2017-06-17 14:00:00

Nel segno dei padri - Im Zeichen der Väter


In den Geschichtsbüchern haben sie keinen Platz: Doch es sind die kleinen, manchen vielleicht unbedeutend vorkommenden Einzelschicksale, aus denen der Teppich der „großen“ Geschichte gewebt ist. So auch im Zweiten Weltkrieg, genauer, in Italien, zur Zeit des unaufhaltbaren Vorrückens der alliierten Truppen gen Norden.

Am 20. Juni 1944 nahm in dem umbrischen Städtchen Gubbio eine Tragödie ihren Lauf: Partisanen erschossen in einer Bar ohne Vorwarnung den deutschen Militärarzt Kurt Staudacher, ein weiterer Kamerad wurde angeschossen. Die Reaktion der bereits im Abzug begriffenen Nationalsozialisten war ebenso grausam wie vorhersehbar: 40 Ortsbewohner wurden wahllos eingesammelt und als Vergeltungsmaßnahme erschossen – nur durch ein Wunder überlebte der Kamerad des Arztes, was weiteren 40 Menschen den Vergeltungstod ersparte. In Gubbio gedenkt man der Toten bis heute als der „40 Märtyrer“, ein eigenes Mausoleum wurde erbaut und die Mauer, an der die Geiseln erschossen wurden, trägt immer noch die Einschusslöcher von damals. Tief sitzt in den Hinterbliebenen der Schmerz über die nie gerichtlich aufgearbeitete Vergeltungsmaßnahme der Nationalsozialisten auch heute noch.

Doch auch der ermordete Arzt hat eine Familie zurück gelassen: Seine damals 23-jährige Frau und seinen erst einjährigen Sohn. Peter Staudacher ist heute selbst Arzt, auf einer spät unternommenen Reise in die Vergangenheit steht er im Jahr 2003 in Gubbio und trägt sich in das Kondolenzbuch des Mausoleums ein – eine Geste, durch die die Leiterin des Hinterbliebenenvereins in Gubbio, selbst durch die Erschießung ihres Vaters im Alter von einem Jahr zur Halbwaise geworden, auf ihn aufmerksam wird. Wochen später trifft aus heiterem Himmel ein Brief von Guglielmina Roncigli bei Peter Staudacher ein: der Beginn einer langjährigen Brieffreundschaft, in der Vorurteile abgebaut werden und Hass in Versöhnung münden wird. Nur einmal treffen sich die beiden persönlich, als Peter Staudacher 2004 das Grab seines Vaters auf dem Militärfriedhof von Pomezia aufsucht. Bereits im Jahr 2012 stirbt Guglielmina frühzeitig an einer schweren Krankheit. Den Briefwechsel sowie historische Dokumente haben Peter Staudacher und Guglielmina Roncigli dem Journalisten Giacomo Marinelli Andreoli übergeben, er hat daraus sowie aus persönlichen Interviews ein Buch erstellt, das in italienischer Sprache bei Marsilio Editore erschienen ist. 

Das Buch ist nicht nur aufgrund seiner historischen Aufarbeitung einer Begebenheit, die die Geschichte eines gesamten Ortes geprägt hat, bedeutsam. Es zeichnet auch den persönlichen Weg der Hinterbliebenen nach, die erst durch den Kontakt mit dem anderen ihre eigene familiäre Geschichte besser verstehen und zu akzeptieren lernen. Erst spät hat Peter Staudacher, der im abgeschotteten Ostdeutschland als Kind eines „nationalsozialistischen Kriegsverbrechers“ stigmatisiert und in bitterer Armut aufwächst, überhaupt von den Ereignissen erfahren, die mit dem Tod seines Vaters in Gang gesetzt wurden. Selbst betroffen, steht er in vorderster Linie, um für Versöhnung und eine differenzierte Betrachtungsweise der mit Emotionen durchsetzten historischen Ereignisse zu werben. Auf der anderen Seite sind es der „deutsche Blick“ und eine Sensibilisierung für die ebenfalls mit großen Schwierigkeiten versehene Geschichte des anderen, die Guglielmina klar machen, dass auch der Deutsche, dessen Ermordung zu der brutalen Vergeltung geführt hat, in gewisser Weise selbst Opfer war. Sie lernt, ihren Hass auf alles Deutsche zu überwinden - persönliche Vergebung folgt Jahrzehnte nach dem Ende eines Krieges, der Europa gespalten hatte. 

Das Buch hat bislang noch keinen deutschen Verleger gefunden. Es wäre wünschenswert, wenn sich dies in naher Zukunft ändern würde. Hier zum Mitschreiben die Daten des italienischen Buches: Giacomo Marinelli Andreoli, Nel segno dei padri. Erschienen bei Marsilio Editore, Preis als Ebook 10 Euro, Buchausgabe 16,50 Euro.

(rv 17.06.2017 cs)

 








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