2017-07-19 13:18:00

Pater Zollner: Missbrauchsopfer brauchen das Gespräch


Kardinal Gerhard Ludwig Müller sollte mit den ehemaligen Domspatzen sprechen, die Missbrauch erlitten haben. Diese Auffassung vertritt der Missbrauchsexperte und vatikanische „Kinderschutzbeauftragte“, Jesuitenpater Hans Zollner, im Gespräch mit Radio Vatikan. Als der Missbrauchsskandal in dem weltberühmten Knabenchor 2010 bekannt geworden war, hatte der damalige Regensburger Bischof eine Aufarbeitung auf den Weg gebracht. Opfervertreter hatten in der Folgezeit jedoch beklagt, nicht angehört worden zu sein und erfolglos um Gespräche mit Müller gebeten.

Die Erfahrung mit Missbrauchsopfern lehre ihn, führt Pater Zollner im Interview mit Radio Vatikan aus, dass das Gespräch mit Verantwortungsträgern eine heilende Wirkung habe, von der viel Gutes ausgehe: „Die Betroffenen von Missbrauch wünschen in erster Linie, dass sie angehört werden. Das ist das Allererste und Allerwichtigste, und für manche auch so wichtig, dass sie darüber hinaus andere Dinge wie Therapien oder Entschädigungszahlungen für sich selbst gar nicht wirklich als eine entscheidende Geste ansehen - sondern es dabei belassen, wenn sie wirklich einmal angehört werden. Das ist etwas, was ich jedem Bischof oder Provinzial bei den Fortbildungen, die ich immer wieder halte, sage und sehr ans Herz lege.“

Man müsse sich der Sicht des anderen, seiner Wut, seinem Ärger, aber auch seinen Tränen und seiner Verletztheit aussetzen, meint Pater Zollner. „Da kann dann manchmal auch so viel Gutes geschehen, dass Wege zu einer Heilung sich wenigstens auftun – was dann weiter geschieht, das liegt nicht in unserer Macht.“

Es sei erschütternd, festzustellen, wie systemisch und systematisch der körperliche und sexuelle Missbrauch bei den Regensburger Domspatzen etabliert gewesen sei, nimmt Pater Zollner Bezug auf den Bericht des Anwalts Michael Weber, der an diesem Dienstag seinen Abschlussbericht zur Aufarbeitung eines der größten Missbrauchsskandale in Deutschland überhaupt vorgestellt hatte. Er selbst stamme aus Regensburg, betonte der Pater, und habe indirekt den Druck gespürt, unter dem die Kinder bei den Domspatzen gestanden seien:

„Der Chor war damals, als ich selbst aufgewachsen bin, sicherlich das Aushängeschild der Stadt und der Region. Darauf wurde sehr viel Wert gelegt, und es verschaffte hohes Ansehen, wenn jemand in diesen Chor und in diese Schule gehen konnte, vor allem in den Ersten Chor. Ich habe das selbst erlebt, weil ich Klassenkameraden hatte, die nach der Volksschule zu den Domspatzen gegangen sind. Ich habe gespürt, wie stark sie dem Druck ausgesetzt waren, vom Dritten in den Zweiten und dann in den Ersten Chor zu kommen. Das war halt auch der Chor, der dann auf Reisen ging und Schallplatten und CDs produziert hat. Da wurde so ein Druck aufgebaut, der sich entladen hat, wenn auch nur das Kleinste schiefging… also das Elitedenken, der Korpsgeist, der dort vorhanden war, das ist doch sehr übersteigert gewesen und hatte, wie man das heute sagen würde, sicherlich pathologische Elemente.“

Die Einstellung ungeeigneten pädagogischen Personals, Abhängigkeitsverhältnisse und mangelnde staatliche Kontrolle, aber auch das Ausbleiben von Anzeigen durch Eltern, die von den Zuständen gewusst haben müssen, habe es möglich gemacht, dass der Missbrauch so lange ungeahndet geblieben ist. Doch Zurücklehnen in der Überzeugung, all dies sei heute nicht mehr möglich, das gelte mit Blick auf die Zahlen von Missbrauchsanzeigen in Deutschland nicht, meint Pater Zollner:

„Wenn man weiß, was in Deutschland an Missbrauchs- und Misshandlungsfällen allein im letzten Jahr, 2016, angezeigt worden ist, nämlich 12.000, dann ist das eine so große Zahl, so abstrakt, dass man es irgendwie gar nicht begreift, dass hinter jedem der so genannten Fälle ein oder mehrere Menschen stehen, wo unglaubliches Leid geschieht; und zwar sowohl in Institutionen als auch im familiären Umfeld. Und da muss die Gesellschaft als Ganze auch den Willen haben, sich mit diesen Schicksalen wirklich auseinanderzusetzen.“

Die Diözese Regensburg leiste seiner Einschätzung nach gute Arbeit bei der Aufarbeitung der Missbrauchsfälle in ihren eigenen Reihen und nehme damit auch in Deutschland sicherlich eine Vorreiterrolle ein, betont der Fachmann. Auch die Kirche in Deutschland als Ganzes habe mit der Einrichtung von Präventionsbeauftragten, der Schulung von Personal und der Erstellung strenger Leitlinien schon viel getan. Anderes bleibe aber auch noch zu tun, unterstricht der Jesuit weiter.

„Ich bin überzeugt, dass diese Art von Nachrichten uns motivieren sollte, dass so etwas, soweit es menschenmöglich verhinderbar ist, nicht mehr vorkommt. Und dazu müssen wir Personen schulen, dazu müssen wir Strukturen verändern und dazu müssen wir vor allem auch schauen, dass das, was gesagt und geschrieben wird, in den Gesetzen, den Normen und Leitlinien, tatsächlich auch umgesetzt wird und nicht nur auf dem Papier bleibt.“

Zur Person: Jesuitenpater Hans Zollner lehrt an der Päpstlichen Universität Greogoriana in Rom. Er gilt als einer der führenden kirchlichen Fachleute auf dem Gebiet des Sexuellen Missbrauchs in der römisch-katholischen Kirche. Seit 2014 ist er Mitglied der Päpstlichen Kommission für den Schutz von Minderjährigen und Leiter des „Centre for Child Protection“ (CCP) mit Sitz in Rom. Er ist auch für die Bundesregierung in Fragen des Sexuellen Kindesmissbrauchs beratend tätig. 

(rv 19.07.2017 cs)








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