2017-07-27 11:41:00

Jemen: „Vielleicht schlimmste humanitäre Lage der Welt“


Gut zwei Jahre nach dem Ausbruch des Bürgerkriegs Ende 2014 ist die humanitäre Lage im Jemen eine der schlimmsten der Welt, sagt Rouven Brunnert, Sprecher des Welternährungsprogramms (WFP). Gemeinsam mit dem UN-Kinderhilfswerk UNICEF und der Weltgesundheitsorganisation (WHO) leistet WFP im Jemen Nothilfe und versucht, eine drohende Hungersnot abzuwenden. Seit April wird die Situation durch eine Cholera-Welle verschärft. Der Exekutivdirektor des Welternährungsprogramms,  David Beasley, ist derzeit im Jemen und verschafft sich einen Überblick über die aktuelle Lage. Rouven Brunnert:

„Von den rund 30 Millionen Einwohnern weiß rund jeder zweite nicht, wie er oder sie am nächsten Tag satt werden soll. Das sind aktuell rund 17 Millionen Menschen, so viele, wie NRW Einwohner hat. David Beasley hat zutiefst bedrückende Bilder gesehen; die Zustände sind chaotisch; der Jemen ist fast vollständig isoliert, wenige Hilfsorganisationen kommen auch nur ins Land. Die Infrastruktur ist weitgehend zerstört, das heißt, das Gesundheitssystem, die Wasserversorgung und die Sanitäranlagen funktionieren nicht. In einigen Regionen herrschen kloakenähnliche Zustände vor, der ideale Nährboden für die seit April grassierende Cholera.“  

In dieser komplexen Situation sei eine enge Zusammenarbeit der drei UN-Organisationen unerlässlich. Brunnert sprich von einem Teufelskreis: Durch die schlechten hygienischen Zustände und den Mangel an Nahrungsmitteln kann sich die Krankheit schnell weiter ausbreiten. Hinzu kommt, dass im Jemen bald die Regenzeit beginnt, was die hygienische Situation weiter verschlechtern könnte.

„Bis vor drei Monaten gab es ja keine Cholera im Jemen, nun gibt es plötzlich 400.000 Verdachtsfälle und bis zu 1900 Menschen, die dieser Krankheit erlegen sind. Also müssen wir uns stetig neu erfinden und abstimmen, um jene zu erreichen, die besonders große Not leiden. Neben den Kranken sind das Frauen, Senioren und Kinder.“

Einen wichtigen Beitrag, so beobachten die Hilfsorganisationen, leisten Jemeniten, die sich ehrenamtlich für die Notleidenden einsetzen. Schätzungsweise 30.000 medizinische Angestellte hätten seit über zehn Monaten kein Gehalt mehr bekommen, gingen aber dennoch täglich ihrer Arbeit in den Krankenhäusern nach.

„Die Bevölkerung ist trotz dieser Leiden eng zusammengerückt und wir sprechen offiziell von 16.000 Jemeniten, die sich selbstlos dieser Krise stellen. Das heißt, sie helfen in Krankenhäusern aus, versuchen, Verletzte, Hungernde in entsprechende Stationen zu schaffen, damit sie versorgt werden. Sie gehen von Haus zu Haus, um die Menschen über neue Entwicklungen zu informieren, denn auch das gesamte Informationssystem ist zusammengebrochen. Dieser Konflikt ist ohne dieses Engagement der vielen, vielen Freiwilligen im Land noch viel schwerer zu bändigen, als er es ohnehin schon ist.“

Beispielsweise kämen dringend benötigte Hilfsmittel wie Nahrungsmittel und Medizin bei den Notleidenden nicht an, sondern müssten von Freiwilligen transportiert werden – die Zerstörung der Infrastruktur mache es aber auch für diese Helfer schwierig, dorthin zu gelangen, wo sie gebraucht werden. Zudem müssen humanitäre Helfer wegen der nach wie vor angespannten Sicherheitslage um ihr Leben fürchten.

Deshalb, meint Brunner, können die Hilfsorganisationen alleine die Situation nicht nachhaltig verbessern. Er appelliert an die Weltgemeinschaft:

„Was wir brauchen, sind politische Lösungen um die Gewalt im Jemen  unverzüglich zu stoppen. Hungernde und Cholerakranke können gerettet werden, wenn Zugänge und Transportwege für die Helfer geschaffen und zusätzliche Gelder bereit gestellt werden. Uns fehlen derzeit rund 300 Millionen Euro, um allein die Hungernden im Jemen bis Jahresende zu versorgen. Auch wenn sie die deutsche Bundesregierung bisher sehr großzügig gezeigt hat, klafft insgesamt ein großes finanzielles Loch.“

(rv 27.07.2017)








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