herr Seehofer hat auch gesagt, die CSU habe Kirchen und andere Gruppen, die sich für Humanität in der Flüchtlingsfrage einsetzen, immer unterstützt. Wie sehen Sie das, unterstützt die Landesregierung Ihre Arbeit ausreichend?

Müller: „Dass die humanitären Aspekte ganz im Vordergrund stehen, das stimmt so nicht. Das ist natürlich Wahlkampfgetöse. Auch im Bereich Afghanistan-Abschiebungen war Bayern nicht gerade ein Bundesland, das sich da sehr zurückgehalten hat. Die Zahl der bayerischen Afghanistan-Flüchtlinge in den Sammelflügen war immer beträchtlich.

Möge Bayern sich tatsächlich so bemühen, wie es der Herr Seehofer gesagt hat; wir werden das prüfen und irgendwann können wir dem vielleicht zustimmen. Aber im Moment zeigt sich noch nicht, dass die Humanität im Vordergrund steht.“

 

Die Fragen stellte Johanna Mack

(rv 15.08.2017 jm)

 








All the contents on this site are copyrighted ©.