2017-08-05 11:38:00

Italien: Kirche nimmt private Seenotretter in Schutz


Die Flüchtlingsfachstelle der Italienischen Bischofskonferenz hat den Einsatz der privaten Seenotretter verteidigt. Diese glichen mit Freiwilligen aus, was eigentlich „Pflicht der europäischen Staaten" wäre, sagt der Generaldirektor der Migrantes-Stiftung, Gianni De Robertis, im Interview mit Radio Vatikan.

Der Fachmann zeigt sich allerdings auch bestürzt über den Skandal, der den privaten deutschen Verein „Jugend Rettet“ umgibt. Er soll sich bei der Rettung von Flüchtlingen im Mittelmeer mit Menschenhändlern abgesprochen haben; dazu ermittelt jetzt in Italien die Staatsanwaltschaft.

„Wenn das, was da behauptet wird, stimmt, ist das etwas sehr Schwerwiegendes. Das muss verhindert und bestraft werden! Es darf uns aber nicht die hervorragende Arbeit vergessen lassen, die viele Freiwillige und viele NGOs leisten, um menschliche Leben zu retten. Wir schulden ihnen Dankbarkeit, denn sie springen für die Staaten der Europäischen Union, die eigentlich diese Arbeit leisten müssten, ein.“

Der „eigentliche, große Skandal“ besteht für De Robertis nicht in den Bemühungen von NGOs, Bootflüchtlingen zwischen Libyen und Italien beizustehen. Stattdessen liege er ganz woanders: „dass nämlich weiter so viele Menschen auf dem Mittelmeer ihr Leben verlieren, auch nach dem Appell von Papst Franziskus bei seinem Besuch auf Lampedusa (im Sommer 2013). Hier liegt der eigentliche, große Skandal: die Gleichgültigkeit und Tatenlosigkeit der EU. Und dass Menschen, die vor Kriegen, Verfolgung und Not flüchten, sich Kriminellen anvertrauen müssen, weil die EU ihnen keine sichere Möglichkeit bietet, sich in Sicherheit zu bringen.“

Im italienischen Sommertheater rund um die Flüchtlinge spielt im Moment ein Verhaltenskodex für NGOs bei der Seenotrettung eine Riesenrolle. Diesen Kodex hat das Innenministerium in Rom formuliert; mehrere NGOs wiederum haben sich geweigert, das Papier zu unterschreiben. Der Fachmann der Italienischen Bischofskonferenz äußert sich dazu abgewogen. „Ich denke, dass es durchaus Regeln geben muss. Man sollte sie nicht in der Emotion des Moments aufstellen, sondern gemeinsam erarbeiten. Noch wichtiger als das Erstellen von Regeln scheint mir allerdings, den Rettern Hilfsmittel in die Hand zu geben. Es ist sicher bewundernswert, was die italienische Küstenwache alles leistet, aber man stattet sie nicht mit genug Mitteln aus, um ihre Pflicht zu tun! So bleibt das, was auch in unserer italienischen Verfassung steht, ein toter Buchstabe. Das sollte uns doch zum Nachdenken bringen.“

Das italienische Parlament hat eine Marinemission in Libyen beschlossen. Sie soll mit der international anerkannten, aber schwachen Regierung in Tripolis zusammenarbeiten und die libysche Küstenwache unterstützen, damit – so der Hintergedanke – die Boote der Mittelmeer-Flüchtlinge gar nicht erst ablegen.

De Robertis ist nicht grundsätzlich gegen eine engere Zusammenarbeit Italiens oder der EU mit Libyen. „Ich bin kein Experte – aber was bei mir von den vielen Berichten von Flüchtlingen, die ich gehört habe, hängen geblieben ist, ist, dass von ihrem ganzen Parcours die Etappe in Libyen regelmäßig die schrecklichste war. Und das, obwohl viele von ihnen die Wüste durchquert hatten, und alle die auch nicht leichte Überfahrt über das Mittelmeer. Aber alle sagen unisono: Die Zeit in Libyen war die schlimmste. Dort haben wir Folter und Übergriffe durchmachen müssen. Das macht mich perplex. Liegt uns wirklich das Leben dieser Menschen am Herzen, oder wollen wir sie einfach nicht hier bei uns haben?“

Es sei doch offensichtlich, dass in Libyen derzeit keine menschenwürdigen Bedingungen für Migranten aus anderen Ländern herrschten. „Sie dort festzuhalten heißt, sie in einem Lager festzuhalten! Welche Garantien gibt es dort für diese Menschen? Menschen, die  vor dem Tod fliehen? Sie finden sich in Libyen womöglich in einer schlimmeren Lage wieder als vorher.“

(rv 05.08.2017 sk)








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