2017-07-20 12:51:00

Polen: „Justizreform ist leider katholisch konnotiert“


In Europa wächst die Sorge über den Reformkurs Polens. Die rechtskonservative Regierungspartei PiS hat an diesem Donnerstag ein umstrittenes Gesetz verabschiedet, mit dem der Oberste Gerichtshof des Landes unter Regierungskontrolle gestellt werden soll. Kernpunkt der angestrebten Reform ist die Auswahl von Richtern, sie sollen künftig von Parlament und Regierung bestimmt werden. Zudem würden alle Richter am polnischen Höchstgericht gesammelt in den Ruhestand versetzt. Die Präsidentin des Obersten Gerichtshofs äußerte sich in diesem Zug enttäuscht über die katholische Kirche in ihrem Land. Die Kirche habe Einfluss und könne etwas erreichen, stehe aber auf der Seite der PiS, erklärte Gerichtspräsidentin Malgorzata Gersdorf in der „Süddeutschen Zeitung".  Deswegen habe die Kirche bisher nichts gesagt und werde auch in Zukunft nichts sagen.

Die Opposition in Polen, aber auch europäische Beobachter sehen eine ernste Gefahr für die Demokratie in Polen. Kritisch zur Justizreform äußert sich im Gespräch mit dem Kölner Domradio auch der katholische Publizist und Politikwissenschaftler Andreas Püttmann.

Püttmann: „Die Unabhängigkeit der Justiz und damit die Gewaltenteilung und der Primat des Rechts stehen zur Disposition. Demokratie verstehen wir ja nicht einfach als unbeschränkte Mehrheitsherrschaft – also der Mehrheit des Volkes über die Minderheit des Volkes, sondern als Herrschaft des ganzen Volkes. Das heißt immer: Es muss einen Minderheitenschutz und eine effektive Kontrolle der gerade Regierenden geben.

Es gibt ja den Spruch ,Macht korrumpiert – und absolute Macht korrumpiert absolut'. Wenn sich hier die Mehrheit in einer Selbstermächtigung die Mittel zum ,Durchregieren' verschafft, indem sie eine unabhängige Justiz ausschaltet und selbst die Richter beruft – und das auch noch mit einfacher Mehrheit, so wie es im Moment geplant ist -, dann verliert Polen die Kontrolle der Regierung durch die ,dritte Gewalt', übrigens auch in der Frage der Rechtmäßigkeit von Wahlen. Würde eine Wahl angefochten, entschieden PiS-treue Richter darüber. Das ist schon sehr brisant.“

DR: Die Politikwissenschaftlerin und Politikerin Gesine Schwan sieht wegen dieser geplanten neuen Gesetze Polens Demokratie in Gefahr. Teilen Sie diese Einschätzung?

Püttmann: Ja, weil wir Demokratie ohne Rechtsstaat nicht denken können. Sie würde dann zu einer Tyrannei der Mehrheit und praktisch schließlich einer Clique oder eines Autokraten an den Schalthebeln der Macht. Wir kennen keine echten Rechtsstaaten ohne Demokratie. Aber auch eine Demokratie ohne Rechtsstaat würde das Leben vieler Menschen verschlechtern und sie in die Unfreiheit führen. Man weiß dann auch nicht mehr, ob die nächsten Wahlen nicht gefälscht werden.

DR: Staatschef Duda hat sich überraschend eingemischt und sein Veto angedroht. Die Justiz müsse zwar reformiert werden, aber sie müsse vernünftig reformiert werden. Er gilt ja eigentlich als Freund der PiS-Regierung. Warum jetzt wohl dieser Schritt?

Püttmann: Da gibt es verschiedene denkbare Motive. Zum einen kann es ein abgekartetes Spiel sein zur Befriedung der Gesellschaft. Wenn man den Gegnern das Gefühl gibt, zumindest das Schlimmste verhindert zu haben, trägt das natürlich zum Rechtsfrieden bei. So ist es durchaus denkbar, dass man sich in der PiS gesagt hat: Wir stellen erst einmal Maximalforderungen in den Raum. Dann wird es sicherlich Empörung geben. Und danach kann unser Präsident sich profilieren, indem er wieder einen Schritt zurückgeht. So lassen sich die Gemüter besänftigen.

Das zweite Motiv berücksichtigt, dass die Europäische Union hier nochmals provoziert und regelrecht gedemütigt wird. Dass man also durch Konzessionen den Widerstand aus Europa dämpfen will. Es kann aber auch sein, dass man Sorge hat, den Bogen zu überspannen und wirkliche Massenproteste hervorzurufen. Die optimistischste Interpretation wäre, dass Duda wirklich Einsicht hat und einen Rest von rechtlichem Denken. Vielleicht ist es auch eine Mischung aus allem.

DR: Sie sagen: Dieser Streit um die nationale Justiz sei „katholisch konnotiert“. Was meinen Sie damit?

Püttmann: „Die PiS beruft sich immer wieder auf Werte. Kaczyński stellt die Richter als eine morallose Bande hin, die von alten Kräften aus kommunistischer Zeit gesteuert werde. Eine selbst definierte Wahrheit wird zum Maßstab dafür erhoben, ob eine andere Verfassungsgewalt gut funktioniert. Man selbst fühlt sich als Hort der Wahrheit und der Moral.

Darin steckt strukturell durchaus etwas Katholisches: Denn nach dem vorkonziliaren katholischen Staatsdenken war ein guter Staat der, der „katholische Gesetze“ beschloss. Und sobald er das nicht mehr tat, war er ein schlechter Staat. Diese Logik haben wir jetzt noch bei den Piusbrüdern. Das geht in Richtung Integralismus, also einer Vermengung von geistlicher und weltlicher Herrschaft. Und nach dieser Auffassung geschieht Legitimation nicht durch ein geordnetes Verfahren, sondern durch die Übereinstimmung der politischen Ergebnisse mit einer höheren Wahrheit, die man selbst verkörpert.

Das hat leider katholische Tradition, wie man sie etwa im 19. Jahrhundert findet, als die Päpste gegen Demokratie und Menschenrechte wetterten und die Devise verfolgten: Keine Freiheit für den Irrtum! In dieser Tradition befinden sich Herr Kaczyński und seine politischen Freunde.“

(Domradio, 20.07.2017 gs)








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