2017-07-14 08:00:00

Gedenken an Terroropfer von Nizza: Vergebung braucht Zeit


In Nizza gedenken in diesen Tagen Christen wie Muslime der Opfer des Terroranschlags vom 14. Juli 2016. Bei der Attacke eines islamistischen Attentäters auf der Strandpromenade der französischen Hafenstadt vor genau einem Jahr kamen 86 Menschen ums Leben.

Im Rahmen eines „Marsches gegen den Terror“ machen 60 europäische Imame Halt in Nizza und demonstrieren für den Frieden. Unter dem Motto „Nicht in unserem Namen“ distanzieren sie sich mit der Aktion vom Extremismus und reisen dafür in alle europäischen Städte, in denen es in den letzten Jahren Anschläge gegeben hat. In der Kirche Saint-Pierre d’Arène entsteht ein Kunstprojekt zum Andenken an die Opfer: Künstler dekorieren die großen Flügeltüren des Gebäudes innen mit Bildern und außen mit Skulpturen.

Yves-Marie Lequin ist Dominikaner und Vikar der Kirche Saint-Pierre d'Arène in Nizza. Der Anschlag vom 14. Juli 2016 sei im vergangenen Jahr ständig Thema gewesen, sagt er im Interview mit Radio Vatikan. Man gedenke der Toten, aber auch derer, die traumatisiert seien oder Angehörige verloren hätten. Auch ein Jahr nach dem traumatischen Ereignis stehe die psychologische Begleitung der Betroffenen im Zentrum. Erste Schritte der Trauerarbeit seien getan, für Vergebung sei es allerdings noch zu früh, stellt Lequin fest:

„Das ist ein sehr, sehr, sehr langer Weg. Ich denke, man kann den Leuten vorschlagen, erste Schritte zu gehen auf dem Weg zu einer Vergebung, die wirklich sehr schwierig ist. Wir können den Verlust menschlichen Lebens ja nicht entschuldigen. Wir können die Menschen dazu einladen, sich auf diesen Weg zu machen, aber es ist ein schwieriger Weg, der oft nur über eine Art von Revolte funktioniert, die bei den Leuten aber manchmal noch nicht einmal präsent ist.“

Mit „Revolte“ meint der Seelsorger den notwendigen Durchgang auch durch Gefühle der Wut. Die Betroffenen finden seiner Beobachtung nach aber nur schwer einen Ausweg aus ihrer Apathie – sie seien im Prozess der Trauerarbeit blockiert, fragten ratlos: „Was sollen wir jetzt tun?“ Trotz der Schwierigkeiten im Prozess der Trauerarbeit glaubt Lequin, dass die Menschen in Nizza sich nicht geschlagen geben und gemeinsam dafür kämpfen, in ihr normales Leben zurückzufinden.

„Ich setze eine sehr große Hoffnung in die Menschlichkeit. Denn ich nehme wahr, dass die Personen, die ich treffe, in der Mehrheit erstmal handeln möchten – das Leben hört ja nicht auf, sie möchten weiter machen. Einige haben ein Kind verloren, aber es gibt noch den Rest der Familie und die kümmert sich um sie. Man sorgt sich sehr umeinander. Ich würde sagen, das war von Anfang an so. Ein wirklich wunderbares Bild, das ich immer noch vor Augen habe, ist diese Familie, die ich nach Rom begleitet habe, als wir Papst Franziskus besucht haben. Und wie diese französische, christliche Familie am Flughafen zu der muslimischen Familie gegangen ist, die neben ihnen war, um ihre Schmerzen miteinander zu teilen. Und ich glaube, diese Haltung gibt es bis heute. Die Leute verurteilen nicht eine bestimmte Person oder Gruppe.“

Lequin betont, wie wichtig gerade in dieser Situation auch der interreligiöse Dialog sei. So hätten Muslime, Juden und Christen sich gegenseitig zu ihren jeweiligen Beerdigungsriten eingeladen und einander mit Gebeten unterstützt. Die Erinnerung an das gemeinsame Leid nach dem Attentat, bei dem auch 30 Muslime umgekommen sind, vereine die großen Religionen, so der Vikar aus Nizza. Auch der gemeinsame Besuch beim Papst in Rom habe das Gemeinschaftsgefühl gestärkt und vielen Menschen einen Anstoß gegeben, neu zu hoffen.

„Der Moment, in dem wir Papst Franziskus getroffen haben, war außergewöhnlich. Die Angehörigen der Anschlagsopfer sprechen bis heute davon. Dieser Moment hat sie aufatmen lassen, was ihnen bisher nicht möglich war. All die staatlichen Würdigungen hatten ihren Wert, aber sie tragen nicht diese Spiritualität in sich, die Papst Franziskus in diesem Moment nicht nur repräsentierte, sondern lebte. Das hat sie am meisten berührt: Dass der Papst ihnen nicht mit einer formellen Geste begegnet ist, die man eben machen muss, sondern sie zum Beispiel berührte. Dass der Papst schon eine Viertelstunde früher zu dem Treffen kam, dass er jedem Einzelnen Zeit schenkte. Jeder hatte seinen Moment mit Papst Franziskus. Er ist bis zum Ende geblieben, er hat jedem zugehört – das hat sie wirklich überwältigt.“

Begegnungen wie die mit dem Papst seien wesentlich für die Trauerarbeit, so der französische Geistliche weiter. Nach dem Anschlag in Nizza würde sich Lequin allerdings insgesamt noch mehr Zusammenhalt der Menschen wünschen - er sehe an vielen Stellen auch Spannungen und Spaltungen. Auch vor diesem Hintergrund sei das gemeinsame Gedenken wichtig.

Anlässlich des ersten Jahrestags des Terroranschlags gibt es am 14. Juli eine Militärparade und am Abend steigen Leuchtraketen in den Himmel. Präsident Emmanuel Macron und andere Politiker sind vor Ort, um der Opfer zu gedenken.

(rv 14.07.2017 jm)








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