2017-07-02 15:03:00

Türkei: „Wir können wenig gegen Kirchenenteignungen tun"


Aramäische Christen in Deutschland erheben schwere Vorwürfe gegen die Türkei: Dort beschlagnahme die Regierung „massenhaft aramäisches Eigentum". Doch ganz eindeutig ist die Besitzsituation manchmal nicht, erklärt Otmar Oehring,  Koordinator für den internationalen Religionsdialog in der Konrad-Adenauer-Stiftung. Nächste Woche tritt der türkische Präsident Erdogan in Hamburg beim G20-Gipfel auf, und es ist nicht ausgeschlossen, dass am Rande auch aramäische Christen gegen ihn demonstrieren. Das Kölner Domradio bat den Türkei-Fachmann Oehring vors Mikrofon und wollte zunächst von ihm wissen: Was ist dran an dem Vorwurf gegen die Türkei, sie würde aramäisches Eigentum beschlagnahmen?

 

Oehring: „Das ist im Moment noch schwer einzuschätzen. Man müsste jetzt ganz genau wissen, welche Kirchen in der Türkei betroffen sind. Ich habe versucht, das zu recherchieren. Doch das ist so schnell nicht möglich. Die syrisch-orthodoxen Christen, die sich selber in Deutschland als Aramäer bezeichnen, haben vor allem im Südosten der Türkei gelebt. Es gab eine Vielzahl von Dörfern, in denen Kirchen standen und die nun zum großen Teil verlassen sind. Die Rechtslage bei den weiterhin dort stehenden Kirchengebäuden ist jedoch ganz unterschiedlich.

Zudem hat 2002, als sich die Türkei und die EU einander angenähert haben und auch Beitrittsverhandlungen im Raum standen, der damalige Ministerpräsident die syrisch-orthodoxen Christen eingeladen, in ihre Heimat zurückzukommen. Das haben nicht viele getan. Aber was viele getan haben: Sie haben die Kirchen in den verlassenen Dörfern renoviert - mit dem Segen der türkischen Behörden.

Wenn es um diese Kirchen geht, muss man also unterscheiden: Da gibt es zum einen Kirchen, die nicht der Kirche selber sondern der Kirchenstiftung gehören. Zum anderen gibt es viele Kirchen, die einfach Dorfkirchen waren. Die syrisch-orthodoxen Christen sind davon ausgegangen, dass sie ihnen gehören. Die interessante Frage ist also: Um welche Kirchen geht es? Und was hat der türkische Staat wirklich im Sinn?“

 

domradio.de: Was passiert denn mit den Kirchen und Klöstern? Könnten die in Moscheen umgewandelt werden oder was würde dann passieren?

 

Oehring: „In der Türkei hat es seit dem Beginn der türkischen Republik im Jahr 1923 viele solcher Fälle gegeben. Es sind hunderte, wenn nicht tausende kirchliche Gebäude faktisch enteignet worden. Es hat immer wieder richtige Enteignungswellen gegeben. Die Gebäude werden zum Teil als Militärlager, als Ställe oder für andere Zwecke genutzt.

Die jetzige Regierungspartei AKP wollte dagegen mehr Religionsfreiheit, insbesondere für ihre eigene islamische Klientel. Als positiven Kollateralschaden gab es dann auch mehr Möglichkeiten für die christliche Kirche. Es wurde erlaubt, dass Kirchengebäude renoviert wurden. Es wurden vor rund acht Jahren auch Kirchen in großer Zahl zurückgegeben. Gleichzeitig sind die Verhältnisse in den letzten Jahren nicht in die Richtung gegangen, die sich die Türkei im Umgang mit der EU gewünscht hat. Die aktuelle Entwicklung für die syrisch-orthodoxen Christen muss man als Folge der politischen Entwicklungen sehen.

Hinzu kommt, dass die syrisch-orthodoxe Kirche wegen des Klosters Mor Gabriel beim Europäischen Menschenrechtsgerichtshof auch noch Klage erhoben hat. Das Kloster wird seit Jahren vom türkischen Staat mit Prozessen und einigen schrägen, sicher unwahren Vorwürfen überzogen. Möglicherweise hat auch diese Klage zu den Enteignungen beigetragen, nach dem Motto "Jetzt reicht's; jetzt müssen wir etwas gegen die syrisch-orthodoxen Christen tun."

 

domradio.de: Sie haben sich an die Bundesregierung gewandt. Was kann Deutschland denn da machen?

 

Oehring: „Ich gehe davon aus, dass Deutschland wenig machen kann. Nicht nur aufgrund der bekannten Entwicklungen, die es auch im Verhältnis zwischen der Türkei und Deutschland gegeben hat. Die türkische Seite hat in vielen Gesprächen, an denen ich mit deutschen Politikern in der Türkei teilgenommen habe, immer wieder versichert, dass die Türkei ein Rechtsstaat sei. Und die Regierung habe keine Möglichkeit auf Gerichte einzuwirken. Man müsste den rechtsstaatlichen Institutionen ihren Lauf lassen. Es ist klar, dass das bei der fragwürdigen Ausprägung des türkischen Rechtsstaats natürlich eine Ausrede ist. Man muss davon ausgehen, dass man im Grunde genommen kaum etwas machen kann.“

 

(dr 02.07.2017 gs)








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