2017-06-18 07:00:00

“Menschen in der Zeit” Irmgard Griss – Juristerei – Politik- Famile


Irmgard Griss aus der Steiermark in Österreich ist die ehemalige Präsidentin des Obersten Gerichtshofes Österreichs und leitete u.a. die Untersuchungskommission in der viel beachteten Causa "Hypo Alpe Adria". Bei der Bundespräsidentenwahl im Mai 2016 trat sie als unabhängige Kandidatin an und bekam beachtliche 18,9 Prozent der Stimmen. Die Juristin und Politikerin lebt in Graz, wuchs in einem Bauerhof auf, studierte in Havard, wurde Höchstrichterin Österreichs und ist Mutter von fünf Kindern.
 

*Sie stammen aus einem bäuerlichen Milieu, haben einen intellektuellen Lebensweg eingeschlagen, an der Havard-Universität in Cambridge studiert und als Oberste Richterin Ihres Landes eine Traumkarriere vorzuweisen. Wer oder was war für diesen ungewöhnlichen Lebenslauf ausschlaggebend?
 
Ich hab das große Glück gehabt, in eine Familie hineingeboren zu werden, in der Bildung immer einen hohen Stellenwert hatte. Meine Eltern waren Bauern und auch meine Großeltern, aber es wurde immer gelesen und diskutiert in der Familie. Daher wollte ich schon als kleines Kind immer Lernen, immer mehr wissen, die Welt kennen lernen und andere Menschen kennen lernen. Also ich verdanke das schon meinem Umfeld und meiner Herkunft.
 
*Gerechtigkeit und Juristerei - was haben sie gemeinsam?
 
Die Juristerei muss sich immer vom Ziel leiten lassen, gerechte Verhältnisse herzustellen und gerechte Entscheidungen zu fällen. Das ist natürlich etwas, was man nicht eins zu eins umsetzten kann. Nicht sowie man ein Gesetz anwendet, kann man gleich sagen: Das ist jetzt auch eine gerechte Entscheidung. Das muss immer das Ziel sein. Ich glaube, dass Richterinnen und Richter, ich war ja selbst 30 Jahre lang eine, das als Lebensziel haben müssen, zur Gerechtigkeit beizutragen. Das ist natürlich nicht immer leicht, aber darum muss man sich bemühen.
 
*Sie selbst sind in Österreich und darüber hinaus zu einer juristischen Ikone geworden und gelten für viele als berufliches Vorbild. Welche Persönlichkeit war für Sie das berufsbezogene Idol?
 
Ich hab kein bestimmtes Idol, aber ich hab mir immer etwas abgeschaut. Wenn ich Menschen kennen gelernt habe, die ihre Aufgabe gut gemacht haben (in der Justiz oder auch außerhalb), dann habe ich mir immer gedacht, was lerne ich daraus und was kann ich übernehmen. Denn es gibt überall und in jeden Bereich Menschen, die das was sie zu tun haben, wirklich als ihre Aufgabe annehmen. Das ist das Entscheidende. Ich habe mir auch immer gedacht, ich kann die großen Ungerechtigkeiten der Welt nicht lösen, auch wenn es mich noch so stört. Aber das was ich tun kann, in dem Bereich, in den ich gestellt bin, meine Arbeit so gut wie nötig zu machen – so gut wie ich es halt kann. Und da gibt es immer wieder Menschen, die ich im Laufe meines Lebens kennen gelernt habe, die das gut und wirklich gut gemacht haben. Und ich glaube, das steht an erster Stelle: Das Bemühen, es gut zu machen, es gelingt ja nicht immer, man darf nur nicht aufgeben. Man muss sich immer sagen: In meinem Bereich, dort versuche ich es.
 
*Sie sind im vergangenen Jahr als Kandidatin für das höchste Amt in der Republik Österreich angetreten und haben einen Aufsehen erregenden Achtungserfolg erzielt. Ohne Parteiapparat, ohne große finanzielle Mittel, außer in Fachkreisen ohne hohen Bekanntheitsgrad, ohne politische Erfahrung im klassischen Sinne und sind dennoch respektable Dritte geworden. Diese nahezu 19% der Hofburgwahl sind ein politisches Kapital, das Sie - so meine viele Österreicher- nicht verkommen lassen sollten. Mit anderen Worten, werden Sie als ehemalige Höchstrichterin Ihres Landes einen zweiten politischen Anlauf unternehmen?
 
Das ist eine Frage, die ich mir jetzt stelle. Ich war seit der Wahl nicht untätig, war bei vielen Diskussionen dabei und habe Vorträge gehalten. Ich hab auch ein Projekt umgesetzt, das sich „Dich-Gespräche“ nennt. Und zwar wurden Menschen in ganz Österreich eingeladen, mich einzuladen – in ihre Wohnung, und dort über politische Themen zu sprechen. Da haben sich über 300 Familien oder Leute beworben, obwohl wir schon von Anfang an gesagt haben: Ein Gespräch pro Bundesland, Österreich hat nur 9 Bundesländer – und dann haben wir sie ausgelost. Diese Gespräche habe ich gemacht, das war für mich eine sehr interessante Erfahrung. Da habe ich auch gemerkt, was man ohnehin schon weiß, aber durch den persönlichen Kontakt bestätigt bekommt: Es gibt so viele Menschen in unserem Land, die engagiert sind und was für die Gemeinschaft tun, die auch bereit sind, eine Initiative, ein Bewegung zu unterstützen, die etwas in diesem Land weiterbringen will. Und da spüre ich schon eine Verantwortung, mich zu engagieren. Und bin jetzt gerade dabei – ich habe ja Angebote von verschiedenen Seiten – dort mit zu arbeiten und etwas zu unterstützen. Ich überlege, was sinnvoll ist, wie man Menschen motivieren kann, was sich lohnt zu unterstützen. Da werde ich mich in den nächsten Wochen entscheiden. Wir haben ja im Oktober Nationalratswahlen und da glaube ich schon, dass ich mich engagieren werde.
 
* Seit dem 7. Mai dieses Jahres gehen Sie mit einer - wie eine echte Gerichtverhandlung aufgezogenen – Live-Fernseh-Sendung mit dem Titel „Im Namen des Volkes“ in die breite Öffentlichkeit. Das Fernsehen ist seit seiner Erfindung bis heute der effizienteste Treibriemen zur Förderung eines Talents, eines Schauspielers, eines Politikers. Ein Zufall oder ein Schachzug für ein neues politisches Ziel?
 
Nein, aber ich bin gefragt worden, ob ich bereit bin wäre mitzuwirken und mitzutun. Und mich hat das Konzept und das Ziel der Sendung überzeugt. Denn worum geht es: Es geht darum, eine politische Debatte zu Stande zu bringen, in der kontroverse Standpunkte einander gegenüber gestellt werden. In dem auf beiden Seiten Argumente gebracht werden, um eine Entscheidungsgrundlage zu liefern. Diese Sendung soll sichtbar machen, was eigentlich jeder weiß, aber nicht so bewusst ist, dass es für PRO gute Argumente gibt und für CONTRA gute Argumente gibt. Daher ist es notwendig, diese Argumente auszutauschen, abzuwägen und zu einer Entscheidung zu kommen. Dass es uns nicht weiterbringt, wenn man von vornherein sagt, eine Forderung ist absolut unzulässig. In der ersten Sendung ging es zum Beispiel darum, ob es in Schulen ein Kopftuchverbot geben soll. Denn es gibt Klagen von Lehrerinnen, dass Mädchen von Burschen unter Druck gesetzt werden, ein Kopftuch aufzusetzen. Und da war es für mich sehr interessant zu sehen, dass zwei Musliminnen ihren Standpunkt sehr kontrovers vertreten haben, um zu hören, was bedeutet das für die Menschen, die es betrifft. Wir reden über diese Menschen, über diese Themen. Ziel der Sendung ist, mit denen zu reden, die zu Wort kommen zu lassen, die es wirklich betrifft. Wir werden noch besser, das war ja erst die erste Sendung. Ich hab ja keine Fernseh-Erfahrung, also es war mal ein Versuch. Jetzt überlegen wir, was wir besser machen können, wie wir dieses Ziel noch besser erreichen können. Da werden wir sehen, wie es weitergeht.
 
*Sie wären, Frau Dr. Griss, im Fall des Falles beinahe die erste Frau an der Spitze Österreichs seit Kaiserin Maria Theresia geworden! Auch deren lange Regentschaft war von Juristerei und Gerechtigkeit geprägt. Sind diese beiden Eigenschaften, wenn sie vereint sind, verlässliche Garanten für gerechte, faire Lösungen schwieriger Probleme?
 
Sie sind eine gute Voraussetzung dafür. Natürlich genügt das alleine nicht, es muss ja immer der gute Wille der Menschen dazu kommen, um das dann auch wirklich zu leben. Das Recht ist das eine, die Umsetzung des Rechts in das tägliche Leben, um gerechte Verhältnisse zu erreichen, ist das andere. Aber es gibt keine – glaube ich jedenfalls – gerechte Gesellschaft ohne Rechtsstaat. Und es gibt keinen Rechtsstaat ohne Juristinnen und Juristen, die das Recht auch anwenden und einen Staat, der die Macht hat, das Recht durchzusetzen. Daher glaube ich, besteht diese enge Verbindung. Kaiserin Maria-Theresia hat schon im 18.Jahrhundert diese Strömungen aufgenommen und umgesetzt, die das schon erkannt haben. Sie hat auch die allgemeine Schulpflicht in Österreich eingeführt. Das war Weitblick. Daher ist das eine Aufgabe für alle Generationen, sich darum zu bemühen, eine gerechte, soziale Gesellschaft wirklich zu Stande zu bringen und das dann auch zu leben.
 
*Gerechtigkeit ist der Name für den Frieden - heißt ein von der Kirche aber auch von bedeutenden Politikern oft ausgesprochenes Zitat. Seit Papst Paul VI. wird dieser Begriff der universalen Welt vorgehalten. Wie beurteilen Sie als prominente Juristin die effektive Durchschlagskraft dieser mahnenden Worte an die heutige Weltsituation. Ist Gerechtigkeit wirklich das Maß aller Dinge? Oder geht Barmherzigkeit vor Gerechtigkeit?
  
Ich glaube nicht, dass das Gegensätze sein müssen. Ich glaube, dass Gerechtigkeit ein Ur-Bedürfnis des Menschen ist. Und das sieht man schon bei den kleinen Kindern, die ein ganz feines Sensorium von Anfang an dafür haben, ob es gerecht ist, wie sie behandelt werden. Ich glaube, Gerechtigkeit ist etwas, was wir Menschen für unser Zusammenleben brauchen. Die Barmherzigkeit ist dann eine höhere Stufe. Barmherzigkeit kann man nicht fordern, so wie man aber Gerechtigkeit als Mensch aufgrund der Menschenwürde einfordern kann. Barmherzigkeit ist etwas, was einem geschenkt wird. Ich glaube, das ist der große Unterschied. Für ein gutes Zusammenleben braucht es beides, aber die Grundvoraussetzung ist Gerechtigkeit. Dazu soll die Barmherzigkeit kommen.
 
*Die Öffentlichkeit nimmt Sie, Frau Griss, als bekennende, als praktizierende Katholikin wahr. Meine Frage zielt nicht auf Ihre persönliche Einstellung zum katholischen Glauben ab. Vielmehr würde mich interessieren: was ist der Punkt, den viele Menschen, an der katholischen Kirche am meisten schätzen, und welcher spezifische Punkt unterliegt am meisten der Kritik?
 
Der große Wert der katholischen Kirche ist die Gemeinschaft, das Gemeinschaftsgefühl, Teil einer weltumspannenden Verbindung von Menschen zu sein, auf eine lange Tradition zurückzublicken, immer wieder Menschen in dieser Gemeinschaft zu haben, die barmherzig sind, die sich um ein gutes Leben bemühen, um ein gutes Leben mit den anderen, in der Gemeinschaft und die das Evangelium in das tägliche Leben versuchen umzusetzen. Ich glaube, dass das der ganz große Wert ist. Der Glaube überhaupt ist die Rechtfertigung, für das Gutsein und das Gutsein ist das, was den Menschen auch mit sich selber aussöhnt. Für ein gelingendes Leben ist das ganz wichtig, glaube das ist ein ganz großer Wert. Was die Menschen an der katholischen Kirche stört, mich vor allem, ist die Stellung der Frau. Ich finde das außerordentlich bedauerlich, dass die Frau in der katholischen Kirche nicht gleich berechtigt ist. Sie ist es nicht, denn sie kann nicht mal das Amt der Diakonin ausüben, vom Priesteramt ganz zu schweigen. Ich glaube, dass es absolut notwendig wäre, Mann und Frau sind gleich geschaffen. Das kann nicht sein, dass die Frau hier zurückgesetzt wird. Sie bringt durch ihre Fähigkeit, die ihr ja auch von Gott geschenkt wurde, viel positives ein – wie die Männer. Es braucht beides und ich glaube, daran krankt die katholische Kirche. Eine reine Männerherrschaft führt zu Fehlentwicklungen, denn Männer haben andere Eigenschaften als die Frauen, also gewisse sind nicht grundverschieden, aber manche schon. Und diese Eigenschaften können dann dazu führen, dass Verhältnisse entstehen, die letztlich nicht für das gute Zusammenleben maßgeblich sind – es sind Neid und Konkurrenz, das gibt’s unter Frauen auch. Aber es gleicht sich vieles aus, wenn Männer und Frauen in einer Gemeinschaft sind.

(rv 18.06.2017 ap)








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