2017-07-23 08:00:00

Buchtipp: „Die neue Völkerwanderung"


Mit einem „Marshall-Plan für Afrika“ wollen die Vereinten Nationen die Entwicklung auf dem afrikanischen Kontinent vorantreiben – und nicht zuletzt die aktuellen Migrationsbewegungen von Afrika nach Europa verringern. „Ich bin sozusagen der Asylant, wie er im Buche steht“, sagte der äthiopisch-deutsche Prinz und Bestsellerautor Dr. Asfa-Wossen im Interview mit dem Medienportal Ken.FM. Und aus dieser besonderen Perspektive schreibt er in seinem Buch „Die neue Völkerwanderung“, wie es zu den himmelschreienden Umständen kam, die so viele Afrikaner in die Flucht treiben.

In den siebziger Jahren kam Prinz Asfa-Wossen Asserate, Großneffe des letzten äthiopischen Kaisers Haile Selassie, zum Studium nach Deutschland. Bei einem Putsch im Jahr 1974 wurde sein Vater getötet und die Familie verhaftet. An eine Rückkehr nach Äthiopien war nicht mehr zu denken. Asfa-Wossen bekam Asyl und wurde zu einem Unternehmensberater, Bestsellerautor und politischen Analisten, der mit einem feinsinnigen Blick „von außen“ deutsche Wesensarten aufdeckt und entschlüsselt. In seinen Büchern verweist er die Vorstellung, die westliche Zivilisation sei die einzige und überlegene, höflich aber bestimmt in ihre Schranken und greift auf einen immensen Wissensschatz zurück, der ihm erlaubt, aktuelle Phänomene im Kontext historischer, kulturgeschichtlicher, wirtschaftlicher und philosophischer Zusammenhänge zu erklären.

Selbstredend, dass der Exil-Äthioper bei den aktuellen Diskussionen über eine sogenannte „Flüchtlingskrise“ nicht stumm bleiben kann. Polemik, Verallgemeinerung und Unwissen setzt er eine umfassende Analyse der Gründe entgegen, aus denen Menschen ihre afrikanischen Heimatländer verlassen müssen. Eine Perspektive, die in den europäischen Medien konsequent vernachlässigt wird. Der Untertitel des Buches „Wer Europa bewahren will, muss Afrika retten“ trifft einen Reiznerv der aktuellen Debatte, die eher von der Angst vor einem „Überranntwerden“ Europas bestimmt zu sein scheint als von der Sorge über das Schicksal der Flüchtenden.

Das Buch steigt mit einem unrühmlichen Kapitel der europäisch- afrikanischen Beziehungen ein: dem Zeitalter der Kolonalisierung. Asfa-Wossen erinnert unter anderem an den Völkermord, den die Deutschen an den Herero in Namibia begingen, und an die unvergleichlichen Grausamkeiten in Belgisch-Kongo, die das Land in eine bis heute andauernde Instabilität stürzten. Er erklärt die Geisteshaltungen, die dahinterstehen: Überlegenheitsgefühle, Rassismus, aggressive Missionierung und Profitgier. Trotz der Unabhängigkeit prägt vor allem das Bestreben, sich selbst zu bereichern, noch immer die postkoloniale Afrikapolitik, meint der Autor. Wie kann es sein, fragt er, dass dieser an Bodenschätzen und landwirtschaftlichen Erzeugnissen so reiche Kontinent zugleich so arm ist? Hier verzichtet Asfa-Wossen Asserate auf „schwarz-weiße“ Schuldzuweisungen. Er prangert korrupte Regierungschefs ebenso an wie die europäische Subventions- und Dumpingpolitik. Die Einfuhr von billigem Tomatenmark aus Italien raube beispielsweise zahlreichen Bauern in Ghana die Lebensgrundlage und zwinge sie zur Migration. In Italien verdingten sie sich dann – oft ohne Papiere – als billige Arbeiter in der Landwirtschaft und ernteten zum Beispiel die Tomaten, die später in ihre Heimat geschickt wurden. Könnte ein „Marshall-Plan“ solche wirtschaftlichen Teufelskreise aufheben?

Beim AfroRuhr-Festival am 1. Juli in Dortmund erklärte Asfa-Wossen, dass sich seine Vermutung aus 2016, wonach die Zahlen afrikanischer Immigranten steigen werde, bewahrheitet hat. Bezüglich eines „Marshall-Plans für Afrika“ appellierte er an afrikanische Staaten, nicht in der Opferrolle der einst kolonialisierten Länder zu verharren. Sie sollten als gleichberechtigte Partner an der Entwicklung Afrikas mitwirken, glaubwürdig und nicht nach dem Motto: „Ihr tut so, als würdet ihr uns helfen und wir tun so, als würden wir uns entwickeln“. Gegen korrupte Regierungen in Afrika müsse es konsequente Wirtschaftssanktionen von europäischer Seite geben. Allerdings: „Wenn Deutschland die Kooperation mit einem afrikanischen Staatschef beenden würde, weil er die Menschenrechte verletzt, würde am nächsten Tag Frankreich mit genau diesem Land das Geschäft des Lebens machen“, so Asfa-Wossen. Deshalb brauche es in der Afrikapolitik eine gemeinsame europäische Richtlinie. Der Autor des Buches „Die neue Völkerwanderung“ vertritt eine klare Aufforderung: Die europäischen Staatschefs müssen ihre Afrikapolitik grundlegend ändern - sonst würden die Afrikaner „mit den Füßen abstimmen“, prophezeiht der Äthiopier: Es stünden dann demnächst nicht mehr Tausende, sondern Millionen Flüchtlinge an den Grenzen Europas. Auch schärfere Grenzkontrollen könnten diese Menschen nicht abhalten.

Die Angaben zum Buch: Asfa-Wossen Asserate, „Die neue Völkerwanderung. Wer Europa bewahren will, muss Afrika retten“, erschienen 2016 im Berliner Propyläen Verlag. Preis der gebundenen Ausgabe: 20 €, E-Book: 18 €.

(rv 19.07.2017 jm)








All the contents on this site are copyrighted ©.