2017-07-04 10:17:00

Marienerscheinungen - Volksfrömmigkeit trifft Doktrin


Marienerscheinungen sind, wie man’s auch dreht und wendet, ein schwieriges Feld. Nicht nur für Nichtglaubende, sondern auch für Katholiken. „Weil sie genauso ambivalent sind, wie halt die menschlichen Ängste und Hoffnungen ambivalent sind.“ Das sagte der Innsbrucker Dogmatiker Josef Niewiadomski im Gespräch mit Radio Vatikan.

Niewiadomski sieht in Marienerscheinungen „so etwas wie die Schnittstelle, bei der sich die Volksfrömmigkeit mit der kirchlichen Doktrin trifft“. Und es ist die Volksfrömmigkeit, die für das Schillernde, das Ambivalente sorgt: „Sie hat ihre legitimen Bedürfnisse, ihre legitimen Ängste, aber sie hat auch ihre Grenzen. Das hat mit Aberglauben und mit dem Überschreiten von Grenzen zu tun.“

Viele Katholiken könnten mit Marienerscheinungen „gut leben“, aber viele störten sich auch daran – „genauso, wie man sich an bestimmten Haltungen von Menschen stören kann“. „Ich persönlich als Dogmatiker sehe in den Marienerscheinungen doch eine wichtige Ergänzung des kirchlichen Glaubens. Denn diese Schnittstelle, bei der sich Frömmigkeit und kirchliche Doktrin treffen, ist begründet durch die grundsätzliche Mission der Kirche als Gemeinschaft der Heiligen.“ Communio sanctorum: Die Gemeinschaft der Heiligen, von der das Glaubensbekenntnis spricht, „kennt an sich keine Grenzen“, auch nicht die Grenze des Todes. „Deswegen beten wir alle für Verstorbene, oder die säkularen Zeitgenossen zünden für Verstorbene Kerzen an.“ Weitverbreitet ist das Gefühl, dass Verstorbene gewissermaßen „für uns eintreten können“. „Und in diesem Kontext stehen, katholisch gesehen, die Heiligen – und vor allem Maria.“

Wie sich die menschlichen Dinge immer verdichten

Maria ist Urbild der Kirche und – nach einer Formulierung des Zweiten Vatikanischen Konzils – die „socia“, die Gefährtin der Menschen. „So etwas wie Fürsprecherin par excellence, oder Begleiterin par excellence.“ Das knüpft an ihre Rolle in der Heilsgeschichte an, man vergleiche nur ihr Mitwirken beim ersten „Zeichen“ Jesu auf der Hochzeit zu Kana. „Also, zusammengefasst: Legitime Ängste und Hoffnungen von Menschen und der Glaube der Kirche, dass die Kirche eine Gemeinschaft der Heiligen ist und dass man miteinander in Kontakt lebt. All das verdichtet sich in der Marienfrömmigkeit. Und zwar so, wie sich die menschlichen Dinge immer verdichten.“ Da sei vieles, wohl sogar das meiste positiv, doch gebe es auch „Exzesse“ und Negatives.

Zu diesem Negativen darf man ruhig zählen, dass Marienerscheinungen – oder zumindest, wie sie dargestellt werden – gemeinhin etwas furchtbar Kitschiges an sich haben. Maria erscheint nicht auf dem Petersplatz, sondern immer in einer Höhle oder, wie in Fatima, in einer Steineiche. „Das Wort kitschig würde ich ergänzen durch die Analogie zur Kunst. Je abstrakter die Kunst wird, je weiter sie sich also von der Konkretheit der Menschen entfernt, umso mehr wächst bei den Menschen das Bedürfnis nach Kitsch.“ Niewiadomski sieht „den Kitsch“ nicht nur negativ – einfach, weil er auf Bedürfnisse vieler Menschen antwortet. Hier rührt man aus seiner Sicht an etwas „beinahe Revolutionäres“. „Wenn man sich das Magnifikat vergegenwärtigt, dann heißt es dort: Er erhöht die Niedrigen! Wenn man die wirklich anerkennenswerten Marienerscheinungen analysiert, dann merkt man deutlich, dass da die Niedrigen im Zentrum stehen.“

Der Innsbrucker Dogmatiker findet es „hochspannend“, dass die Geschichte der „kulturgeschichtlich prägenden“ Marienerscheinungen ansetzt „mit der Erweiterung der Grenzen der bekannten Welt“: Er meint Guadalupe in Mexiko. „Da kommt ein ganz normaler Indio, der in der Perspektive der Eroberer ganz am Rand der Gesellschaft steht, zum spanischen Bischof, gebärdet sich fast wie ein Gleichwertiger und erzählt, Maria sei ihm erschienen.“ Und auf seinem Poncho erscheint Maria dann sogar als Einheimische abgebildet. „Also, hier findet gewissermaßen Integration der Außenseiter statt – und das ist in der konkreten Zeit revolutionär.“

Man muss Erscheinungen aus ihrer konkreten Zeit heraus deuten

Es ist diese „konkrete Zeit“, aus der heraus man Marienerscheinungen immer verstehen und deuten muss, sagt Niewiadomski. Auch in Europa hätten Marienerscheinungen in einer Epoche „der ungeheuren Wirren“ eingesetzt, nämlich nach der Französischen Revolution und angesichts der darauf folgenden Nationalismen im 19. Jahrhundert. Zum Urknall der Erscheinungen kommt es für den Forscher 1830 in der Pariser Rue du Bac. „Auch hier eine ganz einfache, normale Nonne – keine Äbtissin, also nicht jemand, der Definitionsmacht hat über die Wirklichkeit. Die Frucht dieser Erscheinungen ist eine Wundertätige Medaille, die sich weltweit verbreitet. Die Botschaft ist klar: Zuversicht, egal was kommen mag.“

In dieser „Logik“ sieht Niewiadomski auch viele andere Marienerscheinungen. Aber: „Plötzlich werden dann einzelne Erscheinungen ambivalent.“ La Salette etwa, ein paar Jahre nach der Rue du Bac: Da verändere sich der Ton. „Dort weint Maria… Man könnte sagen, okay, menschlich ist das verständlich, die Angst und die Unsicherheit sind so groß. In den Botschaften von La Salette, die dann etwa 25 Jahre später öffentlich werden, kommen dann erste Drohungen.“ Hier kommt die Geschichte für Niewiadomskis Empfinden „fast in eine Sackgasse“. „Maria wird von den Seherinnen und Sehern nicht als eine wahrgenommen, die Hoffnung spendet und ermutigt, sondern als eine, die droht, die vor allem im 20. Jahrhundert explizit droht, im Kontext der Kirchenreformen beispielsweise. Da, würde ich sagen, wird Ambivalenz sehr deutlich.“ Sein Kriterium, um so zu urteilen? „Die Drohung gehört in dieser Form sicher nicht zur Frohbotschaft!“

Das ist nur ein Ausschnitt aus unserem Interview mit Niewiadomski. Der Dogmatiker kommt in unserer neuen Radio-Akademie, die an diesem Dienstag startet, immer wieder zu Wort. Die Reihe beschäftigt sich mit dem Thema „Fátima und die Päpste“, Autor ist Stefan Kempis.

(rv 04.07.2017 sk)








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