2017-07-29 10:30:00

Reliquienleihgabe: Heilige als „Fürsprecher der Einheit“


Ein „historisches Ereignis“ auf dem Weg zur Einheit der Kirchen: dieses Fazit zieht Kurienkardinal Kurt Koch angesichts der überwältigenden Aufnahme, die russisch-orthodoxe Gläubige den Reliquien des heiligen Nikolaus reserviert haben. Am Freitagnachmittag sind die Gebeine wieder in Bari eingetroffen. Zwei Monate lang waren sie auf Reisen und wurden in verschiedenen russischen Kathedralen ausgestellt. Rund 2,5 Millionen Gläubige nahmen teils stundenlange Schlangen auf sich, um die Reliquien zu verehren. Doch warum üben gerade die Gebeine des Bischofs von Myra auf die russisch-orthodoxen Gläubigen eine derartige Anziehung aus? Das haben wir Hyacinthe Destivelle gefragt, der im Päpstlichen Einheitsrat zuständig für die Ökumene ist und Mitglied der Delegation war, die die Reliquien jetzt wieder nach Bari überführt hat:

„Der heilige Nikolaus ist einer der von den Christen am meisten verehrten Heiligen und das ist wie eine kleine Verbindungsbrücke zwischen dem Westen und dem Osten, denn die Reliquien befanden sich in Kleinasien. Sie wurden dann nach Bari überführt und diese Überbringung ist eine Feier in der russisch-orthodoxen Liturgie. Dann sie in Bari geblieben, bis heute. Ein Drittel der russischen Kirchen sind dem Schutz des heiligen Nikolaus gewidmet und viele Menschen in Russland heißen Nikolaus. Also ist das ein Heiliger, der sehr beliebt ist: In allen orthodoxen Häusern gibt es einen heiligen Nikolaus.“

Auch Schnapsbrenner verehren den Nikolaus

Obwohl über die historische Person des Bischofs von Myra kaum etwas bekannt ist, ist er einer der meistverehrten christlichen Heiligen. Auch katholische Christen verehren ihn als Nothelfer. In Russland gilt er sogar als Schutzpatron des Volkes und ist ein wichtiger Bestandteil der Alltagskultur - sogar Schnapsbrenner empfehlen sich dem besonderen Schutz des Heiligen. Kurios: Das russische Wort für "sich betrinken" - nikolijsja - geht auf den Namen des Bischofs zurück. Die gemeinsame Verehrung über Konfessionsgrenzen hinweg ist ein besonderes Beispiel für die sogenannte „Ökumene der Heiligen“. Seit 930 Jahren befinden sich die Reliquien des heiligen Nikolaus in der nach ihm benannten Basilika in Bari. Händler hatten sie im 11. Jahrhundert in Myra geraubt. 2017 wurden sie zum ersten Mal auf russischem Boden ausgestellt.

Reliquienschenkungen zur Förderung der Ökumene

Die Verleihung der Gebeine nach Russland steht in einer Tradition der gegenseitigen Reliquienschenkungen zwischen Papst Franziskus und dem russisch-orthodoxen Patriarchen Kyrill I., betont der Dominikanerpater Destivelle.

„Als Papst Franziskus den Patriarchen Kyrill in Havanna getroffen hat, hat er ihm Reliquien des heiligen Cyril geschenkt, also des Schutzheiligen des Patriarchen Kyrill, aber das ist ein Heiliger, der beiden Kirchen gemeinsam ist. Und dann hat der Patriarch Papst Franziskus im vergangen September 2016 Reliquien des heiligen Seraphim von Sarov übergeben, der auch im Westen sehr geschätzt und verehrt wird. Es ist ein Heiliger aus dem 19. Jahrhundert. Und dann, zum Geburtstag des Patriarchen Kyrill, im November 2016, wollte der Papst wieder Reliquien schenken. Er hat Reliquien des heiligen Franziskus gewählt. Wir sind also in einer Folge gegenseitigen Austausches. Die Heiligen sind unser gemeinsames spirituelles Erbe, das steht auch in der gemeinsamen Erklärung, die der Papst und der Patriarch unterzeichnet haben. Die Heiligen sind unser gemeinsames Erbe der ungeteilten Kirche des ersten Jahrtausends, und sie sind unsere besten Führer und unsere besten Fürsprecher auf dem Weg der Einheit. Daher war es wichtig, diesem Treffen des Papstes und des Patriarchen eine Fortsetzung folgen zu lassen durch diese Überreichung der Reliquien des heiligen Nikolaus.“

Volksfrömmigkeit und Ökumeneprojekte

Destivelle zeigt sich beeindruckt von der starken Volksfrömmigkeit in Russland. Dass die Reliquienleihgabe nicht nur Geistliche, sondern vor allem viele Gläubige anzog, macht für ihn den besonderen Erfolg der Aktion aus. Die Ökumene zwischen der katholischen und der orthodoxen Kirche könne nicht nur von Geistlichen oder von theologischen Diskussionen ausgehen, sondern müsse vor allem im direkten Kontakt zwischen den Menschen Schritt für Schritt wachsen. In Havanna habe Papst Franziskus den Anstoß zu einer „Kultur der Begegnung“ gegeben. Nicht nur in Bezug auf die gemeinsamen Heiligen wird seitdem an der Ökumene gearbeitet:

„Jedes Jahr – nun zum dritten Mal – schicken wir eine Delegation junger katholischer Priester für zehn Tage nach Russland, die dort die russisch-orthodoxe Kirche und Spiritualität, die russischen heiligen Orte, die unterschiedlichen Abteilungen und Dikasterien des Patriarchats kennenlernen. Genauso laden wir jedes Jahr eine Delegation junger russisch-orthodoxer Priester nach Rom ein, die dort heilige Orte Roms kennenlernen können. Es ist also in erster Linie eine Pilgerreise, aber sie können auch Repräsentanten der Römischen Kurie und des Heiligen Stuhls treffen, um Vorurteile abzubauen. Das ist das Wichtigste bei der Begegnung. Die Begegnung zwischen dem Papst und dem Patriarch soll also allen Gläubigen als Beispiel dienen, sich wirklich zu treffen, in Einheit. Die Einheit wird in kleinen Schritten erfolgen.“

(rv 29.07.2017 jm)








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