2017-07-15 14:22:00

„Stärkung des Grenzschutzes lenkt von wahren Problemen ab“


Am Donnerstag haben Rettungsschiffe vor der libyschen Küste erneut an die 1.000 Flüchtlinge gerettet, darunter viele Kindern und mehrer schwangere Frauen. Sie wurden nach Italien gebracht. Mehr als 85.000 Flüchtlinge erreichten im ersten Halbjahr 2017 Italien über das Mittelmeer – für das Land eine kaum zu bewältigende Herausforderung. Doch bei der Aufnahme von Bootsflüchtlingen steht Italien allein auf weiter Flur: Die anderen europäischen Staaten weigern sich, die Schiffe, die die Flüchtlinge auf dem Meer aufgelesen haben, in ihre Häfen einlaufen zu lassen. Das geht aus einem Statement des Direktors der Europäischen Grenzschutzorganisation Frontex, Fabrice Leggeri, am Rande seiner Anhörung im Europaparlament in Straßburg an diesem Mittwoch hervor. Erst am Dienstag hatte er an dem großen Frontex-Treffen in Warschau teilgenommen. Dort diskutierten Repräsentanten der EU-Mitgliedsländer, wie Italien bei dieser Aufgabe entlastet werden könnte.

Frontex ist für den Schutz der EU-Außengrenzen zuständig. Im Mittelmeer agiert die Agentur mit der Operation Triton, deren Hauptziel Grenzschutz und -bewachung ist. Triton löste 2014 die italienische Seerettungs-Operation Mare Nostrum ab, die zwischen 2013 und 2014 130.000 Flüchtlinge vor dem Ertrinken rettete. Da sich andere europäische Staaten damals weigerten, nötige Finanzmittel zur Verfügung zu stellen und Mare Nostrum in eine europäische Seerettungsoperation zu überführen, beendete Italien die Operation. Daraufhin rief Frontex die Operation Triton, benannt nach dem altgriechischen Meeresgott, ins Leben. Für Triton wurde allerdings von der EU mit 2,8 Millionen nur ein Drittel der Finanzmittel eingeplant, die Italien für Mare Nostrum ausgab. Außerdem wurde das Einsatzgebiet verkleinert: Während Mare Nostrum das ganze Gebiet bis Libyen abdeckte, agiert Triton nur in der Nähe der italienischen Küste. Menschenrechtsorganisationen wie ProAsyl und Amnesty International kritisieren, dass dadurch das Ertrinken von  mehr Menschen im Mittelmeer in Kauf genommen werde

Die x-te Ankündigung

Die Ergebnisse des aktuellen Gipfels haben in Italien Enttäuschung und Ärger ausgelöst: Anstatt der erhofften Solidarität bei der Aufnahme von Flüchtlingen und lebensrettenden Maßnahmen im Mittelmeer konnten sich die Länder vor allem auf eine Stärkung von Triton und der Zusammenarbeit bei Rückführungsmaßnamen verständigen.

Rettungsmaßnahmen von Nichtregierungsorganisationen nahe der lybischen Küste könnten in Zukunft hingegen unterbunden werden. Diese fürchten nun, dass damit das Leben Tausender Flüchtlinge auf dem Spiel steht. Olivero Forti ist bei Caritas Italien für das Thema Migration verantwortlich, er beschreibt im Gespräch mit Radio Vatikan die Stärkung des Grenzschutzes als Ablenken von den wahren Problemen.

„Die Stärkung von Frontex riskiert, die x-ste Ankündigung möglicher Lösungen zu werden, die dann tatsächlich nicht eintreffen. Die wahren Probleme haben wir sehr klar vor Augen, aber es fehlt der Mut, sie anzugehen. Das ist natürlich die Umverteilung der Menschen, die in Italien, Griechenland und anderen europäischen Ländern ankommen; aber da scheint mir die Botschaft sehr klar zu sein: Keiner kann andere Länder außer Italien erreichen.“

Statt operativer Lösungen müssten nun endlich politische Lösungen auf den Tisch, meint der Caritas-Fachmann. Denn die Öffnung von Häfen könne nur durch die Regierungen in den betreffenden Ländern geschehen.

Neue Regeln für NGOs könnten zu mehr Toten führen

Ein weiterer Punkt der Frontex-Beratungen: Neue Verhaltensregeln für Nichtregierungsorganisationen zu erstellen. Derzeit werden rund 40% der Seerettungen im Mittelmeer von Nichtregierungsorganisationen übernommen. Der neue Verhaltenskodex sieht nun vor, dass zivile Seenotrettungsorganistionen sich nicht mehr in libysche Gewässer begeben dürfen. Sie dürfen keine Lichtsignale mehr nutzen, so dass Boote in Seenot sie schwerer erkennen können, und keinen telefonischen Kontakt zu diesen aufbauen. Anstatt die Geretteten auf andere Boote zu überführen, die sie dann an sichere Küsten bringen, müssen die Rettungsboote die Flüchtlinge nun selbst in einen Hafen transportieren. „Das würde wichtige Rettungskapazitäten für längere Zeit aus den Einsatzgebieten abziehen, in denen ihre Präsenz dringend benötigt wird“, kritisiert ProAsyl. Außerdem hat die Polizei nun das Recht, auf den Rettungsbooten Kontrollen durchzuführen und die NGOs müssen alle ermittlungsrelevanten Informationen an die italienischen Behörden übergeben. Diese Verhaltensregeln könnten für weitere Tote sorgen, mahnen Vertreter der Organisationen. Olivero Forti:

„Ein neuer Verhaltenskodex kann die Lage für Nichtregierungsorganisationen nur verschlechtern. Denn derzeit besteht eine gute Koordinierung zwischen den Behörden, Nichtregierungsorganisationen und der Küstenwache. Und das führt zu dem, was wir heute vor Augen haben: Viele Rettungen auf See, steigende Ankunftszahlen von Flüchtlingen. Und wenn nun die Absicht hinter dem Kodex ist, weniger dieser Menschen in Italien ankommen zu lassen, dann sollte das klar gesagt werden.“

Keine wirkliche Lösung in Sicht

Es sei nur allzu offensichtlich, so betont der Caritas-Verantwortliche, dass eine Erschwerung der Arbeit von Nichtregierungsorganisationen Sand in dieses Getriebe werfen – und somit stillschweigend das Ertrinken von mehr Menschen akzeptieren würde.

“Es ist klar, dass das Themen sind, für die es keine alleinige Lösung gibt, sondern verschiedene Mittel, sie anzugehen. Und jedes hat starke Schwächen. Von den Seerettungen zum Thema der Häfen bis zur Umsiedlung von Flüchtlingen und der Zusammenarbeit mit Libyen; es scheint so, als ob es für keines der vielen großen Themen, die mit Migration zusammenhängen, wirklich eine Lösung gäbe…“

(rv 15.07.2017 cs/jm)








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